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Wenn deine Sexualität dein Todesurteil ist – Die Gewalt gegen sexuelle Minderheiten in Honduras hält an

Wenn deine Sexualität dein Todesurteil ist – Die Gewalt gegen sexuelle Minderheiten in Honduras hält an

17.11.2015 - pbi-Honduras: Die Empörten demonstrieren wieder gegen die Untätigkeit und Arroganz des Staates. Zehntausende sollen es sein. In vielen Städten des Landes hat sich der Ruf der empörten Bürger_innen ausgebreitet und eine landesweite Bewegung ausgelöst. Nein, hier ist nicht die Rede von den schwarz, rot, goldenen PEGIDA-Wutbürger_innen. Diese Bürgerbewegung kämpft weit weg von Dresden für Demokratie und Bürgerrechte und gegen Korruption und Menschenrechtsverbrechen.

Einer von ihnen sprach Anfang Oktober in München. Donny Reyes wurde bei seiner politischen Besuchsreise durch Europa vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit und den peace brigades international (pbi) in die bayrische Landeshauptstadt eingeladen. Vor einem kleinen Kreis sprach er über die Situation in seinem Land. In Honduras hat sich die politische Lage nach dem Staatsstreich von 2009 erheblich verschlechtert. Reyes tritt dabei für die Menschenrechte einer besonders gefährdeten Gruppe ein, die LGBTIQ-Gemeinschaft (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle). Zusammen mit anderen Gleichgesinnten gründete er 2003 die Organisation Arcoiris (zu Deutsch Regenbogen), die sich aktiv für die Rechte der LGBTIQ-Community einsetzt.

Diese Menschen stehen mit ihrem Anspruch nach freier Entscheidung über ihre sexuelle Identität der Annahme der Heteronormativität entgegen, nach der die ausschließliche binäre Geschlechterteilung „normal“ sei. In fast allen lateinamerikanischen Gesellschaften (aber nicht nur dort) werden sie deswegen diskriminiert und verachtet. Das kulturell stark verankerte Machodenken und die traditionellen Männlichkeitsbilder lassen keine Abweichungen von vorgegebenen Denkstrukturen zu. Alles, was gegen die (Hetero-)Normativität verstößt, wird als minderwertig und anstößig betrachtet und abgelehnt. Diese Ablehnung kann sich in harmlosen Witzen und dreisten Beschimpfungen bis hin zu gewaltsamen, heterofundamentalistischen Ausschreitungen und Hassmorden äußern. In den letzten sieben Jahren wurden mehr als 210 Mitglieder der LGBTI*-Community in Honduras ermordet. Davon allein 198 nach dem Staatsstreich von 2009.

Eines der letzten Opfer dieser so genannten hate crimes (Hassverbrechen) war die Aktivistin und Transsexuelle Angy Ferreira. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni diesen Jahres besuchte sie mit mehreren Freundinnen ein Restaurant in Comayagüela, eine Stadt im Ballungsgebiet der Hauptstadt Tegucigalpa. Beim Verlassen des Restaurants wurden sie von einer Gruppe Männer angesprochen. Mit deutlichen Worten forderten die Männer sie auf, mitzukommen. Die Freundinnen weigerten sich, und versuchten ihnen aus dem Weg zu gehen. Dann begannen die Männer, sie zu beschimpfen und anzupöbeln. Die Frauen wichen ihnen aus und beschleunigten ihre Schritte. Doch ein paar Straßen weiter hielt neben ihnen ein dunkler Lieferwagen. Ohne weitere Worte schossen die Männer aus dem Wagen auf Angy. Ihre Freundinnen retteten sich in die nahegelegene Uferböschung. Sie hörten die schwerverletzte Angy um Hilfe schreien. Nachdem sie sich versichert hatten, dass der Lieferwagen weg war, liefen sie zu ihr. Eine herbeigeeilte Polizeistreife ließ sie aber nicht durch. Mehr noch, die Polizei verweigerte Angy Erste Hilfe mit der Begründung, dass sie sowieso sterben würde, so Reyes.

Angy wurde nur 26 Jahre alt. Sie war ein aktives Mitglied in der LGBTIQ-Szene und engagierte sich als Koordinatorin der Trans*Frauen-Gruppe für die Menschenrechtsarbeit von Arcoiris. Reyes kannte sie gut und auch wenn er die Geschichte in München mit ruhigen Worten erzählte, merkte man ihm die Trauer über den Verlust der Freundin deutlich an. Die Anwesenden fragten ihn nach dem Verbleib der Zeuginnen und Freundinnen von Angy. Eine von ihnen sei nur wenige Tage später zusammengeschlagen worden und musste im Krankenhaus behandelt werden. Zwei Wochen nach dem Tod von Angy wurde eine weitere Augenzeugin ermordet. Zwei andere seien daraufhin ins Ausland geflohen.
Seit dem Tod von Angy wurden mindestens vier weitere LGBTIQ-Menschenrechtsverteidiger_innen ermordet.

„In Honduras gelten die Menschenrechtsverteidiger der LGBT als Gefährder der sozialen Ordnung. Ihre gesellschaftliche Ausgrenzung hat seit dem Militärputsch von Juni 2009 signifikant zugenommen. Immer wieder war LGTB (sic.) Arcoiris das Ziel medialer Schmierkampagnen und brutaler Übergriffe durch Regierungsstellen. Kaum einmal werden solche Angriffe strafrechtlich verfolgt oder führen gar zu einem gerichtlichen Urteil.“ (Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte)

Auch Reyes wurde mehrfach Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Er prangert seit langem die Schikanen und Exzesse der Polizei an. Dies brachte ihn in die Schusslinie. 2007 wurde er aus fadenscheinigen Gründen verhaftet und in Untersuchungshaft mehrfach von Mitgefangenen misshandelt und vergewaltigt. Die Polizei griff wie bei anderen Fällen dieser Art nicht ein. Doch Reyes zeigte die Polizist_innen an und wurde so zum ersten honduranischen Homosexuellen, der die Polizei wegen dieser Art von Fällen vor Gericht brachte. Mehrfach wurde er bedroht. 2012 entging er nur knapp einem Mordanschlag. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) ordnete Schutzmechanismen für Reyes an, die aber vom honduranischen Staat nie effektiv und den Bedürfnissen der Betroffenen entsprechend umgesetzt wurden.

Aufgrund der Bedrohungslage floh er 2014 ins Ausland. In Deutschland erhielt er ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und lebte über ein halbes Jahr in der Hansestadt. Von hier aus arbeitete er zu Menschenrechtsthemen und der Situation in seinem Land. Doch die Ferne, das Zurücklassen seines Lebenspartners und das Gefühl mehr für die Freund_innen von Arcoiris tun zu müssen, veranlassten ihn, sein Asyl aufzugeben und zurück nach Honduras zu fliegen.

Zusammen mit weiteren Engagierten hatte er zuvor schon das Haus „Arcoiris“ gegründet. Dort kann sich die verfolgte LGBTIQ-Community treffen, sich austauschen, Strategien entwickeln und einfach mal sich selbst sein und ausruhen. Für viele ist dies das erste Mal, dass sie ohne Furcht über ihre Gefühle und Ängste sprechen können. Dieser Freiraum wurde in der vergangenen Zeit mehrfach angegriffen. Bei einem Einbruch im September 2013 wurden Computer, Kameras und Festplatten entwendet, die Material über die Arbeit von Arcoiris und auch von Arcoiris gasammelte Daten zu Übergriffen  gegen die LGBTIQ-Gemeinschaft enthielten.

Auch bei diesen Fällen blieb die Polizei tatenlos. Reyes erklärte, dass die örtlichen Behörden ihm mitgeteilt hätten, dass das für sein Viertel zuständige Polizeirevier leider kein Benzin hätte, um zum Tatort zu fahren. „Ausreden“ klagt er, „der Staat will uns nicht helfen“. In Honduras herrscht eine völlige Straflosigkeit im Bezug auf sexualisierte Gewalt, egal gegen wen sich diese richte. Dies wird auch in den Statistiken der so genannten feminicidios (Frauenmorde) deutlich. „Alle 17 Stunden wird in Honduras eine Frau ermordet“, berichtet Reyes. Aufgrund der Bedrohungssituation und um Reyes seine Arbeit im Land zu ermöglichen, bietet pbi ihm seit vier Monaten eine punktuelle Schutzbegleitung mit internationalen Freiwilligenteams. Dies stärkt ihn in seinem Engagement für ein besseres Honduras, denn für ihn ist es „keine Option, den Kampf aufzugeben“.

Text: Stephan Kroener


Weitere Quellen:
Honduras: WHRDIC condemns the killings of LGBTIQ rights defenders in Honduras. In OMCT, 07.10.2015
Proteste gegen Korruption in Honduras: „Empörte“ fordern UN-Kommission. In: taz, 15.09.2015.
Honduras: matan otro activista gay en menos de 3 días. In: La Prensa, 26.06.2015.
Interview mit Donny Reyes Velasquez, Honduras: „Wir wollen, dass unsere menschliche Würde respektiert wird“. In: pbi-Rundbrief Sommer 2015
Den Kampf aufgeben, ist keine Option! Gespräch mit dem honduranischen LGBTIQ-Aktivisten Donny Reyes. In: Info-Blatt Nr. 83 „Frieden und dann…“, Ökumenisches Büro Mai 2015.
Der Unerschrockene. In: taz, 23.09.2014.