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25.05.2020 – Die Situation für die LGBTQIA+-Gemeinschaft in Honduras war schon vor der Coronakrise schwierig; nun hat die Ausbreitung von COVID-19 in dem zentralamerikanischen Land zu einer doppelten Verletzung ihrer Rechte geführt. So beschreibt die Organisation Arcoíris (deutsch: Regenbogen) ihre Situation und erklärt, dass die Corona-Pandemie eine größere Auswirkung auf die schwächsten Gruppen in der Bevölkerung gehabt habe.

Unter der Ausgangssperre sind Transfrauen in Honduras einer doppelten Verletzung ihrer Rechte ausgesetztDas Komitee für Sexuelle Vielfalt (Comité por la Diversidad Sexual) berichtet, dass diejenigen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, intersexuell, asexuell oder anderweitig identifizieren (LGBTQIA+) aufgrund ihres historischen gesellschaftlichen, erwerbsspezifischen und wirtschaftlichen Ausschlusses in Honduras, unverhältnismäßig unter den Auswirkungen der Pandemie und ihren Folgen leiden“. Wegen der von der honduranischen Regierung – welche am 20. März eine völlige Ausgangssperre und die Aussetzung verfassungsrechtlicher Garantien erklärte – auferlegten Beschränkungen, wird es für diejenigen mit den geringsten Mitteln immer schwieriger, Zugang zur grundlegenden Versorgung zu erhalten, von der Schutzausrüstung bis hin zu Nahrungsmitteln und Wasser.

Laut Donny Reyes, Koordinator der Organisation Arcoíris, ist das Hauptproblem „die Tatsache, dass die LGBTIQA+-Gemeinschaft nicht als vorrangige Gruppe bei der Verteilung der staatlichen Hilfen betrachtet wird. Anderen Gruppen, wie den über 60-Jährigen und Menschen mit Behinderung, wird Vorrang gegeben“. Arcoíris arbeitet daher daran, Nahrungsmittel, Unterstützungen für Unterkünfte und Sicherheitsartikel wie Chlor, Seife, Handschuhe und Masken zu beschaffen und damit der LGBTQIA+-Gemeinschaft zu helfen. Um die benötigten Finanzmittel zu beschaffen, hat ArcoÍris humanitäre Hilfe angefordert. „Aber im Moment läuft es nicht besonders gut für uns“, erklärt die Organisation.

Bisher haben sie es geschafft mit der Unterstützung des Nationalbeauftragten für Menschenrechte (Comisionado Nacional de Derechos Humanos; CONADEH), einige Nahrungsmittel-Hilfspakete vom Ministerium für Entwicklung und Soziale Inklusion zu erhalten (Secretaría de Desarrollo e Inclusión Social), wenn auch mit Schwierigkeiten. Auch wenn Hilfe bei den Nahrungsmitteln geleistet wird, enden die Probleme dort jedoch nicht. „Wir verteilen die Pakete an strategischen Plätzen, weil es uns nicht erlaubt ist, auf der Straße zu sein und wir nicht von Tür zu Tür gehen können. Aber die Leute haben oft keine Möglichkeit dies in Anspruch zu nehmen, entweder, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen oder weil sie sich kein Taxi leisten können. Wir haben gehört, dass einige Pakete, die wir hinterlassen haben, gestohlen wurden. Zudem wird es immer schwieriger und gefährlicher die Pakete zu verteilen. Wenn sich jemand aus unserer Gruppe auf den Weg macht, um die Pakete zu verteilen, sind wir besorgt, dass ihm etwas Schlimmes zustoßen könnte. Wie können wir die Sicherheit des Teams, das sich in der Stadt bewegt, garantieren?“

Derzeit ist es für Mitglieder sowohl von nationalen als auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen oder Organisationen der humanitären Hilfe in Honduras ein langwieriger und komplizierter Prozess, Passierscheine zu erhalten. Tatsächlich kritisieren viele Organisationen, dass der honduranische Staat die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger_innen auf ein Minimum reduziert, da sie nicht in die Liste für Ausnahmen für den Erhalt von Passierscheinen aufgenommen wurden. Dies verschließt den Raum für Ihre Tätigkeiten und hemmt ihre fundamentale Arbeit in dieser kritischen Situation ausgesetzter Menschenrechtsgarantien. „Hinzu kommt, dass keine Passierscheine an LGBTIQA+-Organisationen des Landes vergeben werden, weil dies eine offizielle Anerkennung und Zulassung unserer Arbeit wäre.“ sagt Donny Reyes.

Um die Passierscheine zu erhalten und mit ihrer Arbeit weiter machen zu können, hat Arcoíris zusammen mit anderen honduranischen zivilgesellschaftlichen Organisationen Beschwerde eingelegt, um das Recht auf Bewegungsfreiheit und freie Meinungsäußerung für Menschenrechtsverteidiger_innen wieder herzustellen. Mit anderen Worten: „Das Recht Rechte zu verteidigen wieder herzustellen.“

Ein größeres Risiko

In diesem Zusammenhang sind die Risiken, denen Transgenderfrauen ausgesetzt sind stark angestiegen. „Ich mache mir Sorgen um meine Freundinnen, weil viele von Ihnen während der Ausgangssperre rausgehen, um zu arbeiten.“ sagt ein Mitglied der Muñecas-Gruppe von Arcoíris. Das Fehlen von Erwerbsmöglichkeiten bedeutet, dass Sexarbeit in den Straßen von Tegucigalpa eine der sehr wenigen Möglichkeiten für diese Gruppe ist, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In Mitten der Pandemie und den Beschränkungen müssen sie die Ausgangssperre brechen und riskieren, verhaftet oder Opfer von Gewalt zu werden.

In den letzten Wochen haben wir Berichte von mindestens zehn Angriffen von Soldaten, der nationalen Polizei und privater Sicherheitsleuten gegenüber Transfrauen erhalten, einschließlich verbaler und tätlicher Angriffe, Drohungen und Einsatz von Tränengas. „Sie nutzen die Tatsache aus, dass wir die Ausgangssperre missachten, um uns zu bedrohen und zu schlagen. Aber wir müssen unsere Miete bezahlen und Essen kaufen. Auf die Straße zu gehen, ist unsere einzige Option“ sagt Adriana (Name geändert), eine Transfrau, die kürzlich Opfer eines Angriffs von Soldaten im Zentrum von Tegucigalpa wurde. Manche von ihnen haben sogar berichtet, unter Androhung einer Verhaftung zu sexuellen Handlungen gezwungen worden zu sein.

Am 5. Mai hat Honduras sein erstes Hassverbrechen während der Coronakrise verzeichnet. Eine 23-jährige Transfrau wurde in der Stadt La Ceiba ermordet. Obgleich die Ausbreitung von COVID-19 die Gewalt gegen die LGBTQIA+-Gemeinschaft verstärkt hat, ist dies keine neue Entwicklung. Der Beobachtungsstelle von gewaltsamen Todesfällen der honduranischen LGBTIQA+-Gemeinschaft des Lesbischen Netzwerks Cattrachas zufolge, gab es bisher in 2020 mindestens sechs Morde an LGBTQIA+-Personen, darunter eine Transfrau. In den letzten zehn Jahren haben Organisationen von über 315 Hassverbrechen berichtet, von denen mindestens ein Drittel gegen Transpersonen gerichtet waren. 92% davon blieben ungestraft.

Neben der Angst verhaftet oder tätlich angegriffen zu werden, ist es während der Ausgangssperre noch schwieriger geworden, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erlangen. Das ist besonders besorgniserregend für Menschen, die mit HIV/AIDS leben und ein beeinträchtigtes Immunsystem haben. Arcoíris und die Muñecas-Gruppe sind besorgt. “Unsere HIV-positiven Mitglieder haben nicht die Mittel, um herauszufahren und ihre Medikamente abzuholen; zum einen aufgrund des Mangels an öffentlichen Verkehrsmitteln und zum anderen, weil Transfrauen keine Ausweispapiere haben und es sehr riskant ist, das Haus so zu verlassen. Die wenigen Frauen, die es schaffen, ihre Medikamente zu erhalten, können sie am Ende nicht einnehmen, weil sie mit dem Essen eingenommen werden müssen und die große Mehrheit von ihnen derzeit keinen Zugang zu Nahrungsmitteln hat.“ In Anbetracht dieser Situation suchen Transfrauen, die ohnehin schon regelmäßig Situationen von Gewalt, Diskriminierung und genereller Feindseligkeit erleben, nun mehr denn je untereinander Unterstützung und die Gemeinschaft, um ihr Risiko zu reduzieren.

Derweil hat die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet die Staaten seit dem Beginn des Ausbruchs mehrmals daran erinnert, dass die Notsituation nicht als Vorwand für den Missbrauch und die Verletzung von Menschenrechten genutzt werden darf und betonte immer wieder die Bedeutung des Schutzes von LGBTQIA+-Personen. Den LGBTQIA+-Organisationen zufolge scheint die honduranische Regierung diese Empfehlungen jedoch nicht umzusetzen.

Text: pbi Honduras
Übersetzung: Ina Wailand