18.07.2022 – Die LGBTIQA+-Gemeinschaft erleidet in Honduras – wie auch in vielen anderen Ländern der Welt – verschiedenste Formen von Diskriminierung und Gewalt. Doch die Menschen leisten Widerstand. Seit Jahren kämpfen sie für Gleichberechtigung und gegen Straflosigkeit. Das Urteil im Fall des Mordes an Vicky Hernández, einer Transfrau und Menschenrechtsaktivistin, stellt nun einen Präzedenzfall dar: Erstmalig wurde ein Staat für den Tod einer Transperson verurteilt. So ist Honduras dazu verpflichtet, eine Reihe von Wiedergutmachungsmaßnahmen durchzuführen.
Diskriminierung und strukturelle Gewalt
Mitglieder der LGBTIQA+-Gemeinschaft – also Lesben, Schwule, sowie bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle, queere und asexuelle Menschen – werden vom gesellschaftlichen Leben in Honduras meist ausgeschlossen. Sie ordnen sich mit ihren Geschlechtsidentitäten nicht in die festen binären Kategorien männlich und weiblich ein und sind auch vor dem Gesetz nicht gleichgestellt. Seit jeher werden sie stigmatisiert und sind in hohem Maße Opfer von physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Hinzu kommen die strukturelle Ungleichbehandlung und die Verletzung ihrer Grundrechte: Ihnen wird der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, dem Arbeitsmarkt, der Justiz und anderen staatlichen Strukturen verwehrt. Auch politisch werden sie kaum beteiligt und sind unterrepräsentiert.
Transfrauen wie Vicky werden meist in die Schattenwirtschaft gedrängt, um zu überleben. „Wir sind verletzlicher und sind Angriffen stärker ausgesetzt, weil wir auffallen und oft dazu gezwungen sind, auf der Straße Sexarbeit zu leisten“, erklärt JLo Córdova, Koordinatorin des Transfrauenkollektivs der Organisation Arcoíris. „Wir werden ermordet – aus Hass und auf sehr grausame Art und Weise“, klagt sie und bringt damit auf den Punkt, welchen Gefahren ihre Gemeinschaft täglich ausgesetzt ist.
Gewaltsame Todesfälle und Straflosigkeit
Laut der Beobachtungsstelle für gewaltsame Todesfälle des Lesben-Netzwerks Cattrachas wurden in Honduras zwischen 2009 und 2021 401 solcher Todesfälle in der LGBTIQA+-Gemeinschaft registriert, über ein Viertel davon waren Transfrauen. Ihre Lebenserwartung beträgt nur knapp 35 Jahre. Manche der Betroffenen versuchen der unsicheren Lage, entfacht durch die tief verwurzelte Transfeindlichkeit in der Gesellschaft, zu entkommen.
Die Straflosigkeit in Honduras ist besonders hoch, was bedeutet, dass schwere Verbrechen größtenteils weder zu Anklagen noch zu Verurteilungen führen. Angriffe auf die LGBTIQA+- Gemeinschaft werden in diesem Zusammenhang noch seltener geahndet. Von den 401 gewaltsamen Todesfällen wurden nur 89 strafrechtlich verfolgt, bei lediglich 35 kam es zu Verurteilungen.
Aufklärung und Prävention
Um der Straflosigkeit bei Angriffen auf die LGBTIQA+-Gemeinschaft entgegenzuwirken, haben Betroffene 2016 einen Runden Tisch gegründet, um ihren Zugang zur Justiz zu verbessern. Dieses Forum, das aus verschiedenen Organisationen, nationalen Behörden und der internationalen Gemeinschaft, wie dem UN-Menschenrechtsbüro sowie mehreren Botschaften zusammengesetzt ist, hat sich einiges zum Ziel gesetzt: Die Aufklärung von Hassverbrechen, die Entwicklung gemeinsamer Präventionsstrategien sowie die Förderung von Gleichstellung.
Durch ihre Entschlossenheit konnten honduranische LGBTIQA+-Organisationen bereits einiges erreichen. Denn sie kämpfen nicht nur gewaltfrei auf den Straßen für ihre Rechte, sondern fordern seit Jahren eine Reihe von Gesetzen, die eine echte Inklusion garantieren. Dadurch wächst der Druck auf die nationalen Behörden und es erregt auch internationale Aufmerksamkeit.
pbi unterstützt in Honduras die Organisationen Somos CDC und Arcoíris, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzen und sich um die Opfer von Gewalttaten kümmern. Die pbi-Schutzbegleitung und Netzwerkarbeit haben für sie dabei eine zentrale Bedeutung: „Wir wissen, dass internationaler Druck eine große Wirkung haben kann. Wenn wir allein um Unterstützung bitten, hört man uns nicht zu. Wenn wir mit einer internationalen Organisation zusammenarbeiten, öffnen sich für uns Türen“, sagt etwa Grecia O‘Hara, Kommunikationsreferentin von Somos CDC.
Hoffnung auf Veränderung
Das Urteil im Fall von Vicky Hernández ist dabei nicht nur von symbolischer Bedeutung. „Wir erkennen vor der internationalen Gemeinschaft, dem honduranischen Volk und der Familie von Vicky Hernández die Verantwortung des honduranischen Staates für die Ereignisse an, die zu ihrem Tod geführt haben“, versicherte Präsidentin Castro im Mai 2022. Zu den Pflichten der Wiedergutmachung gehören neben der Entschädigungszahlung an die Familie Hernández, auch die Schulung von Polizei und Militär, die rechtliche Anerkennung des Geschlechts sowie die Einführung eines Stipendienprogramms für Transgender-Frauen – benannt nach Vicky. „Die Rechte von Transsexuellen müssen respektiert werden, weil sie Menschen sind“, fordert Rosa Hernández mit dem Foto ihrer Tochter in den Händen. „Warum sollten sie diskriminiert werden? Es darf keine Diskriminierung mehr geben“, sagt sie entschlossen und drückt damit eine große Hoffnung der LGBTIQA+-Gemeinschaft aus: „Es muss Gerechtigkeit für alle geben.“
Der Artikel ist in dem Sommer-Rundbrief 2022 erschienen.
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