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Mexiko: Suche nach Opfern geht auch nach 44 Jahren weiter

Mexiko: Suche nach Opfern geht auch nach 44 Jahren weiter

02.04.2019 – Nach über 40 Jahren der Suche begann am Montag, dem 25. März 2019, im mexikanischen Bundesstaat Guerrero eine weitere Suchaktion um Personen aufzufinden, die im Rahmen des sogenannten „Schmutzigen Krieges“ verschwunden gelassen wurden.

Am 25. August 1974, geriet Rosendo Radilla in einen Militärcheckpoint in der Stadt Atoyac de Álvarez im mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Der damals Sechzigjährige genoss hohes Ansehen als soziale Führungspersönlichkeit in seiner Heimatstadt Atoyac. Zeugenaussagen zufolge wurde er ohne rechtliche Grundlage festgenommen und ist seither verschwunden. Ebenso lange wie Rosendo Radilla verschwunden ist, kämpft seine Tochter, Tita Radilla, bereits gegen mexikanische Behörden und das Militär, um ihren Vater, oder zumindest seine sterblichen Überreste, aufzufinden und Gewissheit für sich und ihre Familie zu erlangen.

Die Menschenrechtsaktivistin ist allerdings nicht allein mit ihrem Anliegen. Im Jahre 1978 gründete sich die zivilgesellschaftliche Organisation „Asociación de Familiares de Detenidos, Desaparecidos y Víctimas de Violaciones a los Derechos Humanos en México“ (AFADEM), in der Tita Radilla als Vizepräsidentin aktiv ist. Die Organisation vereint eine Vielzahl von Familienmitgliedern der Personen, die insbesondere während des „Schmutzigen Krieges“ (Guerra Sucia) in den 1960er und 1970er Jahren, verschwunden gelassen wurden.

Der „Schmutzige Krieg“ in Mexiko

Analog zu den Studierendenbewegungen in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika, formierten sich auch in Mexiko in den 1960er Jahren Studierende, um für eine freiere und gleichere Gesellschaft einzustehen. Gleichzeitig formierten sich in ruraleren Gebieten Mexikos linke Widerstandsbewegungen wie die sog. „Partei der Armen“ oder die „Kommunistische Liga 23. September“, die für eine Umverteilung der Macht- und Besitzverhältnissen zulasten der politischen Elite und zugunsten der Arbeiter_innen und Landwirt_innen kämpften.

Im Kontext des Kalten Krieges unterstützten die USA die damalige mexikanische Regierung, um mit allen Mitteln das Erstarken einer linken Opposition und damit die Gefahr der Bildung einer sowjetfreundlichen Regierung im Nachbarland Mexiko zu unterbinden. Die Folgen dieser Politik waren unter anderem eine Militarisierung Mexikos sowie unzählige Menschenrechtsverbrechen, insbesondere Folter, das Verschwindenlassen von Personen sowie außergerichtliche Hinrichtungen politisch Andersdenkender.

Auswirkungen in Atoyac de Álvarez

In Atoyac befand sich ein Militärstützpunkt, der besonders durch seine unmittelbare Nähe zur Küste von strategischer Bedeutung war. Die Küstennähe ermöglichte die Durchführung der „vuelos de la muerte“ (Todesflüge), die in ganz Lateinamerika traurige Bekanntheit erlangten. Mit Flugzeugen oder Helikoptern wurden politische Gegner_innen aufs offene Meer geflogen, wo sie, tot oder lebendig, spurlos „entsorgt“ werden konnten.

Kritiker_innen dieser Praktiken wurden ebenfalls als politische Gegner_innen identifiziert und so verschwanden alleine aus der Stadt Atoyac 456 Personen während des „Schmutzigen Krieges“, unter ihnen Rosendo Radilla. Insgesamt belaufen sich die Schätzungen auf über 1500 Personen, die auf den Militärstützpunkt Atoyac de Álvarez verschleppt und nicht mehr aufgefunden wurden.

Gerichtsverfahren und laufende Ausgrabungen

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pbi-Freiwiliger bei Ausgrabungen auf dem Gelände des ehemaligen Militärstützpunktes Atoyac de Álvarez
Im Jahr 2008 gelang Tita Radilla, die aufgrund ihrer Arbeit immer wieder Bedrohungen ausgesetzt ist und daher vom pbi-Mexikoprojekt begleitet wird, sowie ihrer Organisation AFADEM ein großer Erfolg. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verpflichtete den Mexikanischen Staat dazu, Maßnahmen zum Auffinden der verschwunden gelassenen Personen umzusetzen. Seither wurden bereits fünf Suchaktionen unter Aufsicht und Mitarbeit der Zivilgesellschaft in Mexiko umgesetzt.

Am 25. März 2019 begann auf dem Gelände des ehemaligen Militärstützpunktes Atoyac de Álvarez die sechste Maßnahme, eine Ausgrabung zum Auffinden von verschwunden gelassenen Personen als Folge des zum Fall Rosendo Radilla erwirkten Gerichtsurteils. In drei Wochen, bis voraussichtlich zum 13. April, suchen Expert_innen verschiedener Archäologieinstitute, Ministerien, der Bundesanwaltschaft und insbesondere freiwillige Helfer_innen unter der Aufsicht von Familienmitgliedern der Opfer nach sterblichen Überresten und Beweisen für die begangenen Verbrechen. Auch wenn dies nicht die erste Ausgrabung auf dem Gelände ist, ist die Hoffnung groß. Denn zum ersten Mal wird bis zu einer Tiefe von 4 Metern und an speziellen Orten, die von Zeugen als Massengräber mit bis zu 100 Leichen identifiziert wurden, gegraben.

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¡Hasta encontrarlos! (Bis sie gefunden werden!)
Doch selbst wenn die Hoffnungen in die Maßnahme nicht erfüllt werden können sollten, ist nicht davon auszugehen, dass die Mitglieder von AFADEM ihre langwierige Suche aufgeben. Seit über 40 Jahren am Kämpfen, ist die Motivation der größtenteils bereits im Senior_innenalter sich befindenden Familienmitglieder beindruckend und ihre Geschichten erschreckend. Selten scheint ein Slogan wie der, den sie auf der Rückseite ihrer T-Shirts tragen so bedingungsloswahr zu sein:

¡Hasta encontrarlos! (Bis sie gefunden werden!)
 

Text: Tilman Papesch