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Lena Niehaus (Guatemala)

„Der Mut und der Zusammenhalt der Menschen begleiten mich weiterhin. Diese Zeit hat mich ganz besonders geprägt.“

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Die pbi-Freiwillige Lena Niehaus
Lena Niehaus war ein Jahr, bis März 2011, als Freiwillige im Guatemalaprojekt. Seit Mai 2011 ist sie als Projektreferentin in der Geschäftsstelle von pbi Deutschland in den Bereichen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie im Bildungsprojekt tätig.

„Über meine Zeit in Guatemala gäbe es viel zu berichten. Ich habe in vielerlei Hinsicht ein ereignisreiches Jahr hinter mir. Es gibt da so einige Erfahrungen, die mich ganz besonders bereichert haben und die sicher spannend für einen solchen Erfahrungsbericht wären. Ich habe mir das folgende Ereignis ausgesucht, weil es meiner Meinung nach sehr anschaulich verdeutlicht, wie pbi arbeitet und außerdem für mich persönlich ein ganz besonderes war.

pbi Guatemala begleitet u. a. die Organisation Qamoló kí Aj Sanjuani-Unamos Pueblos Sanjuaneros (Vereinigung der Dörfer von San Juan), ein Zusammenschluss von Gemeinden, welche gegen ein Zementwerk kämpfen, das in ihrer Region errichtet werden soll. Die Dörfer fürchten um ihre Umwelt und Ernten. Sie setzen sich außerdem für die Mitbestimmung der indigenen Völker ein.

Während meines Aufenthalts im pbi-Team besuchte der Sonderberichterstatter für indigene Völker der UNO, James Anaya, die Region, um mit den Betroffenen zu sprechen. Kurz vorher stürmten Arbeiter_innen des Zementwerks die Versammlung in einem Dorf, Las Trojes, so dass die Dorfbewohner_innen fliehen mussten. Einige wurden verletzt, andere übernachteten in der Kirche, auf der Suche nach Schutz vor den Angreifern.
Für uns im Team hieß das „Alarmstufe eins“. Nach einer Krisensitzung beschlossen wir eine „Alerta“ herauszubringen, in der wir auf die Situation aufmerksam machen. Außerdem wollten wir mit einigen nationalen Autoritäten sprechen, um unsere Besorgnis über die Situation auszudrücken. Auf der Tagesordnung standen des weiteren Gespräche mit Botschaften und internationalen Organisationen, wie der UNO. Zudem wurde jeden Tag ein Team von zwei Freiwilligen nach San Juan und Las Trojes geschickt, um vor Ort Präsens zu zeigen.

pbi arbeitet nach dem Schema der drei Begleitungen: die körperliche Begleitung, die sich durch Anwesenheit bei den Menschenrechtsverteidiger_innen ausdrückt, die politische Begleitung, in der wir mit lokalen und internationalen Autoritäten sprechen und unsere Besorgnis über die Situation der Menschenrechtsverteidiger_innen ausdrücken, und die informative Begleitung, die bedeutet, dass wir Informationen über Guatemala und die Situation unserer Begleiteten publizieren, zum Beispiel in so genannten „Alertas“, wenn wir ganz besonders auf eine Bedrohung aufmerksam machen wollen. Und genauso sind wir in dieser Situation auch vorgegangen.

Nach einer für mich sehr intensiven Woche voller Lobbygespräche und Schreibarbeit im Büro, beschlossen wir gegen Ende der Woche eine Dauerpräsenz in Las Trojes bis zum Eintreffen des Sonderberichterstatters einzurichten und über mehrere Tage hinweg in Las Trojes zu bleiben. Nach unserem Rotationsprinzip sollte ich an der Begleitung teilnehmen. Durch die vielen Gespräche, die wir und andere geführt haben, hatten wir erreicht, dass eine ganze Menge Menschen mittlerweile nach San Juan schaute. Und so hatte zum Beispiel auch die Polizei entschieden, regelmäßig in dem Dorf Las Trojes vorbeizuschauen, um weiteren Übergriffen vorzubeugen. Die Situation hatte sich also in vielerlei Hinsicht schon entspannt. Bevor es losging stand jedoch für mich noch ein Treffen mit der deutschen Botschaft an, um genau über diesen Fall zu sprechen. Und so bin ich morgens im Anzug in die deutsche Botschaft gefahren und nach dem Gespräch zurück nach Hause, wo ich Jeans und Stiefel anzog und in die Gemeinde gefahren bin. Einen krasseren Wechsel kann man an einem Tag wohl nicht haben. Während die Botschaft in dem reichen Teil Guatemala Citys liegt, in einem modernen Gebäudekomplex, und wir mit leckerem Cappuccino bewirtet wurden, stiefelte ich in San Juan durch schlammige Straßen. Es gehörte eine Portion Glück dazu, einen Instantkaffee aufzutreiben, dieser ist uns aber von wirklich netten Menschen, mit viel Liebe zubereitet und dann auch noch geschenkt worden.

In Las Trojes angekommen, war noch lange nicht klar, ob wir wirklich über mehrere Tage bleiben können. Zwar hatte uns der Bürgermeister des betroffenen Dorfes darum gebeten, doch hatte er auch gesagt, dass nicht er das entscheiden dürfe, sondern dass er die Gemeinde fragen müsse. Und so wurde zu unserer Ankunft eine Gemeindeversammlung abgehalten, in der die ca. 500 Gemeindemitglieder zu beschließen hatten, ob unsere Anwesenheit erwünscht war. Nachdem wir pbi vorgestellt hatten, riefen uns 500 Menschen entgegen: sie sollen bleiben! Diese Hürde war also genommen.

Als nächstes organisierten die Dorfbewohner_innen eine Unterkunft für uns. In ein leer stehendes Ladenlokal wurde ein Bettgestell mit Matratze gebracht, Decken wurden vor die Fenster gehangen, fertig war unsere Unterkunft. Abwechselnd kochten die Frauen aus Las Trojes uns Frühstück, Mittag- und Abendessen, welches wir im Büro des Hilfs-Bürgermeisters zu uns nahmen. Dieses Organisationstalent der Menschen hat mich sehr beeindruckt, genauso wie der Zusammenhalt dieser Dorfgemeinschaft.

Nachdem ich nach zwei Tagen von einem anderen Team abgelöst wurde und zurück in die Hauptstadt fuhr, brauchte ich einige Zeit, um mich nach dieser intensiven Erfahrung wieder einzufinden. Danach trat wieder der Alltagstrott ein, wenn man bei pbi überhaupt davon sprechen kann: Bürokram, Sitzungen, Besprechungen und Begleitungen. Doch der Mut und der Zusammenhalt der Menschen aus Las Trojes begleiten mich weiterhin.“