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02.01.2021 – Mieke Wolter war in Honduras als Freiwillige mit pbi im Einsatz. Nun ist sie seit einem knappen halben Jahr wieder zurück und hat bei pbi Deutschland eine sogenannte Rückkehrer_innen-Stelle angetreten. Sie berichtet in diesem Beitrag vom Leben der Menschen vor Ort, vom beeindruckenden Engagement der Menschenrechtsverteidiger_innen und von dem, was sie aus diesem Jahr mitnimmt.

Ende März 2019 bin ich als pbi-Freiwillige für ein Jahr nach Honduras gegangen. Das Haus der Freiwilligen, in dem ich gelebt und gearbeitet habe, befindet sich in der Hauptstadt Tegucigalpa, wo auch die Büro von vier der aktuell sechs von pbi begleiteten Organisationen ihren Sitz haben. Auf der Suche nach einer weiteren sinnvollen Tätigkeit nach mehreren Jahren der Arbeit mit geflüchteten jungen Menschen bin ich auf die Ausschreibung für das Hondurasprojekt aufmerksam geworden. Begleiten, ohne sich einzumischen, meinen Status als Europäerin nutzen, um Menschen zu schützen in einer Organisation ohne Hie-rarchien mit dem Prinzip der Gewaltfreiheit – all das hat mich geleitet, zu den vielen bereits von mir absolvierten Freiwilligendiensten ein weiteres Jahr als Freiwillige hinzuzufügen.

Mieke Wolter (ehemalige pbi-Freiwillige in Honduras)Zurückblickend kann ich sagen, dass ich sehr viel gelernt habe: über ein Land, seine Bewohner_innen und über die Missstände, denen Menschenrechtsverteidiger_innen in ihrem Engagement für eine gerechtere Gesellschaft versuchen zu begegnen. Über die Gefahren, denen sie dadurch täglich ausgesetzt sind, die Bedrohungen und Angriffe, die sie aufgrund ihres Einsatzes für die Einhaltung der Menschenrechte erleiden. Darüber, wie sie mit friedlichen Mitteln trotzdem weiterarbeiten.

Auch in Bezug auf das Zusammenleben und –arbeiten am selben Ort mit anderen internationalen Freiwilligen habe ich viel mitgenommen. Ich habe erlebt, dass es viele Faktoren gibt, die sich auf das Zusammenleben und die Dynamiken einer Gruppe auswirken, und dass man kommunizieren kann, ohne anzugreifen und ohne sich angegriffen zu fühlen.

Die Begleitungen von lokalen Menschenrechtsverteidiger_innen waren oft sehr inspirierend, belebend und Mut machend. Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass eine Person, die bereits so viele Anfeindungen von unterschiedlichen Seiten erlebt hat, noch so humorvoll und unbeirrt sein kann? Es war besonders für mich, Menschen begleiten zu dürfen, die so kraftvoll und ausdauernd ihren Weg entgegen aller Widerstände beschreiten.

Eine wesentliche Herausforderung während meines Einsatzes bestand für mich darin, dass die zeitliche und räumliche Freiheit von uns Freiwilligen um ein Vielfaches reduziert war. Der Lebensmittelpunkt war das Haus, in dem wir wohnten und arbeiteten – wenn die Situation es erforderte bis zu 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Selbst ein kurzer Gang um die Ecke musste aus Sicherheitsgründen mit dem Team abgesprochen werden.

Für unsere Arbeit war es besonders wichtig, dass wir als Gruppe harmonierten. Auf struktureller Ebene ist dies klar: Entscheidungen werden bei pbi im Konsens getroffen. Dominierende und weniger dominante Charaktere lassen sich dadurch jedoch nicht aufheben. Aber eine offene, gewaltfreie Kommunikation kann auf viele Unterschiede eingehen und diese in eine Stärke umwandeln.

Es gab immer wieder Rückmeldungen von den begleiteten Menschenrechtsverteidiger_innen, dass die Präsenz von pbi sehr wertvoll ist. Oft wurde uns gesagt, dass sie ohne unsere Präsenz wesentlich mehr Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt wären oder gar tot seien. Die Begleitung von pbi schafft einen Schutzraum, in dem sich die Aktivist_innen für Menschenrechte in ihrem Land einsetzen können. Sie erfahren durch das internationale Interesse, welches ganz offensichtlich über die physische Präsenz erkannt werden kann, eine Aufwertung ihrer Arbeit für die Menschenrechte. Es wird deutlich, dass hier Menschenrechte ernst genommen werden.

„Die Begleitung war inspirierend, belebend und Mut machend.“

Neben den Begleitungen zu verschiedenen Veranstaltungen (Kundgebungen, Gerichtsverhandlungen, etc.) und den Treffen mit nationalen und internationalen Autoritäten (Bürgermeister, Polizei, Militär, nationales Bündnis für Menschenrechte, Botschaften) gab es jedoch auch sehr viel Arbeit im Büro — dazu zählte neben aufwendigen Entscheidungsprozessen insbesondere das akribische Festhalten von allen relevanten Informationen. Auch wenn ich manchmal die Geduld verlor, so sehe ich, dass damit ein wichtiger Beitrag zu einem vollständigen Bild der Situation vor Ort geleistet wird. Das ist auch eine der Stärken von pbi: den Informationsfluss nicht abreißen zu lassen, damit Kontinuität bei der Begleitung durch wechselnde Freiwillige garantiert werden kann.

Ein Großteil der Begleitungen von Menschenrechtsverteidiger_innen fand in der Hauptstadt Tegucigalpa statt, es gab aber auch Anfragen nach Begleitungen aus ländlichen Regionen des Landes. So erinnere ich mich an die Begleitung der Organisation CEHPRODEC (Centro Hondureño de Promoción para el Desarrollo Comunitario).

CEHPRODEC bietet ländlichen und indigenen Gemeinschaften technische und rechtliche Beratung an und erleichtert durch ihre Arbeit Organisations-, Schulungs- und Schutzprozesse. Das große Problem vieler ländlicher Gemeinden in ganz Honduras besteht darin, dass Bergbauprojekte und Staudämme oft ohne einen vorherigen angemessenen, freien und informierten Konsultationsprozess der davon betroffenen Bevölkerung errichtet werden. Die ILO-Konvention 169, das einzige völkerrechtlich verbindliche Instrument zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker, schreibt den Vertragsstaaten, darunter Honduras, jedoch eine solche vorherige Konsultation vor.

Diese Befragungen der Bevölkerung, ob ein Unternehmen in der jeweiligen Gemeinde operieren darf oder nicht, haben mich nachhaltig beeindruckt. Denn Menschen, die nie zuvor um ihre Meinung gebeten wurden, konnten in diesem Rahmen von ihrem Recht Gebrauch machen und haben gemerkt, dass ihre Stimme zählt. Auch wenn das Recht auf vorherige Konsultation oft missachtet wird, konnte auf diese Weise bereits der Rückzug einiger Unternehmen aus ländlichen Gebieten erwirkt werden.

Begleitung von CNTC anlässlich einer Infoveranstaltung über die Landsituation der Bäuer_innenEin Konfliktfeld in Honduras hat folglich mit der Frage zu tun, wem das Land gehört und wie es genutzt wird. Die 1985 gegründete CNTC (Central Nacional de Trabajadores del Campo) beispielsweise, ist eine Landwirtschafts- und Gewerkschaftsorganisation, die sich für die Verteilung von Land einsetzt mit dem Ziel, Kleinbäuer_innenfamilien beim Zugang zu Land und Ressourcen zu unterstützen. Darüber hinaus führt die CTNC Forschungen durch und überwacht Rechtsfälle. Außerdem sind sie aktiv bei Landvermessungen und Verfahren zur Legalisierung von Land. Die CNTC begleitet Bäuer_innen, die strafrechtlich verfolgt werden, weil sie sich weigern, das Land zu verlassen, welches sie seit Jahrzehnten kultivieren. Oft handelt es sich um Flächen, die zum Beispiel an transnationale Energieunternehmen verkauft werden sollen und die mit Hilfe von privatem Sicherheitspersonal oder der Polizei geräumt werden. CNTC-Mitgliedern habe wir daher oft bei Gerichtsprozessen begleitet. Dabei verspürte ich oft Ohnmacht, denn regelmäßig wurden Termine zur Urteilsverkündigung verschoben; eine verbreitete Taktik, um Bäuer_innen weiter zu schikanieren.

Trotz dieser frustrierenden Realitäten im eigenen Land haben die Aktivist_innen, die ich getroffen habe, einen unerschütterlichen Kampfgeist, der sie unermüdlich und mutig den Weg auf der Suche nach Gerechtigkeit gehen lässt. Ich hoffe, dass sich genau diese Haltung in meiner Erinnerung an dieses für mich kräftezehrende Jahr ver-wurzeln kann. Ich empfinde Erstaunen darüber, dass es Aktivist_innen gelingt in einem Land wie Honduras, in dem gefestigte institutionelle Strukturen kaum existieren, sich innerhalb ihrer eigens aufgebauten Strukturen für Menschenrechte zu engagieren und somit ein Handlungsfeld zu schaffen. Und ich bin froh, dass Organisationen wie pbi dazu beitragen, dass diese Räume erhalten und geschützt werden und ich im Rahmen meiner Freiwilligentätigkeit dazu beitragen konnte.

Text: Mieke Wolter (ehemalige pbi-Freiwillige in Honduras)