Zwei Jahre nach dem Generalstreik in Kolumbien von 2019, bei dem die Sicherheitskräfte unverhältnismäßig hart gegen Demonstrierende vorgegangen waren, sind beim diesjährigen Streik erneut zahlreiche Übergriffe und Gewaltakte seitens der Polizei und Armee zu verzeichnen. Dutzende Menschen kamen bei den Protesten ums Leben.
„Wir sind zutiefst beunruhigt über die Entwicklungen in der Stadt Cali in Kolumbien, wo die Polizei über Nacht das Feuer auf Demonstrant:innen eröffnete, […], wobei Berichten zufolge mehrere Menschen getötet und verletzt wurden“ – Marta Hurtado, Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte
Ursprung der Proteste, an welchen vor allem indigene und Kleinbäuer:innen-Gemeinschaften und Student:innen, aber auch allgemein Bürger:innen teilnehmen, sind eine geplante Steuerreform, die die Regierung unterdessen wieder zurückgezogen hat, eine Gesundheitsreform, die Nicht-Einhaltung der Vereinbarungen des Friedensabkommens von 2016, die Militarisierungspolitik der Regierung sowie Vorhaben zu umweltschädlichen Fracking-Projekten und Glyphosat-Sprühungen, welche die Regierung in weiten Teilen Kolumbiens wieder aufnehmen will.
Exzessive Gewalt bei Protesten 2019 und 2020
Auch die Proteste 2019 und 2020 waren von exzessiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden geprägt. Beispiele dafür sind der Mord am jungen Dilan Cruz, der am 23. November 2019 von einem Agenten der Nationalen Polizei beim friedlichen Demonstrieren erschossen wurde, oder der Tod des Jurastudenten Javier Ordoñez, der bei einer Polizeikontrolle am 8. September 2020 gewaltsam ums Leben kam. Daraufhin kehrten die Protestbewegungen, die Anfang 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und dem daraus resultierenden Lockdown abgeschwächt worden waren, in den Nächten des 9., 10. und 11. Septembers 2020 in Bogotá mit Nachdruck zurück. Die Polizei reagierte mit unverhältnismäßiger Härte darauf: Fotos und Videos zeigen schockierende Szenen von Polizist:innen, die auf mit Handschellen gefesselte Personen einschlagen und mit Gewehren auf die Zivilbevölkerung schießen.
Die Bevölkerung kämpft weiter
Die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen der Regierung und den Protestierenden besteht heute mehr denn je, denn die aktuellen Ereignisse zeigen, dass die Demonstrationsfreiheit in Kolumbien weiterhin massiv bedroht ist – trotz des historischen Urteils des Obersten Gerichtshof vom 22. September 2020, in welchem bestätigt wurde, dass „die Art und Weise, wie die Regierung und die Nationalpolizei im Rahmen der Proteste im November 2019 handelten, die verfassungsmäßigen Rechte der Demonstrierenden verletzt hat“. Und so kämpft die kolumbianische Bevölkerung weiterhin für ihre Rechte und bessere Lebensbedingungen und um Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer zu fordern; die Straßen und ihre Wandbilder halten die Erinnerung an sie und an die Gewalttaten wach.
Text: pbi Schweiz
Wenn Sie mehr über die Situation in Kolumbien erfahren wollen, melden Sie sich zur Online-Veranstaltung „Sozialer Protest und staatliche Gewalt in Kolumbien“ am 7. Juni an!
Weitere Informationen
>> Foto-Journal/Kolumbien: pbi begleitet Menschenrechtsverteidiger:innen während des Generalstreiks (21.05.2021)
>> „1,443 cases of police brutality as National Strike protests enter their eighth day in Colombia“, vollständiger Artikel von pbi Kanada, 05.05.21
>> „Protesta social en Colombia: la esperanza de una vida digna para todos y todas“, vollständiger Artikel von pbi Kolumbien, 05.04.21
>> 1-minütiges Testimonial der kolumbianischen Menschenrechtsanwältin María Alejandra Garzón, die am Webinar im Juni teilnehmen wird, zum bewaffneten Konflikt in Kolumbien