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16.07.2022 – Seit den 1960er Jahren herrscht in Westpapua, Indonesien, ein Unabhängigkeitskonflikt. Indigene Gemeinschaften werden von Angehörigen der Polizei und des Militärs unterdrückt und misshandelt. Besonders Frauen sind dabei immenser Gewalt ausgesetzt. Doch obwohl die patriarchalen Strukturen den Widerstand dagegen erheblich erschweren, organisieren sie sich in Netzwerken und Bündnissen, um für ihre Rechte und Freiheiten zu kämpfen.

„Mein Herz ist blau. Es will nicht heilen von der Gewalt, die mir angetan wurde.“ Mit diesen Worten beschreibt eine Frau aus Westpapua die Angst, die sie verspürt, seit Soldaten des indonesischen Militärs vor über 40 Jahren ihr Dorf niedergebrannt haben. Sie war damals 10 Jahre alt, doch die äußeren und inneren Narben haben Bestand. Und auch an der politischen Situation in Westpapua hat sich seither nur wenig verändert.

Ein Konflikt im Verborgenen

Zwei junge Frauen im P3W in Jayapura, einem Zentrum für die Förderung von FrauenNach­dem West­papua im Jahr 1962 die Unabhängig­keit von den Nieder­landen erlangte, ging die Region auf inter­nationalen Druck hin an Indo­nesien über, das Anspruch darauf erhob. Seither ist die poli­tische Situation geprägt von gewalt­samen Konflikten zwischen der Zentral­regierung Indo­nesiens und lokalen Gruppen, die nach Un­abhängig­keit streben. Gleich­zeitig wirkt sich eine dauer­haft hohe Polizei- und Militär­präsenz unmittelbar auf das Leben der indi­genen Gemein­schaften West­papuas aus: Sie werden von den staat­lichen Kräften unter­drückt, miss­handelt und getötet. Manche Menschen­rechts­organisationen sprechen dabei gar von einem Genozid, dem bereits bis zu einer halben Million Menschen zum Opfer gefallen sind.

All dies geschieht jedoch abseits der internationalen Öffentlichkeit, denn der indonesische Staat gewährt Journalist:innen und Organisationen aus dem Ausland seit 2003 wenn überhaupt nur noch eingeschränkten Zugang zu diesem Teil des Landes.

Flucht als Folge tiefgreifender Konflikte

Eine der sichtbarsten Folgen der langjährigen Auseinandersetzung ist die enorme, innerstaatliche Fluchtbewegung. Seit der Verschärfung des Konflikts im Jahr 2018 befinden sich schätzungsweise 60.000 bis 100.000 Papuas auf der Flucht, darunter viele Frauen und Kinder. Ein Großteil dieser Menschen harrt in abgelegenen Gebieten in den Hochebenen aus, ohne regelmäßigen Zugang zu Nahrung, Wasser und jeglicher Gesundheitsversorgung. Auf der anderen Seite führen staatliche Migrationsprogramme seit der Übernahme Westpapuas 1963 dazu, dass immer mehr Menschen aus verschiedenen Teilen Indonesiens in die Region migrieren und die indigene Bevölkerung zurückgedrängt wird. Nicht zuletzt die zahlreichen Agrar-, Rohstoff- und Industrieprojekte haben diesen Zulauf verstärkt und gleichzeitig die Lebensräume der indigenen Bevölkerung zerstört und Fluchtbewegungen ausgelöst.

Neben der politisch-wirtschaftlichen Dimension des Konflikts ist es auch der tief verwurzelte Rassismus gegenüber indigenen Bevölkerungsteilen, der die fortlaufenden Repressionen und Menschenrechtsverletzungen in Westpapua bedingt. Immer wieder kommt es im gesamten Land zu rassistischen Übergriffen und Diskriminierungen, auch durch staatliche Akteur:innen. Dies hat zur Folge, dass ein Teil der indonesischen Bevölkerung die Papuas als Menschen zweiter Klasse betrachtet, wodurch das große Leid, dass ihnen zugefügt wird, relativiert oder gar legitimiert wird. In diesem Konflikt sind es insbesondere Frauen, die immenser, multidimensionaler Gewalt ausgesetzt sind, sowohl auf staatlicher und struktureller als auch auf häuslicher Ebene.

Frauen sind vielfach von der Gewalt betroffen

Die direkteste Form der Gewalt wird nicht selten durch Angehörige von Polizei und Militär ausgeübt. Papuanische Frauen werden systematisch eingeschüchtert, verfolgt und misshandelt. Häufig wird die vermeintliche Zugehörigkeit oder der Kontakt zu einer Widerstandsbewegung als Legitimationsgrundlage für Folter und sexuellen Missbrauch vorgeschoben. Die willkürliche Gewaltausübung wird dadurch verstärkt, dass sie nur in den seltensten Fällen auf justizieller Ebene verfolgt oder gar geahndet werden. Dies ist, neben dem Misstrauen gegenüber dem Staat und der fehlenden Unterstützung, auch auf strukturelle Gründe zurückzuführen.

So besitzen viele papuanische Frauen beispielsweise weder Gesundheits- noch Ausweisdokumente. Dies verwehrt ihnen an vielen Stellen grundlegende Rechte und erschwert eine gesellschaftliche Teilhabe.

Gleichstellung nur auf dem Papier

Die patriarchalen Strukturen finden Ausdruck in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen, beginnend bei den Eigentumsverhältnissen. Zwar sind es häufig Frauen, die die Arbeit in den landwirtschaftlichen Subsistenzbetrieben übernehmen, in den Besitzverhältnissen drückt sich dies jedoch nicht aus: Männer entscheiden stets über Verwendung und Verkauf des Landes. Auch der Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen wird Mädchen und Frauen häufig verwehrt. Beides erhöht ökonomische Abhängigkeiten und verhindert den Aufbruch patriarchaler Strukturen.

Hinzu kommt, dass mit dem Gewohnheitsrecht „adat“, das in vielen Teilen Westpapuas dazu dient, Streitigkeiten auszuräumen, eine zum indonesischen Recht parallele Rechtsordnung existiert. Darin werden Entscheidungen und Urteile ausschließlich von Männern vorgenommen. All dies führt dazu, dass die seit 1945 in der indonesischen Verfassung festgeschriebene Gleichstellung von Mann und Frau bis heute nur auf dem Papier existiert.

Widerstand formiert sich

Ausstellung “Meine Geschichten: Öffnet eure Augen, öffnet eure Herzen“Es sind also unter­schiedliche Ebenen, auf denen die Frauen West­papuas dis­kriminiert und mar­ginalisiert werden, darunter ihre Her­kunft und ihr Ge­schlecht. Diese inter­sektionale Form der Unter­drückung macht den Wider­stand dagegen besonders schwierig, da in diesen Struk­turen kaum Raum für mögliche Veränderungen entstehen kann. Und dennoch scheint die Stärke und die Kraft der papua­nischen Frauen unge­brochen. Sie formen Bünd­nisse und stehen mit der Unter­stützung einiger weniger NGOs, denen der Zugang zur Region gewährt wurde, unter anderem pbi, für ihre Rechte ein, um der an­haltenden Gewalt ein Ende zu setzen. Sie tun sich in Netz­werken zusammen, klären die Öffent­lichkeit über Unrecht­mäßigkeiten auf, rufen zu gewalt­freiem Wider­stand auf und stellen politische Forderungen an die Zentral­regierung sowie internationale Institutionen und Akteur:innen.

Diesen Widerstand beschreibt Marion Struck-Garbe, Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg: „Wie man in den Bildern von papuanischen Frauen sehen kann, sind sie nicht nur Opfer, sondern auch Kämpferinnen gegen Rassismus und für ihre Freiheit und Unabhängigkeit sowie die ihres Territoriums. Sie erscheinen stark, weil sie all diesen Widrigkeiten trotzen – aber sie sind nicht frei, nicht unabhängig, nicht gleichgestellt. Es gibt keinen Kampf für die Befreiung einer Nation ohne die Befreiung der Frauen.“

Text: Paul Metsch und Kristin Menzel

Der Artikel ist im Sommer-Rundbrief 2022 erschienen.

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