03.05.2023 – Carlos Ernesto Choc Chub, kurz Carlos Choc, ist ein guatemaltekischer Journalist und Menschenrechtsverteidiger, welcher der indigenen Gemeinschaft der Maya-Q’eqchi‘ angehört. Seit er über die Auswirkungen der Nickelmine der Solway Investment Group auf den Izabal-See, seine Umgebung und die Bevölkerung von El Estor berichtet, wird er verfolgt und kriminalisiert. Im Zuge seiner Besuchsreise nach Europa hat pbi mit ihm gesprochen.
Seit Jahren sorgt die Nickelmine Fénix des Schweizer Bergbauunternehmens Solway Investment Group für Konflikte. Die Bevölkerung in El Estor kämpft um ihre Lebensgrundlage, die durch Luftverschmutzung, die Rodung von Wäldern und die Verunreinigung des Izabal-Sees durch die Mine bedroht wird – mit verheerenden Folgen. Bei einer Protestwelle im Jahr 2017 wurde der Fischer Carlos Maaz erschossen. Carlos Choc‘ Berichterstattung über die Situation in seiner Heimatstadt El Estor führte dazu, dass er seitdem nicht mehr in seiner Gemeinde leben kann und strafrechtlich verfolgt wird.
Obwohl sich Carlos seitdem nicht mehr so frei arbeiten kann wie zuvor, hat er in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Forbidden Stories 2022 einen Bericht über die Verbindung der Solway Investment Group zu Unternehmen in Europa welche Nickel aus der Fénix-Mine bezogen haben, veröffentlicht. Auf seiner Besuchsreise nach Europa hat Carlos Choc mit pbi über die aktuelle Lage der Presse- und Meinungsfreiheit in Guatemala und seine Arbeit als kommunitärer Journalist gesprochen.
1. Hallo Carlos, es ist uns eine Freude heute mit dir ein Interview führen zu dürfen! Was kannst du uns über dich und deine Arbeit erzählen und warum bist du heute hier mit pbi?
Ich bin Carlos Ernesto Choc Chub, ein Maya Q’eqchi‘-Journalist. Für mich ist besonders Kommunikation wichtig – und der kommunitäre Journalismus der Maya. Der kommunitäre Journalismus ist auch daher so wichtig, da er sich verstärkt Umweltthemen widmet und einen Fokus auf Menschenrechte setzt.
2. Du bezeichnest dich selber als kommunitärer Journalist der Maya-Q’eqchi‘– was bedeutet diese Bezeichnung für dich?
Ich identifiziere mich als Maya-Journalist, oder kommunitärer (Anm. der Red: von Gemeinschaft) Journalist, weil es ein Teil von mir ist. Der kommunitäre Journalismus war und ist in der Weiterentwicklung von Kommunikation sehr wichtig gewesen. Über die Themen zu sprechen, die der Gemeinschaft wichtig sind, und sich damit zu identifizieren – auch, weil man selber Teil der Gemeinschaft ist. Da ich mich so bezeichne, widme ich meine journalistische Arbeit auch den Territorien meiner Gemeinschaft, und berichte über diese.
3. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist stark beeinträchtigt durch die politische Situation im Land in den vergangenen Monaten. Wie hat sich das auf die Berichterstattung und deine Arbeit ausgewirkt?
Guatemala ist ein Land, in dem es keine Garantie auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gibt. Es gibt auch keine Garantie auf die Einhaltung der Pressefreiheit. Jedes Jahr gibt es mehr Angriffe, sowohl physische als auch strafrechtliche Verfolgung, Bedrohungen und sogar Morde an Journalist:innen. Von 2015 bis 2023 haben die Angriffe auf die Presse zugenommen. Diese Einschränkungen und die starke Aggression gegen Journalist:innen in meinem Land beeinträchtigen natürlich auch meine Arbeit. Weil ich 2017 die Verschmutzung des Izabal-Sees untersucht und den Mord an einem Fischer dokumentiert habe, der von der Polizei und den Behörden umgebracht worden war, kam es in der Folgezeit zu Denunziationen und Drohungen gegen mich, und es kam auch zu einem strafrechtlichen Prozess. Aktuell befinde ich mich unter sogenannten „Ersatzmaßnahmen“, und diese schränken mich sehr in meinem täglichen Leben ein. Ich kann mich zum Beispiel nicht frei bewegen und muss mich alle 30 Tage beim öffentlichen Amt melden. Das dient der Kontrolle meiner Arbeit – sie beobachten aufmerksam, was ich veröffentliche und was ich tue, um schnell einschreiten zu können, wenn ihnen etwas nicht passt. Zum Beispiel können sie, sobald ich Artikel oder Publikationen veröffentliche, mir innerhalb weniger Stunden nach einer Veröffentlichung neue strafrechtliche Prozesse ansetzen. Die Situation, in der wir in Guatemala leben, ist also sehr ernst.
4. Die Einschränkungen und die Repressionen gegen Journalist:innen sind im allgemeinen gravierend – aber wie wirkt sich das dann auch noch auf die Mobilisierung der Bevölkerung aus, zum Beispiel in El Estor? Und wenn dem Journalismus Handschellen angelegt werden, nimmt dies auch weitgehend der Gemeinschaft die Stimme? Und wirkt sich dies auch auf die Mobilisierung der Gemeinschaft aus?
Die Mobilisierung der Gemeinschaft ist sehr wichtig. Gemeinschaften in Lateinamerika, und besonders in Guatemala, wie Maya, Xinka und Garífuna, bringen so gemeinsam an einem Ort ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Die Regierung unetrstützt extraktivistische Unternehmen, darunter auch transnationale Unternehmen, aber sie konsultiert in den gleichen Prozessen nicht die Gemeinden. Daher müssen diese Gemeinden ihre Stimme erheben, sie müssen sich organisieren und mobilisieren, damit der Staat ihnen zuhört. Aber die Antwort des Staates auf diese Mobilisierung ist oft kriminelle Verfolgung von Verteidiger:innen und auch die Zensur von Journalist:innen. Dies bindet ihnen die Hände, um bei der Mobilisierung der Gemeinden mitzuhelfen.
Unter europäischen Journalistenkolleg:innen gibt es ein sehr bekanntes Sprichwort: Sie können dich als Journalist:in einsperren, sie können dich sogar umbringen – aber sie können die Geschichte nicht zum Schweigen bringen und sie können sie auch nicht verstecken. Die Gemeinschaft verliert viel, wenn ein:e Journalist:in im Gefängnis sitzt, welche:r über die Realität in den Gemeinschaften berichtet – wie die Vernachlässigung des Staates in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Unterernährung und so weiter.
Auch der Umgang mit der Umwelt ist ein wichtiges Thema, denn meine Gemeinschaft, das Volk der Q’eqchi‘, ist sehr besorgt über den Klimawandel. Sie können beispielsweise nicht mehr wie früher zwei Mal im Jahr ernten. Das Umweltthema und der Klimawandel beeinträchtigt die Gemeinden stark, und ist auch ein Grund zur Besorgnis. Aber auch, wenn sie eine:n Journalist:in aus der Gemeinschaft zensieren, gibt es andere, die die Arbeit fortsetzen können – das ist sehr wichtig. Daher ist es auch sehr wichtig, das Wissen zu teilen. Und es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass die Gemeinschaft viel verliert, wenn andere Journalistenkolleg:innen die Recherchen nicht weiterführen.
5. Bei all der Repression und den Einschränkungen – was motiviert Sie ihre Arbeit weiterzuführen?
Nun, in der aktuellen Situation stehe ich Repressionen und zwei Strafverfahren gegenüber– aktuell befinde ich mich unter Ersatzmaßnahmen, und bin auch in ein Strafverfahren verwickelt. Aber es hat sich gezeigt, dass ich unschuldig bin. Dass ich Journalist bin und eben kein Krimineller – der Staat aber dafür schon, und Unternehmen wie die Solway Investment Group. Die Kriminalisierung meiner Person und die damit einhergehende strafrechtliche Verfolgung führt aber auch teilweise zur Resignation. Es nimmt einem die Lust, weiterhin journalistisch tätig zu sein. Aber ich kann euch etwas Interessantes zu uns Journalist:innen erzählen: Zunächst einmal geht es im Journalismus nicht nur um Fotos und auch nicht nur um schöne Dinge, die man zeigen kann. Journalismus hat auch seine Risiken – und das wissen wir als Journalist:innen natürlich. Aber meine Motivation kommt aus meinem Gemeinschaftshintergrund, denn ich bin Maya Q’eqchi‘. Und wir Mayas haben eine Verbindung zur Natur. Wir lieben die Natur. Für uns sind die Flüsse unsere Brüder, ein Teil unserer Familie. Und diese Liebe, dieses Gefühl der Zugehörigkeit motiviert mich. Und zum Journalismus gehört auch eine Leidenschaft. Leidenschaft und Überzeugung bringen die nötige Motivation, und bei mir eben auch die Verbindung zur Mutter Natur.
6. Am 25. Juni finden in Guatemala Wahlen statt. Welche Erwartungen oder auch Befürchtungen hast du diesbezüglich?
Ich glaube, dass die Wahlen nicht frei sein werden. Der Grund, warum sie nicht frei sein werden, ist die totale Zensur, die im Moment bezüglich der Wahl vorherrscht, aber auch der Ausschluss von Kandidat:innen, welche sich für die Bevölkerung einsetzen. Es gibt auch Abgeordnete, die wiedergewählt werden wollen – aber da sie in ihrer jetzigen Amtszeit die Macht zu sehr in Frage gestellt haben, wird eine Wiederwahl für sie sehr erschwert. Zu den „Mächtigen“ zählt in Guatemala unter anderem auch der sogenannte „Pakt der Korrupten“, eine Gruppe von Abgeordneten, welche zur Regierungspartei der jeweiligen Partei übergelaufen sind. Diese Abgeordneten sind auch in den Drogenhandel verwickelt und werden mit Geldwäsche in Verbindung gebracht, und, naja – mit anderen schrecklichen Dingen. Aber diese Abgeordneten müssen keine Hindernisse im Wahlkampf befürchten, obwohl sie sogar von den Vereinten Staaten auf der sogenannten „Liste Engels“ festgehalten werden. Auf dieser Liste sind guatemaltekische Personen, welche sich der Korruption schuldig gemacht haben. Und obwohl diese Abgeordneten beschuldigt werden, antidemokratisch zu sein, werden sie wiedergewählt. Und das System des obersten Wahlgerichts, welches eigentlich die gesamte Wahlaktivität kontrolliert, erlaubt es ihnen weiterhin, sich im Wahlkampf zu registrieren, während sich andere Abgeordnete, die die eigentlichen Anliegen der Bevölkerung vertreten, sich nicht registrieren dürfen.
Es gibt also in Guatemala, wie ich sagen würde, eine demokratische Krise. Es gibt keine Demokratie – diese ist nur eine Fassade. Das Volk hat angeblich die Wahl – aber eigentlich nur, den „Pakt der Korrupten“ zu wählen. Und die Regierung fährt ihren aktuellen Kurs fort.
7. Welche Unterstützung können euch dann beispielsweise Akteure der internationalen Gemeinschaft und Organisationen wie pbi geben, damit du deine Arbeit fortsetzen kannst? Auch bezüglich der Sicherheit bei der Ausführung dieser Arbeit?
Die internationale Unterstützung durch Organisationen ist sehr wichtig – gerade auch die von pbi, welche uns in unseren Territorien und vor Ort begleiten. Auch die Beobachtung von Gerichtsverhandlungen und die Begleitung von von Anwält:innen ist sehr wichtig, denn auch sie sind Gefahren ausgesetzt, wenn sie Fälle von Menschenrechtsverteidiger:innen und Journalist:innen übernehmen. Ich denke, dass die Begleitung, aber auch die beobachtende Teilhabe der aktuellen Situation, in welcher sich Menschenrechtsverteidiger:innen befinden, diesen sehr hilft – gerade auch, wenn manche vielleicht ins Exil müssen. Aber das Wichtigste ist auch die politische Lobbyarbeit, welche außerhalb Guatemalas und durch Organisationen wie zum Beispiel pbi geleistet wird.
Auch Aktionen der Zivilgesellschaft spielen eine wichtige Rolle – der Zivilgesellschaft von Ländern, welche demokratisch sind und unserem Land zeigen und sagen können, dass das absolut gravierend ist, was es aktuell tut, absolut gravierend ist. Dies geht auch über die Botschaften der Länder. Und wenn Handelsbeziehungen bestehen, muss auch hier geschaut werden, wie man mit der aktuellen Situation in Guatemala umgeht.
8. Und als letzte Frage: Was spendet dir Kraft und Hoffnung für deine Arbeit als kommunitärer Journalist der Maya-Q’eqchi‘, aber auch allgemein für deine politische Arbeit?
Etwas sehr Wichtiges, das die Mayas in Guatemala haben, ist unsere Kosmovision. Es gibt zum Beispiel Momente, in denen man bei all dem, über was wir gesprochen haben, entmutigt wird. Dann greifen wir auf unsere innere Stärke zurück. Wir Maya haben sogenannte Nahuales. Unsere Großeltern lehren uns, sich mit diesen Nahuales zu verbinden und so Zugang zu unserer inneren Stärke zu bekommen. Bei Zeremonien bringen wir beispielsweise Opfergaben dar. Dabei wird ein Feuer entfacht und ein geistlicher Führer der Maya ist anwesend. Und wir beginnen, uns mit Mutter Natur zu verbinden, und sie gibt uns die Kraft von Mutter Erde. Wir verbinden uns dann auch mit den Nahuales und unseren Großeltern über das Feuer. Aus dieser Zeremonie kommt man immer mit viel Kraft heraus. Und da dieser Kampf, dieser Widerstand, den wir heute leben, nicht erst mit uns begonnen hat, sondern schon von den Generationen vor uns, also über Jahrhunderte begangen wurde, nehmen wir auch die Kraft aus dem Jenseits, von unseren Vorfahren, mit uns. Und ich glaube zum Ende des Interviews ist es auch gut, euch das Wort Matán mitzugeben. Ein Matán ist ein Geschenk unserer Vorfahren – beziehungsweise, man kann es als „Geschenk“ übersetzen, aber es ist nichts zum Anfassen oder Fühlen. Es ist quasi eine Bestimmung, oder vielleicht auch eine Pflicht, deine Funktion für die Gemeinschaft zu finden.
Unsere Stärke, die Stärke in meiner Gemeinschaft kommt aus dem Inneren, aus dem Jenseits. Und da wir diese Stärke haben, werden die wir, die Maya, umso stärker, je mehr man uns unterdrückt.
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