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28.10.2014 - Seit über zwei Jahren verhandelt der kolumbianische Staat in Havanna mit den FARC-Guerilla. In diesem Jahr wurden staatliche Abhörungen bekannt, die den Friedensprozess gefährden könnten. Auch von pbi begleitete Organisationen und Einzelpersonen sind von den illegalen Aktivitäten betroffen.

Anfang des Jahres wurden in Kolumbien neue illegale Abhöraktionen von staatlichen Institutionen bekannt. Getauft wurde der Skandal nach dem Restaurant „Andromeda“ im Norden Bogotas, das als getarnte Spionagezentrale des militärischen Geheimdienstes diente. Dort waren staatlich angeheuerte Hacker damit beschäftigt, E-Mail Konten zu knacken und Telefongespräche anzuzapfen. Opfer waren vor allem Personen im Umfeld der Friedensverhandlungen von Havanna, wo seit Ende 2012 die kolumbianische Regierung mit den FARC über einen Friedensvertrag verhandelt. Bei den illegalen Abhörungen spielte es anscheinend keine Rolle, ob es sich um staatliche Akteure oder FARC-Rebellen handelte. Ob und in welchem Umfang vertrauliche Informationen der Verhandlungspartner in Havanna weitergegeben wurde, und vor allem an wen, ist bislang nicht bekannt.

Auch das von pbi begleitete Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo (CCAJAR), das in Havanna einen zivilgesellschaftlichen Vorschlag für eine Justicia Transicional (Transitional Justice) unterbreitet hatte, gehört zu den Opfern des Abhörskandals. Viele der AnwältInnen wurden in den vergangenen Jahren bedroht und von ultrarechten Kreisen in Verbindung mit den FARC gebracht. Diese ungerechtfertigten Beschuldigungen gefährden die Menschenrechtsanwälte, die viele hochkarätige Fälle von Menschenrechtsverbrechen betreuen, welche staatliche Akteure und mächtige Paramilitärs belasten.

Das Anwaltskollektiv CCAJAR ist über die Grenzen Kolumbiens hinaus für die Vertretung der Opfer von Menschenrechtsverbrechen bekannt. Seit mehr als 30 Jahren ist das Kollektiv mittlerweile tätig. In dieser Zeit konnten die AnwältInnen von CCAJAR mehrere wegweisende Urteile für die vielen Opfer des langwährenden Konflikts und deren Angehörige erkämpfen. Aufgrund dieser Arbeit sind die AnwältInnen ständigen Drohungen ausgeliefert, RegierungsvertreterInnen diffamieren sie und Todesschwadronen bezeichnen sie öffentlich als „militärische Ziele“. Trotz dieser Situation hat sich CCAJAR an die Regierung gewandt, um in Havanna ihre zivilgesellschaftliche Initiative einzubringen, die sämtliche politischen und zivilen Akteure einschließt.

Tage nachdem die CCAJAR-Delegation von der staatlich unterstützten und vertraulichen Reise aus Kuba zurückgekehrt war, veröffentlichte die Fundación Centro de Pensamiento Primero Colombia (Stiftung des Zentrums der Idee „Kolumbien Zuerst“) Plan und Zweck der Reise sowie einzelne Themen die bei dem Treffen verhandelt worden waren.(1) Primero Colombia wurde von Expräsident Uribe gegründet, der sich als vehementer Gegner der Friedensverhandlungen positioniert hat.

Dieser erneute Vertrauensbruch in die staatlichen Institutionen erinnert an den Skandal der illegalen Abhörungen des ehemaligen DAS (Departamento Administrativo de Seguridad — Inlandsgeheimdienst Kolumbiens).(2) Informationen, die von diesem Ministerium abgehört worden waren, wurden benutzt oder zumindest an Paramilitärs weitergegeben, um MenschenrechtsverteidigerInnen zu schaden, sei es durch gezielte Drohanrufe oder bis hin zu Attentaten. Bezeichnend ist der Fall der von pbi begleiteten Journalistin Claudia Julieta Duque, die zuletzt das Verschwinden von Beweismaterial aus den Archiven des ehemaligen DAS anprangerte und den kolumbianischen Staat zu einer intensiveren Untersuchung aufforderte.(3)

Aufgrund dieser beunruhigenden Situation erklärten am 15. Mai diesen Jahres die bekannten Rechtsanwälte Germán Romero und Jorge Molano – letzterer wird ebenfalls seit Jahren von pbi begleitet – ihre gerichtliche Tätigkeit bis auf weiteres einzustellen, weil sie keine Garantien hätten, ihren Beruf frei ausüben zu können. Sie erläuterten ihren Schritt mit den vermehrten Bedrohungen, die sie in letzter Zeit erlitten hatten: „Im Laufe dieses Jahres erlebten wir Angriffe auf unsere Familienangehörigen, Überfälle auf unsere Wohnungen mit dem einzigen Ziel des Datendiebstahls, Cyberattacken auf unsere Email-Konten und Webseiten, Telefonabhörungen und Telefonortungen sowie Verfolgungen (…). Dies führte dazu, dass zwei unserer Kollegen ins Ausland gehen mussten.“(4)

Erst seit Ende Mai erhalten die beiden Anwälte einen Teil der Schutzmechanismen, zu der sich der kolumbianische Staat im März vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte verpflichtet hatte.(5) In den vergangenen fünf Monaten kam es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten bei der Zurverfügungstellung der Sicherheitsmaßnahmen. Viele der Fälle die Molano und Romero betreuen, behandeln die Verstrickung von ranghohen Militärs in außergerichtlichen Exekutionen von Zivilisten durch Soldaten. Da diese Gerichtsverhandlungen zum Teil in entlegenen Gegenden stattfinden, konnte Molano aufgrund fehlender Schutzmechanismen an mehreren Prozessen nicht teilnehmen.

Mitte Oktober verpflichtete das Erste Verwaltungsgericht von Bogotá den kolumbianischen Staat zur Einhaltung seiner Verpflichtungen und Schutzfunktionen gegenüber Jorge Molano. Trotzdem haben bisher weder Molano noch Romero eine Antwort auf ihre Petition an das Innenministerium erhalten, in der sie eine öffentliche Erklärung nach staatlichem Rückhalt und Anerkennung ihrer Arbeit verlangen.

Der erneute Abhörskandal gefährdet die kolumbianischen Friedensverhandlungen an denen auch zivilgesellschaftliche Gruppen aktiv mitwirken. Menschenrechtsorganisationen und Kirchen fordern vom kolumbianischen Staat, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Verantwortlichen für die illegalen Aktionen zur Rechenschaft zu ziehen. Präsident Santos verurteilte die Abhörungen – von denen er auch selbst betroffen scheint – als Sabotageakt gegen den Friedensprozess.

Vor einigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, an einen friedlichen Ausweg des festgefahrenen Konflikts zu denken. Heute erscheint dieser Traum näher denn je. Aber es ist wichtig, dass dieser Traum keine Brüche bekommt; es ist wichtig die Menschen dabei zu unterstützen, einen dauerhaften Frieden zu erlangen, der nicht nur die Waffen zum Schweigen bringt, sondern die Gründe für den Konflikt bekämpft, die oftmals in der sozialen Ungleichheit und wirtschaftlichen Ausbeutung liegen. Auf diesem Weg begleitet pbi AnwältInnen, Opfer und MenschenrechtsverteidigerInnen bei ihrer gefährlichen und schwierigen Arbeit.

Text: Stephan Kroener


Quellen:

1) Semana: Colectivo de Abogados: documento es apócrifo, 08.11.2013.

2) El Tiempo: Chuzadas la historia sin fin, 05.02.2014.

3) Radio Nizkor: Comunicado del Equipo Nizkor frente a la desaparición de archivos de inteligencia y contrainteligencia del DAS, 27.06.2014.

4) dHColombia: Abogados representantes judiciales de victimas suspenden sus actividades ante la falta de garantías, 15.05.2014.

5) Colombia Caravana UK Lawyers Group: Caravana calls for urgent protection for Jorge Molano and Germán Romero, 30.05.2014.