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19.05.2015 Im bewaffneten Konflikt in Kolumbien ist Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung. Die Verantwortlichen werden jedoch nur sehr selten bestraft. Die von pbi begleitete Menschenrechtsorganisation CAJAR reichte zusammen mit ECCHR und Sisma Mujer Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist in Kolumbien allgegenwärtig und Ausdruck einer strukturellen Diskriminierung in der Gesellschaft, die durch den internen bewaffneten Konflikt noch verstärkt wird. Dem Bericht der obengenannten Organisationen zufolge wurde in 2014 in Kolumbien alle 33 Minuten eine Frau vergewaltigt. Im Rahmen des bewaffneten Konfliktes wurden alle drei Tage zwei Frauen vergewaltigt. Da die Mehrzahl der Opfer von Vergewaltigungen keine Anzeige erstattet und somit nicht in den Statistiken auftaucht, ist zu erwarten, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt. Obgleich alle bewaffneten Akteure sexualisierte Gewaltverbrechen begangen haben, wurden Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte in mehr als 50% der Fälle von sexualisierter Gewalt im Rahmen des Konfliktes als Täter identifiziert.

Die drei Organisationen betonen in ihrem Bericht, dass Opfer sexualisierter Gewalt in Kolumbien oftmals viele Hindernisse überwinden müssen, um Zugang zum Justizsystem zu bekommen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Opfer sexualisierter Übergriffe werden stigmatisiert, nicht ernst genommen und sind häufig auch innerhalb des Justizsystems Vorurteilen ausgesetzt. Zudem ermittelt nicht selten in erste Linie die Militärjustiz, die weder dafür zuständig ist, noch die notwendigen Fähigkeiten dazu besitzt und außerdem nicht unabhängig und unparteiisch ist. Opfern, die in abgelegenen ländlichen Gegenden wohnen, fehlt häufig das Geld, um die Reise zu den zuständigen Behörden bezahlen zu können. Nicht zuletzt fürchten viele Opfer Repressalien, wenn sie die Verbrechen anzeigen. Diese Ängste sind keinesfalls unbegründet, auch das kolumbianische Verfassungsgericht hat schon hervorgehoben, dass der kolumbianische Staat offensichtlich nicht dazu fähig ist, Opfer, Zeugen und ihre Familien zu schützen. Insbesondere in  Regionen, die stark militarisiert sind oder in der mehrere bewaffnete Gruppen um die Macht kämpfen, kommt es nicht selten vor, dass die einzige Autorität zu der die Frauen Zugang haben selbst für das Verbrechen verantwortlich ist.

Wenn es zur Anzeige kommt, wird in Fällen von Vergewaltigungen und anderen Formen von sexualisierter Gewalt nur selten effektiv ermittelt. Vor allem gegen Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte gibt es nur sehr wenige Verfahren. Auch das kolumbianische Verfassungsgericht urteilte wiederholt, dass der kolumbianische Staat einen Schutz der Opfer sexualisierter Gewalt und ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung nicht gewährleistet. Der kolumbianische Staat verwehrt somit den Frauen Schutz vor sexualisierten Verbrechen und den Zugang zu Recht, die er laut nationaler und internationaler Gesetze gewährleisten muss. Deswegen hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zusammen mit der kolumbianischen Frauenorganisation Sisma Mujer und dem von pbi begleiteten Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo (CAJAR) am 27. April 2015 Strafanzeige gegen Kolumbien beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht.

Hierzu haben die drei Menschenrechtsorganisationen 36 exemplarische Fälle von sexualisierter Gewalt zwischen 2002 und 2011 untersucht, wobei sie sich ausschließlich auf Übergriffe durch staatliche Sicherheitskräfte konzentriert haben. Aus ihrer Analyse geht hervor, dass sexualisierte Übergriffe im bewaffneten Konflikt keine Einzelfälle sind, sondern mit Militäroperationen der staatlichen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung einhergehen. Die Organisationen schließen daraus, dass sexualisierte Gewalt in diesem Zusammenhang Teil der Militärstrategie und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Zudem tut der kolumbianische Staat nicht genug, um die Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zu bestrafen, sodass die Straflosigkeit der Militärs fast uneingeschränkt ist.

Die Organisationen erhoffen sich von einem Urteil des Internationalen Strafgerichtshofes Gerechtigkeit für die Opfer, eine Verhinderung weiterer Verbrechen und eine Stärkung des Friedensprozesses in Kolumbien.

Weitere Informationen:
>> special newsletter zum Thema (Englisch)
>> Zusammenfassung der Strafanzeige an den internationalen Strafgerichtshof (Englisch)

Text: Anne Berentsen