07.09.2022 – Während des nepalesischen Bürgerkriegs von 1996 bis 2006 wurden mehr als 17.000 Menschen getötet, Tausende verschwanden gewaltsam und Hunderttausende wurden vertrieben. Das Land befindet sich nun an einem kritischen Punkt im Kampf um eine Übergangsjustiz.
Ungleichheiten, Elitismus und die Diskriminierung marginalisierter Bevölkerungsgruppen waren die Hauptursachen für den zehn Jahre andauernden, erbitterten Konflikt, in dem sowohl maoistische Aufständische als auch Regierungstruppen Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begingen. Infolgedessen fanden außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, Vertreibung, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen statt.
Gesellschaftspolitische Veränderungen
Im Frühjahr 2006 kam es zu einer Massenmobilisierung, die das Ende der königlichen Privilegien, die Erklärung der Säkularität, einen Waffenstillstand und die Unterzeichnung eines umfassenden Friedensabkommens auslöste. Das Friedensabkommen markierte das offizielle Ende der Gewalt und versprach eine vollständige Umstrukturierung des Staates „in einer integrativen, demokratischen und zukunftsorientierten Weise“.
Obwohl es in den 16 Jahren seither in Nepal bedeutende positive gesellschaftspolitische Veränderungen gab, sind politische Gewalt, Ungerechtigkeit, Armut, Ungleichheit sowie Wirtschafts- und Energiekrisen nach wie vor ein Problem. Die Bemühungen um einen inklusiven Frieden sind nur langsam vorangekommen. Gebrochene Versprechen lösten Proteste und stellenweise Gewalt aus, während Opfer und Familien noch immer auf Antworten zu Fragen der Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung warten. Menschenrechtsverteidiger:innen und -organisationen berichten über einen eingeschränkten Zugang zur Justiz, ausgelöst durch die Untätigkeit der Regierung bei Menschenrechtsverletzungen und die mangelnde Transparenz bezüglich der Ernennung wichtiger Mitglieder der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) und der Kommission zur Untersuchung des Verschwindenlassens von Personen (CIEDP).
Ein Gesetzesentwurf zur Übergangsjustiz
Die Bemühungen für eine Übergangsjustiz („Transitional Justice Bill“) gerieten seit 2015 ins Stocken. Damals erklärte der Oberste Gerichtshof den Rechtsrahmen für diesen Prozess für nichtig, da er nicht dem nationalen und internationalen Recht entsprach: Dieser ermächtigte die Kommissionen für die Übergangsjustiz, Tätern schwerer Menschenrechtsverletzungen, Amnestie zu gewähren. Trotz jahrelanger Kritik der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen in aller Welt, kam erst Anfang 2022 Bewegung in die Sache, als die Regierung die Konsultationen mit Opfern und Menschenrechtsverteidiger:innen wieder aufnahm.
Die daraus resultierenden Änderungsvorschläge zum Gesetzesentwurf über eine Übergangsjustiz wurden Ende August vorgelegt. Opfer und Menschenrechtsverteidiger:innen äußerten Bedenken darüber, dass der Gesetzesentwurf zwar einige der früheren Amnestiebestimmungen aufhebt, andere jedoch beibehält. Der Entwurf sieht auch neue Einschränkungen des Rechts auf Berufung vor, die das Erlangen von Gerechtigkeit blockieren würden.
Hoffnung im Vorfeld der Wahlen
Am 20. November 2022 stehen Wahlen an. Das Parlament wird aller Voraussicht nach erst in einigen Wochen zusammentreten, so dass nur wenig Zeit bleibt, um den Gesetzesentwurf in den Parlamentsausschüssen zu erörtern oder vor seiner Verabschiedung Verbesserungen einzureichen. pbi wird den Gesetzesentwurf zur Übergangsjustiz in den nächsten Wochen weiterverfolgen, in der Hoffnung, dass die Stimmen der Opfer gehört und ihre Anliegen berücksichtigt werden, damit endlich Gerechtigkeit hergestellt werden kann.
„Die Opfer und ihre Familien, die gespannt auf die Gesetzesänderungen gewartet haben, in der Hoffnung, dass ihre Forderungen nach Wahrheit und Gerechtigkeit erfüllt werden, sind enttäuscht… Trotz des Versprechens einer Reform würde dieses Gesetz, wenn es in seiner jetzigen Form umgesetzt wird, viele Täter davor schützen, vor Gericht gestellt zu werden.“ - Mandira Sharma, leitende internationale Rechtsberaterin beim ICJ und Mitbegründerin des Advocacy Forum
pbi in Nepal
pbi eröffnete das Nepalprojekt im Jahr 2006, um gefährdete Menschenrechtsverteidiger:innen zu schützen und NepalMonitor.org ins Leben zu rufen. NepalMonitor.org ist eine Onlineplattform, die Informationen zu Menschenrechtsverletzungen sammelt und diese auf einer interaktiven Landkarte darstellt, welche dann über E-Mail und SMS geteilt werden können. So haben gerade die Organisationen vor Ort eine breitere Grundlage für ihre eigene Sicherheitsanalyse und können besser auf Zwischenfälle reagieren. Gleichzeitig haben auch internationale Organisationen die Möglichkeit, sich über die Menschenrechtslage zu informieren, das gibt den erfassten Fällen mehr Aufmerksamkeit.
Nach einer strategischen Überprüfung im Jahr 2012, die umfangreiche Konsultationen mit Menschenrechtsverteidiger:innen und der internationalen Gemeinschaft in Nepal umfasste, sahen wir die Notwendigkeit, unsere Arbeit dort anzupassen, um so relevant und nützlich wie möglich zu bleiben. Der Schwerpunkt der Schutzmaßnahmen verlagerte sich auf Schulungen zu Sicherheit und Risikobewertung, Kapazitätsaufbau und Lobbyarbeit auf höchster Ebene. Wir schlossen unser Außenbüro und übergaben NepalMonitor.org an die Collective Campaign for Peace (COCAP). Im Rahmen unseres fortlaufenden Engagements für die Unterstützung nepalesischer Menschenrechtsverteidiger und die Sensibilisierung für ihre Arbeit, kooperieren wir weiterhin mit COCAP, dem Advocacy Forum und anderen Verteidiger:innen in den Bereichen internationale Lobbyarbeit, Sicherheitsunterstützung, Risikobewertungen für gefährdete Verteidiger:innen sowie Peer-Learning und Empowerment an der Basis für weibliche Menschenrechtsverteidiger:innen.
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