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Menschenrechtsarbeit hat keine Grenzen

13.05.2025 – Gewaltfreier Widerstand ist ein kraftvolles Mittel im Kampf für Gerechtigkeit – doch wer ihn wagt, riskiert oft viel. Peace Brigades International begleitet weltweit Menschen, die für den Erhalt ihres Lebensraums kämpfen und sich gegen mächtige Interessen stellen – oft unter großer Gefahr. Die ehemalige Freiwillige Yudy Sabogal berichtet über den Mut, Grenzen zu überwinden und darüber, was es bedeutet, sich trotz aller Herausforderungen für Menschenrechte starkzumachen. 

Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – ein historischer Meilenstein, der grundlegende Rechte und Freiheiten für alle Menschen weltweit festschreibt. Doch mehr als 75 Jahre später ist die Einhaltung dieser universellen Rechte noch immer keine Selbstverständlichkeit. In vielen Regionen bleibt die Menschenrechtssituation aufgrund von Wertekonflikten und historischer Belastung angespannt - obwohl internationale Abkommen eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. In der Realität bedeutet dies, dass die Menschen nicht überall die gleichen Chancen haben, ihre Rechte auszuüben. 

Global betrachtet ist die Lage der Menschenrechte alarmierend: Laut Reporter Ohne Grenzen wurden 2024 weltweit 550 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit inhaftiert. Die NGO Global Witness dokumentierte 2023 mindestens 196 Morde an Umweltschützer:innen, vor allem im Globalen Süden. Dennoch übernimmt Europa kaum Verantwortung für diese Entwicklungen. Gleichzeitig gewinnen auch hier populistische Strömungen an Einfluss, die die Menschenrechte untergraben. Polarisierende Debatten über Migration, Integration und LGBTQIA+-Rechte zeigen: der Einsatz für Menschenrechte ist überall nötig und kennt keine Grenzen. 

DIE ENTSTEHUNG VON PEACE BRIGADES INTERNATIONAL 

Der Kampf für die Menschenrechte wird in vielen Regionen der Welt seit Jahrhunderten geführt – unzählige Menschen engagieren sich für ihre Rechte, die Rechte ihrer Gemeinschaften und für die Umwelt. Für sie ist dieser Einsatz kein Beruf im herkömmlichen Sinne, sondern ein Dienst an der Gemeinschaft, getragen von der Überzeugung, dass die Menschenrechte für alle Menschen unverzichtbar sind. Sie leisten Widerstand in Regionen, die durch die wirtschaftlichen Interessen mancher Regierungen und großer Unternehmen ausgebeutet und beeinträchtigt werden. 

Das Konzept des gewaltfreien Widerstandes – inspiriert durch Mahatma Gandhis Friedensbewegung – diente auch als Grundlage für die Gründung von Peace Brigades International (PBI). 1981 in Kanada ins Leben gerufen, basiert PBI auf der Überzeugung, dass Menschenrechte nur durch friedliche Mittel geschützt und gestärkt werden können. Der erste Projekteinsatz startete 1983 in Guatemala. Heute ist PBI in acht Ländern – neben Guatemala auch in Honduras, Nicaragua, Kolumbien, Mexiko, Kenia, Indonesien und Nepal aktiv. Dort begleitet die Organisation Menschenrechtsaktivist:innen, die aufgrund ihres Engagements gefährdet sind und arbeitet eng mit lokalen Initiativen zusammen. 

Neben der Schutzbegleitung durch Fachkräfte und Freiwillige leistet PBI wichtige Arbeit in den Bereichen Advocacy und Capacity Development. So stärkt die Organisation lokale Netzwerke, sensibilisiert für Menschenrechtsthemen und setzt sich auf internationaler Ebene für den Schutz von Aktivist*innen ein. 

FREIWILLIGENEINSATZ MIT PBI: DIE PERSÖNLICHE ERFAHRUNG EINER KOLUMBIANERIN IN MEXIKO 

Yudy Sabogal ist eine der vielen engagierten Freiwilligen, die sich leidenschaftlich für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. Geboren und aufgewachsen in Kolumbien, lebt sie seit 2015 in Deutschland. Nach jahrelanger Tätigkeit im Non-Profit-Sektor, unter anderem in der Lateinamerika- Abteilung von Brot für die Welt, entschied sie sich für einen neuen Weg: einen Freiwilligeneinsatz bei PBI in Mexiko. Denn trotz beruflicher Erfahrungen in Deutschland fühlte sich Yudy in ihrer Arbeit eingeschränkt – ihr Wunsch, unmittelbaren Einfluss zu nehmen, führte sie schließlich nach Chihuahua im Norden Mexikos und Cuernavaca im Süden. Dort begleitete sie ein Jahr lang Menschenrechtsverteidiger:innen in ihrem Alltag und erlebte hautnah die Herausforderungen und Gefahren, mit denen diese konfrontiert sind. Für Yudy war dies nicht nur eine berufliche, sondern auch eine persönliche Reise, die ihr half, neue Perspektiven zu gewinnen und sich weiterzuentwickeln. 

Im folgenden Interview, das ich mit Yudy Sabogal geführt habe, gibt die Aktivistin Einblicke in die Arbeit von PBI, die Bedeutung von Schutzbegleitung und die besonderen Herausforderungen, die sie während ihres Einsatzes erlebte. Sie spricht über den Mut, sowohl geografische als auch persönliche Grenzen zu überwinden und darüber, was es bedeutet, aktiv für die Menschenrechte einzutreten. 

Yudy, was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten als Teil des Freiwilligen-Teams bei PBI Mexiko? 

In den ersten sechs Monaten meines Einsatzes lebte ich in Chihuahua und begleitete Vertreter:innen der dort aktiven Organisationen. Darunter waren insbesondere Organisationen der Zivilgesellschaft, die indigene Gemeinschaften begleiten, die sich u.a. gegen die illegale Abholzung ihrer Territorien wehren. Dabei stehen sie in direktem Konflikt mit kriminellen Gruppen und sind erheblichen Risiken ausgesetzt. Unsere Hauptaufgabe war es, die Sicherheitslage regelmäßig zu bewerten. Dazu erstellten wir Berichte, analysierten Risiken und entwickelten Szenarien, um mögliche Gefahren besser einschätzen zu können. Ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit war die Planung sicherer Reisewege. Vor jeder Begleitung recherchierten wir die sicherste Route, berücksichtigten potentielle Risiken und bereiteten uns auf unvorhersehbare Vorfälle vor. Auch die Überwachung der Einsätze gehörte zu meinen Aufgaben: Wenn ich selbst keine Begleitung übernahm, sorgte ich dafür, dass der Aufenthaltsort meiner Kolleg:innen jederzeit bekannt war. Zudem spielten Medienarbeit und Recherche eine entscheidende Rolle. Wir verfolgten Nachrichten, analysierten die Situation vor Ort und hielten uns kontinuierlich auf dem neuesten Stand, um schnell und gezielt reagieren zu können. 

Wie hast du deine Zeit in Mexiko und deinen Freiwilligendienst bei PBI finanziert? 

In den drei Jahren, in denen ich bei Brot für die Welt gearbeitet habe, konnte ich genug Geld ansparen, um mir das Freiwilligenjahr zu ermöglichen und zusätzlich noch meine persönlichen Ausgaben zu finanzieren. Meine Grundbedürfnisse wie Essen, Unterkunft, eine Krankenversicherung und ein bisschen Taschengeld waren von PBI abgedeckt und durch meine Ersparnisse konnte ich mir mein Freiwilligendienst ohne finanzielle Sorgen leisten. Ich habe jedoch viele andere Freiwillige getroffen, die kein Erspartes zu Verfügung hatten. Das stellt eine große Herausforderung vor allem für Freiwillige aus Lateinamerika dar, die manchmal mit Schulden aus ihren Heimatländern anreisen. 

Ein Freiwilligendienst setzt zudem ein gewisses Maß an Privilegien voraus. Für Menschen aus dem Globalen Norden ist es in der Regel wesentlich einfacher, an solchen Programmen teilzunehmen, als für Personen, die beispielsweise aus Lateinamerika kommen. 

Gab es konkrete Grenzen, auf die du während der Begleitungen gestoßen bist? 

Ja, gab es: wir wurden auf unseren Reisen regelmäßig kontrolliert, mussten unsere Identität nachweisen und erklären, warum wir uns in der Region aufhielten. Dabei gibt es zwei Arten von Kontrollen: Migrationskontrollen und Militärkontrollen. Besonders im Norden Mexikos, nahe der Grenze zu den USA, sind sie an der Tagesordnung. 

Eine besonders angespannte Situation erlebte ich in Chihuahua, als ich mit einem Freiwilligen aus England unterwegs war. Die Nationalgarde behauptete zunächst, unsere Dokumente seien gefälscht. Zum Glück waren wir darauf vorbereitet und konnten das Büro in Chihuahua kontaktieren, das unsere Tätigkeit für eine internationale Organisation bestätigte und nachwies, dass wir legal in der Region unterwegs waren. Als ich mich später mit einem Freiwilligen aus El Salvador auf den Weg nach Sonora machte, hatten wir uns besser vorbereitet. Sonora ist auf Grund der Grenze zu den USA als Risikogebiet eingestuft und wir waren zwei Latinos auf einer Route, die für Migration bekannt ist. Im Vorfeld sind wir alle möglichen Szenarien durchgegangen, damit eine Situation wie in Chihuahua nicht nochmal vorkommt. Tatsächlich war die Kontrolle strenger und sie stellten uns viele Fragen. Es ist Realität, dass Personen aus Lateinamerika in dieser Region häufiger kontrolliert werden als Europäer:innen. Diese Tatsache führt dazu, dass man bei solchen Kontrollen dauernd Angst verspürt.

Inwiefern hast du durch deine Arbeit bei PBI und durch den Freiwilligeneinsatz deine persönlichen Grenzen überschritten? 

Als Kolumbianerin in Nord-Mexiko zu sein, war für mich eine außergewöhnliche und zutiefst prägende Erfahrung. Besonders in Ciudad Juárez, einer Grenzstadt zwischen den USA und Mexiko, wurde mir immer wieder bewusst, wie ungewöhnlich meine Situation war. Ich befand mich dort legal, arbeitete für eine internationale NGO und konnte frei agieren, während viele Menschen aus Migrationsgründen unter völlig anderen Bedingungen in dieser Region waren. Es hat mich tief berührt, an dieser Grenzregion zu sein und diese Lebensrealität der Menschen direkt zu erleben. Auch die Advocacy-Arbeit brachte mich an persönliche Grenzen. Ich begleitete Aktivist:innen zu Meetings mit lokalen und regionalen Regierungsbehörden, beispielsweise mit dem Direktor des Migrationsinstituts in Chihuahua. Als Kolumbianerin in diesen Gesprächen auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, war für mich eine unglaublich wichtige Erfahrung. Ich denke, Freiwillige aus Europa machen nicht dieselbe Erfahrung wie ich, weil wir die Situation aus einer anderen Perspektive wahrnehmen. 

Hast du das Gefühl, dass deine Identität als kolumbianische Frau deine Arbeit beeinflusst oder dich in irgendeiner Art ausgegrenzt hat? 

Bei den Menschenrechtsverteidiger:innen habe ich das nicht gespürt, eher das Gegenteil. Einige von ihnen sagten mir, dass sie sich wohler fühlten, von einer Person aus Lateinamerika begleitet zu werden, als von jemandem aus Europa. Sie hatten den Eindruck, dass ich ihre Situation besser verstehen könnte. Und das konnte ich selbst gut nachvollziehen. Dies hatte jedoch nicht nur positive, sondern auch negative Seiten: Ich war zwar verständnisvoller, aber auch sensibler. Alles, was ich dort gesehen und erlebt habe, beeindruckte mich zutiefst, hinterließ aber auch emotionale Spuren. Trotzdem hat mir mein kolumbianischer Hintergrund sehr geholfen. 

Was hat sich für dich geändert, als du nach einem Jahr Freiwilligenbegleitung in Mexiko nach Deutschland zurückgekehrt bist? Wie hast du dich gefühlt? 

Ich wollte eigentlich gar nicht zurück. Ich wäre lieber in Mexiko geblieben, um weiter mit PBI zu arbeiten, aber ich musste wegen meinem Visum zurück nach Deutschland. Ich glaube, das Reisen hat mir geholfen, das, was ich in Mexiko erlebt habe, zu verarbeiten. Mein Einsatz hat einen großen emotionalen Eindruck auf mich hinterlassen, dessen Auswirkungen ich gespürt habe. Eine Woche nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich zwei Angstattacken. Das war in Mexiko schon einmal passiert und hatte sicherlich etwas mit meiner Arbeit zu tun, aber auch mit persönlichen Gründen. 

Zurück in Deutschland habe ich mich ständig gefragt, was in Mexiko gerade passierte. Es war schwer für mich, zu wissen, was dort geschieht und so weit entfernt zu sein. Ich habe mich machtlos gefühlt. Wie ich am Anfang gesagt habe: Es ist etwas ganz anderes, von Deutschland aus zu arbeiten, als vor Ort zu sein. Was kann ich von hier schon ausrichten? 

Es hat lange gedauert, bis ich den Prozess der Rückkehr in mein altes Leben verstanden habe. Nach und nach habe ich gelernt, dass man auch von Deutschland aus vieles bewirken kann. Ich glaube, diese Monate waren wichtig für mich. Trotzdem denke ich, dass ich in Deutschland nie dieses Gefühl von Heimat empfinden werde, weil ich mich viel mehr zu Lateinamerika hingezogen fühle, da ich dort aufgewachsen bin. Ich weiß noch nicht, wo mich das Leben hinführen wird. Doch eins ist klar: Ich werde weiterhin im NGO-Bereich arbeiten und möchte nochmal einen Einsatz in Lateinamerika machen. Ich fühle mich persönlich verpflichtet, mich zu engagieren, auch wenn es sicherlich auch kulturelle Gründen hat.

Das Interview führte Laora Buttner-Wagner und erschien in der Ausgabe 228 der Fachzeitschrift für Soziale Arbeit in Österreich (SIÖ).

Laora Buttner-Wagner studiert Angewandte Politikwissenschaft, ein binationaler Studiengang an der Universität Freiburg und Sciences Po Aix-en-Provence. Im Rahmen ihres Studiums absolviert sie derzeit ein sechsmonatiges Praktikum bei Peace Brigades International in Hamburg. Dort ist sie an der Schnittstelle Öffentlichkeitsarbeit und Advocacy tätig. Einige ihrer Hauptaufgaben sind die Durchführung von Interviews mit Menschenrechtsaktivist:innen, Hintergrundrecherchen über die Menschenrechtslage in den verschiedenen Einsatzländern sowie das Verfassen von Spendenbriefen und Social-Medial-Beiträgen über die Arbeit von PBI.

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