„Ich bin jetzt wieder da! - ‚Na herzlich willkommen und machst du jetzt mal etwas Richtiges?‘“
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Stephan Kroener begleitete als pbi-Freiwilliger zwei Jahre Menschenrechtsverteidiger_innen bei ihrer Arbeit in Kolumbien. Seit Mai 2014 ist er zurück und berichtet davon, was er erlebt hat und wie er seine Rückkehr in Deutschland sieht.
„Wenn man mich fragt wie es war, finde ich es schwer, darauf eine schnelle Antwort zu finden. Doch schließlich fängt man doch an zu erzählen, von den Menschen, die man getroffen hat, von den Geschichten, die man gehört hat und die manchmal unglaubwürdig und fremd klingen für viele meiner Zuhörer. Freunde und Verwandte fragen oft „Wie war es?“ – wie nach einer All-Inclusive-Türkeireise – „Hattet ihr sauberes Wasser?“ „Wie war das Essen?“
Auch wenn man ihnen Fotos aus knapp zwei Jahren pbi zeigt, bleiben viele Fragen offen. Denn auch Fotos können vieles nicht wiedergeben: nicht die unglaubliche Hitze auf den Reisen, nicht die teilweise langwierigen Diskussionen, nicht den Schlafmangel und das ausgelassene Lachen auch in den traurigsten Situationen. Ein pbi-Freiwilligendienst ist eine sich lohnende körperliche und emotionale Verausgabung, die schwierig ist wiederzugeben. Es ist die Erfahrung einer Extremsituation, die Erfahrung, wie Menschenrechtsverteidiger_innen leben, die unter ständiger Angst und Bedrohung leiden.
pbi-Arbeit bedeutet aber auch viel Büroarbeit, viele Meetings, viele Gespräche mit Militärs und Polizei. Der Alltag kann zermürbend sein, die Tage fliegen nur so dahin. Doch dann irgendwann macht es bei jedem den berühmten ‘Klick’ und es wird einem klar, dass auch die kleinste, anfangs noch so unwichtig erscheinende Arbeit ein Baustein ist, der das Projekt am Laufen hält. Ein Projekt, das seit 20 Jahren so wichtig ist für unsere Begleitpersonen, für ihre Familien und für ganze Dorfgemeinschaften.
pbi ist auch eine Schule, in der man lernt, Konflikte gewaltfrei beizulegen. Dies gilt natürlich auf den Begleitungen und in Krisensituationen, aber auch innerhalb des multikulturellen und internationalen Teams, mit dem man ein Jahr lang auf engstem Raum lebt und arbeitet.
pbi-Arbeit stellt einen ständigen Lern- und Erfahrungsprozess dar. Jeden Tag lernt man etwas Neues. Und man lernt zusammen, mit den Leuten aus dem eigenen Team, die einen immer unterstützen und mit denen man alles teilt, bis hin zu den eigenen Gefühlen und Ängsten. Und man lernt von den Menschenrechtsverteidiger_innen, die man begleitet. Man erfährt aus unmittelbarer Nähe was es bedeutet, in einem Konflikt, wie dem seit Jahrzehnten andauernden in Kolumbien, zu leben und sich für seine Rechte und die seines Nächsten einzusetzen. Man hört von der Schikane, der Spionage, den Verleumdungen, den Attacken und der ständigen Angst, unter der diese Menschen leiden und trotz der sie weiter für ein besseres Kolumbien und für Frieden kämpfen.
Wenn man dann wieder zurückkehrt, ist es schwer, das eigene Erlebte zu berichten. Die Angst und Wut zu schildern, die ein ums andere Mal in den Gesichtern unserer Menschenrechtsverteidiger_innen aufloderte. Die Furcht, die von einem Drohbrief ausgeht, oder die Hoffnungslosigkeit, die ein ins Exil Getriebener erlebt, kann von uns, die wir es nicht am eigenen Leib erfahren haben, nur schwer verstanden werden. Aber das ist wahrscheinlich normal. Ich bin jetzt wieder da, “Na herzlich willkommen und machst du jetzt mal etwas Richtiges?“
Doch man freut sich auch, wieder zurück in dieser reizlosen „Normalität“ zu sein. Pünktlich fahrende Straßenbahnen, Trinkwasser aus der Leitung, Recycling. Viele denken, ein Freiwilligendienst in Kolumbien ist nicht mehr als ein Praktikum im Kaffeekochen, nur eben in exotischer Kulisse. Aber es war eben viel mehr als das, ein schon fast transzendales Erlebnis, das dich deine eigenen Grenzen spüren lässt. Es ist schwierig, sich wieder einzufinden in diese gewohnte Normalität. In das, an das man nicht mehr gewohnt war, nachdem man die andere „Normalität“ kennengelernt hat, die der alltäglichen Bedrohung von Menschenrechtsverteidiger_innen.
Die Zeit bei pbi ist eine Erfahrung, die man nicht mehr vergisst. Eine Zeit, die jetzt, nach nur drei Monaten, durch den Alltag so verschwommen und unwirklich erscheint, dass man es nicht vermag, sie in Worte zu fassen. Die Menschen, denen man dort begegnete, mit denen man alles teilte, wurden ein Stück von einem. Ihre Geschichten, die sie erzählten, und ihr Schicksal lassen einen nicht mehr los. Dadurch verstärkt sich die eigene gefühlte Solidarität mit ihnen und der Situation der Menschenrechte in einem Land, das von vielen in Deutschland viel zu wenig beachtet wird.
Der Gedanke, dass vor und nach mir viele diesen Weg erfolgreich begangen haben und gehen werden, und dass in Guatemala, Honduras, Mexiko und Kenia viele andere das gleiche T-Shirt mit dem pbi-Emblem tragen und wie ich Menschenrechtsverteidiger_innen bei ihrer Arbeit begleiten, macht mich glücklich. Denn man spürt das große Ganze, einen solidarischen Zusammenhalt von unbezahlten Freiwilligen aus aller Welt.
Auch für unsere Menschenrechtsverteidiger_innen ist dies ein besonderer Umstand. Wir sind viel mehr als „unarmed Bodyguards“, wir sind Freunde, Zuhörer und oft auch Tröster. Wir sind Unbeteiligte an dem Konflikt und dadurch Vertrauenspersonen. Wir geben ihnen das Gefühl, nicht alleine zu sein und dass ihre wichtige Arbeit international unterstützt wird. Das ist wichtig im kolumbianischen Kontext, gilt aber genauso für viele andere Menschen, die sich in ihren Ländern für Freiheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Ich bin froh, einige von diesen mutigen Menschen kennen gelernt zu haben und Teil von pbi und ihrer internationalen Solidarität zu sein.“
Anmerkung: Im Sommer-Rundbrief 2014 können Sie außerdem einen Bericht von Stephan Kroener lesen, über die Begleitung von Padre Javier Giraldo bei einer Exhumierung in Charras im Bundesstaat Guaviare: „Zwölf Sommer und elf Winter“