Die Pressefreiheit ist weltweit zunehmend unter Druck. Auch in Nicaragua spitzt sich die Situation zu: Journalist:innen werden willkürlich festgenommen und bedroht; die Interamerikanische Menschenrechts­kommission (IACHR) spricht von einer „staatlichen Verfolgung der Presse“. Viele Journalist:innen mussten daher ins Ausland fliehen. Gerall ist einer von ihnen.

NicaraguaMindes­tens 46 Medien­schaffende wurden laut Re­porter ohne Gren­zen 2021 in direk­tem Zusammen­hang mit ihrer Ar­beit getötet. Eine Zahl, die er­schreckt — und doch so niedrig ist wie seit fast 20 Jah­ren nicht mehr. Es gibt aller­dings auch einen trau­rigen neuen Re­kord zu ver­zeich­nen: Ende 2021 sitzen welt­weit 488 Journa­list:innen und andere Medien­schaffende wegen ihrer Ar­beit im Gefäng­nis. Noch nie seit der Doku­mentation durch Re­porter ohne Gren­zen war die Zahl der willkürlich inhaf­tierten Journa­list:innen so hoch. Diese Entwick­lung ist besonders besorgnis­erregend, weil die Meinungs­freiheit und somit auch die Presse­freiheit ein Schlüssel­bereich der Menschen­rechte ist. Sie kann als Indi­kator für die allge­meine Menschen­rechts­lage in einem Land gesehen werden – denn wo die Presse­freiheit einge­schränkt ist, sind es oft auch andere Rechte.

So auch in Nica­ragua: Im April 2018 ließ Präsi­dent Ortega die gegen ihn ge­richte­ten Pro­teste brutal nieder­schlagen. Über 300 Demon­strant:innen kamen dabei ums Leben, mehr als 200 wurden ver­letzt. Seit­dem flohen über 100.000 Men­schen ins Exil, größten­teils nach Costa Rica. Unter ihnen ist auch der Journa­list Gerall, der sich aus dem Exil heraus weiter für die Presse­frei­heit und das Recht auf Infor­mation in seinem Land einsetzt.

Hier erzählt Gerall seine Geschichte:

„Im Journalismusstudium wurde mir beigebracht, die Wahrheit zu sagen und auf der Seite der Bevölkerung zu stehen. Das beherzige ich, seit es in Nicaragua Berichte über Machtmissbrauch, Autoritarismus und Gewalt gibt.

Wenn ich über 2018 spreche, bewegt mich das sehr. Am 30. Mai ist viel passiert und es gab Momente, in denen ich Tote und Verletzte gesehen habe. Also habe ich meine Arbeit unterbrochen, um Platz zwischen den Menschen zu schaffen, damit Krankenwagen passieren konnten.

Der Journalismus ist von grundlegender Bedeutung für Demokratien und für die Menschenrechte. Wir nicaraguanischen Journalist:innen sind eine Stütze, wenn es darum geht, anzuprangern, was Nicaragua durchmacht, Gerechtigkeit zu fordern und dafür zu sorgen, dass Nicaragua die Resonanz erhält, die es derzeit auf globaler Ebene hat.

Als Journalist:innen müssen wir eigentlich unparteiisch und objektiv sein, aber seit 2018 habe ich aufgehört, ein unparteiischer Journalist zu sein. Ich kann nicht ignorieren, was in Nicaragua passiert ist und weiterhin passiert, wenn das Leben und die Integrität einer ganzen Bevölkerung angegriffen wurden.

Als junger und unabhängiger Medienjournalist war das Exil eine große Herausforderung für mich, denn ich war auf eine derartige Verfolgung nicht vorbereitet. Ich bin Teil eines Systems, das unsere Stimmen zum Schweigen bringen wollte und unser Recht auf Information verletzt hat. Jetzt umso mehr, da ein repressives Gesetz verabschiedet wurde, das darauf abzielt, unabhängige Medien zu kriminalisieren und zum Schweigen zu bringen. Trotzdem sind wir eine der Gewerkschaften Nicaraguas, die sich nicht unterkriegen lassen. Wir setzen unsere Arbeit fort, auch unter schlechtesten Bedingungen.

Ich würde gerne nach Nicaragua zurückkehren, aber die Lage gibt es nicht her. Zusammen mit anderen Journalist:innen ist es uns gelungen, die Zensur aus unserem erzwungenen Exil heraus zu durchbrechen. Die größte Genugtuung für uns ist, dass der nicaraguanische Journalismus international anerkannt wird, vor allem für sein Engagement und dass wir ein großes Publikum haben, das uns dabei unterstützt, weiter zu berichten.

Trotz der Angriffe und Aggressionen gegen uns, der Belagerung, unter der unsere Familien leiden und des erzwungenen Exils vieler von uns, bleiben wir Journalist:innen standhaft, würdevoll, ethisch und der Wahrheit und Nicaragua verpflichtet.“

Das pbi-Nicaraguaprojekt begleitet Organisationen und Kollektive im Exil und unterstützt sie in ihrem Kampf für Gerechtigkeit. Gerall ist einer von acht Aktivist:innen, die in unserer Kampagne „Defending Human Rights has no Borders“ (Die Verteidigung von Menschenrechten kennt keine Grenzen) von ihren Erlebnissen berichtet haben. Lies hier, wie sie sich auch unter der Last des Exils weiter für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen.  

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