„In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich durch meine ausländische Staatszugehörigkeit Menschenrechtsverteidiger_innen schützen konnte, wusste ich, dass ich das tun musste!“
Ein Menschenrechtsanwalt in Kolumbien zu sein, ist ein gefährlicher Job. Vertrittst du vor Gericht Familienmitglieder eines Opfers, das unschuldig von Soldaten ermordet wurde, erhältst du in der Regel auch selbst Morddrohungen. Wir, also peace brigades international, begleiten einige dieser Anwält_innen, um sie zu schützen. Aber Anwält_innen sind nur ein Beispiel unter all den von uns begleiteten Menschenrechtsverteidiger_innen. Wir begleiten auch Organisationen, die Vertriebene unterstützen, auf ihr Land zurückzukehren. Oft werden auch deren Mitarbeiter_innen bedroht.
Es gibt über 1.622 Fälle vermeintlicher Morde, die staatlichen Akteur_innen zugeschrieben werden. Dabei sind insgesamt 3.963 Sicherheitskräfte involviert. Viele dieser Soldaten ermordeten Zivilisten und kleideten sie anschließend in die Uniform der Rebellen, um die Toten als „im Kampf getötet“ vorzuführen und eine finanzielle Belohnung zu erhalten. Denn Guerillas, die im Kampf getötet werden, gelten bei der kolumbianischen Regierung als „positive Todesfälle“. Die eben beschriebene Vorgehensweise wird in Kolumbien deshalb als „false positives“ bezeichnet und war bis vor kurzem im Land weit verbreitet und tritt immer noch auf.
Es klingt seltsam, aber unsere Begleitarbeit funktioniert. Unser internationales Netzwerk aus hochkarätigen und bekannten Personen zwingt die Menschen, die die von uns begleiteten Menschenrechtsverteidiger_innen bedrohen, vor ihren Drohungen und Angriffen über die möglichen Folgen nachzudenken. Wir veröffentlichen zudem Artikel über die Arbeit, die sie tun und versuchen, ihr Image und ihren Bekanntheitsgrad international zu stärken.
Im Jahr 2007 beschäftigte ich mich zum ersten Mal mit der Problematik der Menschenrechte in Lateinamerika, als ich meinen Master in „Human Rights“ absolvierte: Die unterdrückende Privatisierung der Wasserversorgung in Cochabamba, Bolivien 2005 und der interne bewaffnete Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs und staatlichen Streitkräften in Kolumbien. Dabei habe ich auch von peace brigades international (pbi) erfahren.
Daraufhin wollte ich pbi-Freiwilliger werden, doch meine Spanischkenntnisse waren nicht gut genug. Deshalb zog ich nach Mexiko und unterrichtete dort Englisch, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nach etwa acht Monaten in Mexiko war mein Spanisch gut genug, um als Freiwilliger im „Frayba Human Rights Centre“ in San Cristobal de las Casas, Chiapas mitzuarbeiten. Mit den Civil Observation Brigades (wörtlich übersetzt: Zivile Beobachtungs-Brigaden) begleitete ich für zwei Wochen eine zapatistische Gemeinde. Außerdem arbeitete ich für CAPISE („Zentrum für politische Analyse und soziale und wirtschaftliche Untersuchung“).
In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich durch meine ausländische Staatszugehörigkeit Menschenrechtsverteidiger_innen schützen konnte, wusste ich, dass ich das tun musste! Abgesehen von dem großen moralischen Anreiz bedeutete es auch, zusammen mit Menschen aus der ganzen Welt in Kolumbien zu leben und zu arbeiten. Nachdem ich das letzte Jahr eine unglaubliche Erfahrung in Mexiko erleben konnte, war ich begierig darauf, die lateinamerikanische Kultur auch in Kolumbien kennenzulernen.
Die Menschen, die wir in Kolumbien begleiten und schützen, sind echte Held_innen (für ihre oft schlecht bezahlte Menschenrechtsarbeit erhalten sie Morddrohungen, und entscheiden sich trotzdem dafür, die Arbeit fortzuführen) und das ist das, was ich am meisten an meiner Arbeit schätze. Zweitens schätze ich an pbi das Prinzip der Nicht-Einmischung, weil unsere Anwesenheit eine Form der Solidarität darstellt und wir uns weder in die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger_innen einmischen, noch ihnen vorschreiben, wie sie die Dinge tun sollen. Drittens ist das Prinzip der Konsensfindung sehr wichtig, obwohl sich die Entscheidungsfindung durch Konsens ziemlich in die Länge ziehen kann. Es ist sehr wertvoll, wenn man weiß, dass alle Teammitglieder mit den von uns getroffenen Entscheidungen einverstanden sind und sich diesen verpflichtet fühlen, und es ist auch schön, dass man keine_n Chef_in hat, dem man ohne zu hinterfragen gehorchen muss.
Eine der größten Herausforderungen der Projektarbeit ist die emotionale Belastung, bedrohte Menschenrechtsverteidiger_innen zu begleiten. Ich habe mit Familien gesprochen, die gewaltsam aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben worden waren und die mir die schrecklichsten und herzzerreißenden Geschichten erzählt haben, die ich je gehört habe. Diese Realität und diese Schicksale können dir einen großen emotionalen Tribut zollen und lassen dich mit einem Gefühl der Empathie, Depression und Ohnmacht zurück. Zum Glück erhalten wir bei pbi großartige Unterstützung, um mit diesen Erfahrungen umgehen zu können. Deshalb haben mich diese Rückschläge auch nicht davon abgehalten, weiterzumachen. Im Gegenteil, sie haben meinen Wunsch bestärkt, diese wichtige Rolle des Begleiters in einem so schwierigen Umfeld weiterhin einzunehmen.
Ein Rückschlag: Im November 2011 erfuhren wir von der Finanzkrise, mit der pbi Kolumbien konfrontiert war, und wir mussten 25 % des Budgets kürzen. Dafür definierten wir Kriterien, um zu entscheiden, was wir streichen können um unsere Arbeit am wenigsten zu beeinträchtigen. Wir priorisierten die reine Schutzbegleitung. Deshalb nahmen wir die ersten Kürzungen an unseren eigenen Gehältern, Stipendien und Sozialleistungen vor. Diese Selbstaufopferung und Solidarität stärkte unser Team während dieses schwierigen Prozesses.
Ein Durchbruch: In diesem Jahr (2012) eröffnen wir zum ersten Mal ein ständiges Büro in Cali (Valle de la Cauca). Wir hatten seit über zehn Jahren Anfragen von Organisationen im Südwesten Kolumbiens erhalten, mit der Bitte, ein Team zu gründen. Dieses Büro Realität werden zu lassen, war ein massiver Durchbruch, und ein Teil dieses Prozesses zu sein, hat mich sehr in meiner Arbeit motiviert.
Diejenigen aus Großbritannien, die unsere Arbeit kennen, sind wirklich sehr hilfsbereit. Einer der Gründe, warum ich diese Auszeichnung als Menschenrechtsaktivist des Jahres erhalten habe, ist die großartige Unterstützung meiner lokalen Gemeinde in Exeter, Devon. Dort hatte ich zwei Veranstaltungen im Gemeindezentrum von Exeter organisiert, um den Menschen von der Arbeit von pbi zu erzählen. Viele Menschen haben sofort ein hohes Maß an Begeisterung und Interesse gezeigt, einige unterstützen uns, andere sind dem pbi „International Support Network“ beigetreten. Trotzdem müssen noch viel mehr Menschen von unserer Arbeit erfahren.
Was denken die Menschen in Kolumbien über uns? Die Menschenrechts-verteidiger_innen, die wir begleiten, sind unendlich dankbar für die Begleitung und die internationale Solidarität mit ihren Fällen. Viele sagen, dass die Schutzbegleitung ihr Leben gerettet hat und auf einer persönlichen Ebene sind sie alle unglaublich gütige und fürsorgliche Persönlichkeiten, die ebenso auf uns aufpassen wie wir auch auf sie. Die gewöhnliche Bevölkerung ist zudem sehr stolz, dass Ausländer ihr Land besuchen, dort leben und arbeiten. Sie sind sich bewusst, dass Kolumbien einen ziemlich schlechten Ruf im Ausland hat und sind deshalb sehr daran interessiert, diese Ansicht zu ändern und uns alle positiven Wesenszüge Kolumbiens zu zeigen.
Die Zukunft? Die große Frage! Obwohl ich bald wieder in Großbritannien sein werde, gehe ich als Team-Sprecher für das ständige Büro in Cali/Medellín für weitere sechs Monate nach Bogotá, Kolumbien zurück. Ich freue mich darauf, dann aus einer nationalen Perspektive Einblick ins Projekt zu erhalten, im Gegensatz zur regionalen Perspektive, die ich bisher hatte. Was danach geschieht, weiß ich jetzt noch nicht. Ich würde gerne die Idee eines Buches zum 20. Geburtstag des pbi-Kolumbienprojekts vorantreiben. Auf jeden Fall will ich, wenn möglich, weiterhin zu den Menschenrechtsthemen in Kolumbien arbeiten, sei dies nun in Kolumbien oder anderswo.