In Honduras sind Mitglieder der LGBTIQA+-Community gravierender Diskriminierung ausgesetzt. Sie erleiden ständige Stigmatisierung und werden Opfer von Hassverbrechen und sogar Mord. Esdra Sosa setzt sich seit 2006 für die gesellschaftliche Anerkennung und die Rechte ihrer Gemeinschaft ein. Anfeindungen und Bedrohungen musste sie bereits am eigenen Leib erfahren.

„Gäbe es in Honduras Gesetze für LGBTIQA+, dann hätte ich eine Waffe, mit der ich als Menschen­rechtsaktivistin besser arbeiten könnte“, sagt Esdra Sosa, die als Koordinatorin bei der Organisation Arcoíris (zu Deutsch: Regenbogen) arbeitet. Doch das Gegenteil ist der Fall: Honduras hat keinerlei rechtliche Grundlage, auf der sie ihre Gemeinschaft besser verteidigen könnte. So hört sie sich die Geschichten der Betroffenen an und versucht ihre Kontakte dafür zu nutzen, Untersuchungen einzuleiten.

Die gezielte Gewalt, die gegen Mitglieder der LGBTQIA+-Gemeinschaft verübt wird, nimmt stetig zu. Laut dem Cattrachas Lesbian Network wurden seit 2009 mindestens 399 LGBTIQA+-Personen umgebracht, über 120 der Opfer waren Trans*Frauen. Auch die Aktivist:innen bei Arcoíris, die seit 2015 durch pbi begleitet werden, bestätigen, dass sich ihre Situation im Jahr 2021 nicht gebessert hat.

Untätigkeit des Staates

„Es geht nicht nur darum, dass sie uns töten. Sie untersuchen nicht einmal, wer es getan hat“, sagen Stimmen aus der LGBTIQA+-Gemeinschaft über den honduranischen Staatsapparat. In Honduras bleiben über 90 % der Hassverbrechen ungestraft. Lediglich 29 der 150 Hassverbrechen der letzten fünf Jahre wurden strafrechtlich verfolgt. Bereits 2018 äußerte der ehemalige UN-Sonderberichterstatter über die Lage von Menschenrechtsverteidiger:innen Michel Forst seine Besorgnis über die Situation der LGBTIQA+-Gemeinschaft im Land und nannte unter anderem die „Untätigkeit des Staates“ als Kernproblem. Laut Betroffenenorganisationen sind in über die Hälfte der Drohungen und gewalttätigen Angriffe stattliche Sicherheitskräfte verwickelt. Das schrecke Mitglieder der Gemeinschaft davon ab, Anzeige zu erstatten, da diese einem Todesurteil gleichen würde. So ist die Strafverfolgung in vielen Fällen unmöglich.

Das Problem an der mangelnden Strafverfolgung ist jedoch nicht nur die Straffreiheit derer, die die Taten vollziehen, sondern auch die dadurch beeinflusste kollektive Wahrnehmung. Die Verwendung LGBTIQA+-feindlicher Sprache im öffentlichen Diskurs, sowohl durch den Staat als auch durch Kirchen, Medien und Schulen, führt zu sozialer Ausgrenzung und weiteren Hassverbrechen.

Zugang zur Justiz

Doch es gibt auch ein paar positive Entwicklungen: Eine 2016 gegründete Initiative, bestehend aus verschiedenen LGBTIQA+-Organisationen sowie nationalen und internationalen Institutionen*, hat dabei geholfen, dass die einzelnen Organisationen gestärkt weitermachen und die Hoffnung auf Besserung nicht aufgeben. Ihr Ziel ist es, den Zugang zur Justiz für LGBTIQA+-Personen zu erleichtern, Hassverbrechen an ihrer Gemeinschaft aufzuklären, die gegen sie verübte Gewalt zu verhindern und gleichstellungsfördernde Maßnahmen zu stärken. „Wir arbeiten gemeinsam daran, dem politischen Stress und dem Klima der Gewalt entgegenzutreten“, sagt Esdra Sosa von Arcoíris. So macht das Gremium im ganzen Land auf die Realitäten vor Ort aufmerksam und fordert die zuständigen Institutionen und Behörden auf, in einen Dialog zu treten, die Fälle zu untersuchen und ein ordnungsgemäßes Verfahren zu gewährleisten. Im vergangenen Jahr ist es bereits gelungen, die Anzahl von untersuchten Fällen zu steigern. Dennoch gehen die Veränderungen nur schleppend voran. Strafverfolgungen werden weiterhin extrem verzögert und die institutionelle Gleichgültigkeit über das Ausbleiben von Entscheidungen besteht nach wie vor.

Neue Regierung, alte Herausforderungen

Im Herbst 2021 wurde in Honduras eine neue Regierung gewählt. Während des Wahlkampfs war die politische Gewalt im Land besonders hoch und für die LGBTIQA+-Gemeinschaft extrem bedrohlich. Vom scheidenden Präsident als „Feinde des Vaterlandes“ bezeichnet, schöpfen die Mitglieder der LGBTIQA+-Gemeinschaft nun neue Hoffnung: Erstmals ist mit Xiomara Castro eine Frau ins Amt gewählt worden. Noch ist unklar, ob sie etwas gegen die gesellschaftlich fest verankerte LGBTIQA+-Feindlichkeit ausrichten kann. Immerhin hatte Castro sich als Kandidatin der Linkspartei für die Stärkung ihrer Rechte ausgesprochen.

Mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft erklärt Esdra Sosa, die selbst bereits einmal aufgrund ihres Engagements ins Exil fliehen musste: „Wir fordern keine neuen oder besonderen Rechte für LGBTIQA+-Personen. Wir fordern nur, dass unsere Rechte, genau wie die Rechte aller Menschen respektiert werden.“ Damit zeigt sie erneut, dass es der LGBTIQA+-Gemeinschaft vor allem um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung geht.

Text: pbi Honduras, überarbeitet von pbi Deutschland

In vielen Teilen der Welt leben LGBTIQA+-Personen nach wie vor nicht in Sicherheit. In 69 Ländern stehen gleichgeschlechtliche Beziehungen und nichtbinäre Geschlechtsidentitäten** unter Strafe; in 15 von ihnen droht sogar die Todesstrafe. Auch in vermeintlich liberalen Gesellschaften gibt es großen Nachholbedarf. Und da kommen die nicht betroffenen Menschen ins Spiel, denn auch hierbei heißt es: Zuhören, Hinterfragen und Solidarität zeigen — Intersektionale Diskriminierung kann nur gemeinsam bekämpft werden.

* Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Arcoíris, aber auch Vertreter:innen nationaler Behörden und der internationalen Gemeinschaft, wie die Hohe Kommissar:in für Menschenrecht (UNHCHR) oder die Botschaften Deutschlands, Spaniens und der USA sind in der Initiative vertreten.

** In einer hetero­normativen Ge­sell­schaft gilt es als selbst­verständlich, dass es nur zwei Ge­schlech­ter gibt, die sich sexuell auf­einander beziehen. Als nichtbinär werden Geschlechtsidentitäten bezeichnet, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren und sich somit außerhalb dieser zweigeteilten (binären) Geschlechterordnung befinden.

Weitere Informationen
>> Rechte von LGBTIQA+-Personen
>> Esdra Sosa Sierra — Kampf um gesellschaftliche Anerkennung
>> Trans*Frauen aus Honduras auf der Flucht: Obligadas a huir y a volver a Honduras (pbi-honduras.org)
>> Internationaler Tag gegen LGBTIQA+-Feindlichkeit
>> „Somos“, Kurzfilm von Manu Valcarce über die Arbeit von LGBTIQA+-Aktivist:innen in Honduras (Spanisch mit engl. Untertiteln)
>> „We are not who they say we are“, Kurzfilm vom Manu Valcarce über die Mitglieder der Organisation Arcoíris (Spanisch mit engl. Untertiteln)
>> Alarmierende Situation für die LGBTIQA+-Gemeinschaft in Honduras
>> Honduras: Ermordung von Transaktivistin Scarlet Cambel
>> Interview mit LGBTIQ-Aktivistin Frenessys Sahory Reyes aus Honduras