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01.09.2016 - Mitte Juni waren wir im Rahmen unserer zweimal jährlich stattfindenden Reise für 10 Tage in Petén, im nördlichsten Departement Guatemalas, um uns dort ein Bild der Menschenrechtssituation zu machen. Wir besuchten einerseits verschiedene Organisationen der Zivilbevölkerung und trafen uns andererseits mit Vertreter_innen von Regierungsinstitutionen, wie der Gouverneurin, dem Polizeichef des Departements, verschiedenen Bürgermeister_innen und Menschenrechtsombutsstellen, um u.a. unsere Besorgnis wegen Menschenrechtsverletzungen kundzutun. Petén ist zwar flächenmäßig das größte Departement Guatemalas, wird aber von Menschenrechtsorganisationen aufgrund der Ferne zur Hauptstadt, den komplexen Machtstrukturen und der relativ geringen Einwohnerzahl kaum in Betracht gezogen.

Kurzer geschichtlicher Rückblick

Um die aktuell stattfindenden Menschenrechtsverletzungen zu verstehen ist ein kurzer geschichtlicher Rückblick unumgänglich.
Vor 1960 war das Departement kaum bevölkert und vom restlichen Guatemala abgeschottet. Ab den 1960er Jahren verfolgten die Militärregierungen das Ziel, die Zuwanderung nach Petén bewusst zu forcieren, um unter anderem die Entwicklung des Departements zu fördern und in die nationale Ökonomie einzubinden. Andererseits sollte der Abbau natürlicher Ressourcen durch die mexikanische Regierung und mexikanische Unternehmen auf guatemaltekischem Gebiet gebremst werden. Mit der Besiedlung Peténs konnte die Regierung auch die innenpolitischen Spannungen aufgrund der ungleichen Landbesitzverhältnisse teilweise abfedern, ohne dabei die strukturellen Ursachen der Landproblematik (wie Ausbeutung und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, Konzentration der landwirtschaftlich nutzbaren Böden in den Händen weniger Großgrundbesitzer_innen) lösen zu müssen.

Ab Ende der 1980er Jahre ändert sich jedoch die Politik der Regierung in Bezug auf Petén um 180°. Gegen den Willen der dort inzwischen angesiedelten Bevölkerung (hauptsächlich Bauerngemeinden) und ohne ihre vorherige Konsultation wurde im Jahre 1989 gesetzlich festgelegt, dass nun beinahe 80% des knapp 36,000 km² großen Departements als Naturschutzzone deklariert wird. Das neue Gesetzt beschränkt die Aktivitäten in bestimmten Gebieten des Departements theoretisch auf Ökotourismus sowie akademische Forschung und verbietet menschliche Siedlungen. Die in diesen Gebieten ansässigen Bauerngemeinden leben seither in einer permanenten Ungewissheit und müssen Tag für Tag mit einer möglichen gewaltsamen Räumung ihrer Dörfer durch den Staat rechnen, obwohl sie nun oft seit mehreren Jahrzehnten dort sesshaft sind. Heute werden sie u.a. von den beiden Institutionen (Consejo Nacional de Areas Protegidas und Defensores de la Naturaleza), welche für die Aufsicht dieses Naturschutzgebiets zuständig sind, als Invasoren und Usurpatoren kriminalisiert, wobei der geschichtliche Hintergrund völlig außer Acht gelassen wird. Andererseits wurde beispielsweise die Ölförderungslizenz von Perenco im Zentrum des Naturschutzgebiets im Jahre 2010 um weitere 15 Jahre verlängert.

Margarita Hurtado Paz y Paz erklärt in ihrem Buch „Petén: la última frontera?“, dass für die Planer_innen dieses Naturschutzgebietes die Bevölkerung kein essenzieller Teil der Umgebung, sondern lediglich eine Plage darstellt, welche die erfolgreiche Umsetzung des Umweltschutzes verhindert. Andererseits erwähnt sie, dass das Grundproblem genau darin besteht, dass bei der Bildung des Naturschutzgebiets die Existenz menschlicher Siedlungen und ihr traditionelles Verhältnis zum Wald und dessen Nutzung nie in Betracht gezogen wurde.

Besuch bei zwei gewaltsam vertriebenen Dörfern

Abgesehen von den zuvor geschilderten Treffen, besuchten wir zwei Dörfer, welche vor mehreren Jahren gewaltsam aus den Naturschutzzonen vertrieben wurden.

Centro 1

Am 16. Juni 2009 wurde dieses Dorf aus dem Nationalpark Sierra del Lacandón geräumt, obwohl sie bereits seit den 1980er Jahren dort sesshaft waren. Die Zwangsvertreibung wurde im kompletten Widerspruch zu den internationalen Protokollen der UNO über Räumungen durchgeführt. Die 600 Einheiten von Militär und Polizei gaben den 164 Familien des Centro 1 dreißig Minuten um alle ihre Habseligkeiten zu packen, bevor sie mit Lastwagen in die Hauptstadt des Bezirks gebracht und sie ohne Nahrung und Behausung sich selbst überlassen wurden. Bis heute – 7 Jahre nach der gewaltsamen Vertreibung – haben die Dorfbewohner_innen vom Staat weder eine neue menschenwürdige Bleibe noch Land erhalten, um ihren Alltag zu bestreiten. Für viele Familien bedeutet dies Tag für Tag ums Überleben zu kämpfen. Die Vertreibung im Jahre 2009, staatliche Bürokratieprozesse und — laut den ehemaligen Bewohner_innen des Centro 1 — fehlender Wille der Regierungsinstitutionen haben dazu geführt, dass sie weiterhin in extremer Armut und unter prekären humanitären Bedingungen leben müssen. Dies führte soweit, dass Ende des letzten Jahres ein Dorfbewohner an den Folgen chronischer Unterernährung verstarb.

Triunfo de la Esperanza

Das Dorf wurde im Jahre 2011 gewaltsam geräumt, wobei wie beim Centro 1 ihre Ernte und Häuser verbrannt und ihr Vieh beschlagnahmt wurde. Die Bewohner_innen suchten danach während 18 Monaten Zuflucht in Mexiko an der Grenze zu Guatemala. Dies löste einen internationalen Konflikt aus, worauf die guatemaltekische Regierung aufgrund des internationalen Drucks den Dorfbewohner_innen versprach, ihr Dorf außerhalb der Naturschutzzonen wiederaufzubauen. Nach 4 Jahren und trotz der Versprechungen der Regierung bleibt das Dorf allerdings weiterhin ohne Wasserversorgung, von den 67 versprochenen Häuschen wurden bisher lediglich 13 gebaut. Seit über einem Jahr steht das Projekt aufgrund ungenügender finanzieller Mittel der Regierung still. Die Schule im Dorf wurde nur dank eines Universitätsprojekts und mit Hilfe der Dorfbewohner_innen gebaut. Allerdings sind für die 4 Klassen bisher nur 3 Klassenräume vorhanden, weshalb jeweils eine Klasse auf dem Flur unterrichtet wird.

Nichtsdestotrotz gibt es unter dem neu gewählten Bürgermeister des Bezirks einige Fortschritte, wenn auch äußert kleine. Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt erkannte er die Dorfvertretung des Triunfo de la Esperanza an, was sein Vorgänger während seiner gesamten 4-jährigen Amtszeit aufgrund persönlicher Differenzen mit den Dorfbewohner_innen ablehnte.

Zwischen Frustration und Hoffnung

Die 10 Tage in Petén waren voller gemischter Gefühle. Einerseits Enttäuschung, dass verschiedene Regierungsinstitutionen kaum Interesse daran haben, die Menschenrechtssituation in Petén zu verbessern, obwohl sie vollständige Kenntnisse der zuvor geschilderten Menschenrechtsverletzungen haben. Andererseits kehrten wir mit viel Hoffnung und Freude zurück, dass Menschen, welche seit Jahren friedlich für ihre Rechte einstehen sich weiterhin engagieren und davon überzeugt sind etwas verändern zu können. PBI trägt als eine der ganz wenigen Organisationen, welche in Petén präsent ist, einen sehr wichtigen Beitrag dazu bei, dass der politische Spielraum dieser Personen offen bleibt. In Bezug auf die Menschenrechte ist und bleibt Petén ein vergessenes Departement.

Falls Sie mehr über die aktuelle Situation in Petén erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen herzlich den Artikel, welcher PBI Guatemala vor kurzem publiziert hat (auf Spanisch): La defensa del territorio y los derechos humanos en Petén (demnächst auch auf Englisch)

Text: Corsin Blumenthal und Marco Baumgartner (pbi Schweiz)