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09.03.2017 - „Mir hat man den Nobelpreis verliehen, um die Stille zu durchbrechen. Das ist das, was ich seit 25 Jahren mache, aber das Landproblem konnten wir bis jetzt nicht lösen und es wird eines der drängendsten Probleme in den nächsten Jahren bleiben.“ Diese Worte sprach die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú vergangenen Monat auf dem 16. World Summit of Nobel Peace Laureates (Gipfeltreffen der Friedensnobelpreisträger_innen) in Bogotá.

Rigoberta Menchu (3. von links)Rigoberta stammt aus Guatemala und kämpfte dort jahrzehntelang für soziale Gerechtigkeit und indigene Rechte. Guatemala steht symptomatisch für die Situation in der ganzen Region. Erst vor kurzem wurde der 20. Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrages gefeiert, der einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg beendete. Trotzdem kann von einem (sozialen) Frieden in dem zentralamerikanischen Land keine Rede sein.

Rigoberta wurde mehrfach von pbi begleitet, bevor sie 1992 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. pbi verließ Ende der 90er das Land, da man davon ausging, dass sich die Lage mit dem Friedensvertrag weiter entspannen würde. Doch wurde pbi nur wenige Jahre später erneut von guatemaltekischen NGOs angefragt und gebeten Menschenrechtsverteidiger_innen zu begleiten.

Umwelt- und Landrechtsaktivist_innen stehen seitdem besonders im Fokus von Bedrohungen und Gewalt. Das letzte Opfer dieser Mordkampagne war vergangenen Monat Laura Leonor Vásquez Pineda. Sie hatte sich vehement gegen ein Bergbauprojekt einer kanadischen Firma in der Nähe von El Escobal im Südosten des Landes gewehrt. Ihr Tod steht in einer langen Reihe von Morden an Umweltaktivist_innen, die sich gegen die Interessen mächtiger Bergbau-, Energie-, Holz- oder Agrarkonzerne wehren.

Die internationale NGO Global Witness macht seit Jahren darauf aufmerksam, dass die Morde an Umweltaktivist_innen stetig zunehmen. In ihrer letzten veröffentlichten Studie erarbeitete sie für insgesamt 16 Länder — darunter sieben lateinamerikanische – eine beängstigende Statistik. Allein in diesen Ländern starben 185 Umweltaktivist_innen im Jahr 2015, mutmaßlich im Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Global Witness hält damit 2015 für das bisher blutigste Jahr für Umweltaktivist_innen.

Lateinamerika ist dabei tragischer Spitzenreiter. Brasilien die traurige Nummer eins mit allein 50 Morden, danach folgen Kolumbien (26), Guatemala (10), Honduras (8) und Mexiko (4). Rechnet man die Morde auf die Pro-Kopf-Einwohnerzahl um, zeigt sich, dass Guatemala und Honduras die (lebens-)gefährlichsten Arbeitsgebiete für Umweltaktivist_innen sind.

Um die Tragweite dieser nackten Zahlen zu begreifen, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass hinter jeder Zahl ein Mensch steht, der sein Leben für das Recht auf eine intakte Umwelt gegeben hat. Menschen, die sich gegen kapitalistische Interessen von Großkonzernen und den Ressourcenhunger vor allem der Industriestaaten gestellt haben.

pbi widmet sich deshalb seit längerem besonders dem Themenkomplex „Wirtschaft und Menschenrechte“, der auch eine wichtige Rolle bei der Menschenrechtsdebatte auf internationaler Ebene und in der Bundesrepublik spielt. Ein Fall erregte dabei besondere Aufmerksamkeit: Der Mord an der honduranischen Menschenrechtsverteidigerin und Landrechtsaktivistin Berta Cáceres.

Bertas Tod jährte sich erstmals Anfang diesen Monats. Bisher wurden zwar mehrere Verdächtige verhaftet, allerdings sind die Hintermänner und Auftraggeber weiterhin auf freiem Fuß. Da die Gefassten allesamt ehemalige Militärs sind oder Verbindungen zu dem Staudammprojekt haben, gegen das sich Berta und ihre NGO zur Wehr setzte, liegt die Vermutung nahe, dass sie aufgrund dieser Arbeit ermordet wurde. Die Direktorin der Arbeitsregion von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, erläutert: „Die schleppende und intransparente Aufklärungsarbeit nach dem Mord an Berta vermittelt die Botschaft, dass ein so hinterhältiger Mord, an jemandem der sich gegen mächtige Wirtschaftsinteressen stellt, in der Praxis erlaubt ist.“

Wie sehr sie damit Recht hat, wird daraus ersichtlich, dass die Mörder nicht mal mehr davor zurückschrecken, Preisträger_innen des international renommierten Goldman Umweltauszeichnung zu ermorden. Berta gewann den Preis nur wenige Monate vor ihrer Ermordung, er sollte ihr Engagement und ihr öffentliches Profil bekannter machen – und sie schützen.

Doch auch dieses Jahr wurde wieder ein bekannter Menschenrechtsaktivist und Preisträger ermordet. In Mexiko starb der Umweltaktivist Isidro Baldenegro López, er widersetzte sich der Abholzung der Wälder seiner Heimat im Bundesstaat Chihuahua. So sehen sich Guatemala, Honduras und Mexiko einer traurigen Realität gegenüber, die sie mit Kolumbien, Brasilien und vielen weiteren teilen.

pbi erhält aus diesem Grund auch verstärkt Anfragen von NGOs, die sich mit der Problematik Wirtschaft und Menschenrechte auseinandersetzen. Es ist bekannt, dass große Projekte beispielsweise im Bereich Bergbau, Infrastruktur, Agrarindustrie, Wasser und Windkraft mit einem Ansteigen von Bedrohungen und Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger_innen einhergehen.

Viele der Angreifer wurden von den pbi-Begleiteten als nicht-staatliche Gewaltakteure identifiziert, wie Paramilitärs, private Sicherheitskräfte und Gruppen der organisierten Kriminalität. Die kolumbianische NGO Somos Defensores errechnete in einer Studie für das erste Trimester 2016, dass 63 Prozent der Morde an Menschenrechtsverteidiger_innen in Kolumbien mutmaßlich von Neoparamilitärs verübt wurden. Diese stecken oft mit korrupten staatlichen Stellen unter einer Decke.

Fälle von Gewalt und Druck auf die Gemeinden und Menschenrechtsverteidiger_innen werden meistens nicht oder nur unzureichend gerichtlich verfolgt. Nach dem neuesten Bericht von Front Line Defenders stehen 41 Prozent der Morde an Menschenrechtsaktivist_innen in Lateinamerika in Verbindung mit der Verteidigung von Umwelt-, Land- oder indigenen Rechten.

Es ist deswegen kein Zufall, dass pbi in vier der sieben am heftigsten von Morden an Umweltaktivist_innen betroffenen Ländern aktiv Menschenrechtsverteidiger_innen begleitet. Und hier schließt sich auch wieder der Kreis zu der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Der Frieden in Kolumbien wird ähnlich wie in Guatemala neue Konflikte schaffen oder bereits bestehende verschärfen.

Der bewaffnete Konflikt mit der Guerilla „schützte“ manche Gebiete vor dem Ressourcenhunger multinationaler Konzerne. Diese könnten ihren Appetit nun nach dem Abzug der Guerilleros stillen wollen. Unterstützt werden sie dabei von den großen Plänen eines weiteren Nobelpreisträgers, dem kolumbianischen Präsidenten Santos, der sein Land mit einer „Locomotora Minera“ industriell pflügen will.

Keinesfalls sollte man dabei die Schandtaten der Guerilla verschweigen und sie als ökologische grüne Engel mythologisieren, wie sie es selbst neuerdings versucht. Auch sie sind tief in den Kokaanbau und den illegalen Ressourcenabbau verstrickt und haben damit und mit ihrem rücksichtlosen Terrorismus – beispielsweise gegen Ölpipelines – verheerende Schäden an empfindlichen Ökosystemen verursacht.

Trotzdem wird der Abzug der Guerilleros ein gefährliches Machtvakuum entstehen lassen. Eine Studie der kolumbianischen Universität del Valle unterstreicht diese Gefahr und zählt 115 sozioökologische Konfliktprojekte auf. Nach dem Environmental Justice Atlas erzielt Kolumbien damit in dieser Kategorie zumindest in Lateinamerika den negativen Spitzenrang. Zwei besonders gefährdete Gebiete sind die Golfregion des Urabá im Nordwesten und der Magdalena Medio im Zentrum des Landes. In beiden Regionen begleitet pbi aktiv Menschenrechtsverteidiger_innen. Die am heftigsten von umweltbelastenden Großprojekten betroffenen Bevölkerungsgruppen sind bäuerliche und afrokolumbianische Gemeinden sowie Indigene.

Dies zeigt auch der Fakt, dass auffallend viele der ermordeten Umweltaktivist_innen Indigene waren, für die ihr Land noch eine weitere, eine spirituelle Bedeutung hat. Isidro gehörte den Tarahumaras an, knapp 30 Jahre vor seinem Tod wurde schon sein Vater ebenfalls aufgrund seines Engagements gegen die Waldrodungen ermordet. Berta gehört den Laras an, die zur Mayakultur zählen, der auch die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta angehört. Bertas Tochter Laura übernimmt nun den Platz und die Stimme ihrer Mutter und setzt sich weiter gegen die Umweltzerstörungen in ihrer Heimat ein. Es liegt an uns und der internationalen Gemeinschaft sie dabei zu unterstützen und zu schützen. Ein sozialer Frieden ist nur in einer intakten Umwelt möglich.

Text: Stephan Kroener
 

Weitere Quellen und interessante Artikel zum Thema:

>> Dokumentarfilm von pbi über Landrechte in Lateinamerika
>> Gewaltfreier Widerstand gegen Goldmine in La Puya, Guatemala

>> Goldman Environmental Prize
>> Artikel über Gefahren für Umweltaktivist_innen in Kolumbien
>> Artikel über Morde an Umweltaktivist_innen in Kolumbien