11.11.2025 – „Auf diesem Bergrücken haben wir früher gelebt“, sagt eine Ogiek-Frau und zeigt in die Ferne. Die Luft ist bitterkalt, und dichter Nebel bedeckt die Landschaft. Doch trotz des rauen Wetters sind die üppig grünen Hügel unverkennbar – sie erstrecken sich endlos bis zum Horizont. Für die Ogiek, einer Gemeinschaft von etwa 52.000 Menschen laut der kenianischen Volkszählung von 2019, sind Vertreibung und Zwangsumsiedlung nicht nur Worte, sondern ein schmerzliches Erbe. Ihr Kampf dagegen reicht bis in die britische Kolonialzeit zurück.
Während unseres Besuchs in Sasumwani saßen wir mit Ogiek-Familien zusammen, die 2023 erneut vertrieben worden waren, und hörten ihnen zu, als sie in einer Breakout-Session ihre Geschichten erzählten. „Ich bin in diesem Wald geboren und aufgewachsen – es ist alles, was ich je gekannt habe“, begann ein Ältester mit trauriger Stimme. „Jetzt habe ich keine Arbeit mehr, keine Lebensgrundlage. Ich überlebe Tag für Tag mit geliehenen Mitteln. Das Leben ist hart und lastet schwer auf unseren Gemütern. Man sieht unseren Schmerz vielleicht nicht in unseren Gesichtern, aber die Wunde sitzt tief.“
Die Lebensrealität der Ogiek ist hart. Einst lebten sie auf weitläufigen Ländereien in heiliger Harmonie mit dem Wald, fungierten als seine Wächter, während der Wald sie mit seinen Ressourcen versorgte. Jetzt haben die meisten nichts mehr – nur die „Glücklichen“ kommen als Teepflücker gerade so über die Runden. Ihre Häuser wurden niedergebrannt, ihr Hab und Gut zerstört. Als Menschenrechtsaktivist:innen versuchten, die Brandstiftung durch die Polizei zu dokumentieren, waren viele zu verängstigt, um weiterzumachen, und mussten unter Drohungen zurückweichen. Schlimmer noch, sie fühlen sich verlassen. „Kein Regierungsbeamter will uns zuhören”, sagten sie uns. Besuche bei den Bezirksämtern enden mit verschlossenen Türen oder Schweigen. Wenn sie darauf bestehen, werden sie mit Drohungen konfrontiert – Beamte warnen sie, die Polizei zu rufen, anstatt sich mit ihrem Leid auseinanderzusetzen.
Angesichts dieser Situation wurde das Ogiek People’s Development Program (OPDP) als fester Pfeiler der Gemeinschaft gegründet. Das OPDP wurde ins Leben gerufen, um die historischen Ungerechtigkeiten anzugehen, durch die den Ogiek ihre Rechte als kenianische Staatsbürger:innen vorenthalten wurden. Es setzt sich für die Anerkennung der indigenen Kultur, die Verteidigung der Landrechte und den Schutz der Umwelt ein, die für die Identität der Ogiek von zentraler Bedeutung ist.
Die Vertreibungen haben einen Dominoeffekt ausgelöst und Krisen ausgelöst, die kein Alter, kein Geschlecht und keine Generation verschonen. Ohne Arbeitsplatzsicherheit sind viele Männer depressiv geworden und greifen zu Alkohol, um damit fertig zu werden. Die traditionellen Familienstrukturen der Ogiek, in denen jeder Haushalt drei separate Häuser unterhielt (für Eltern, Söhne und Töchter), sind zusammengebrochen. Jetzt leben Familien in einem einzigen Raum zusammengepfercht, was gegen ihre kulturellen Normen verstößt, Ehen belastet und Gemeinschaften destabilisiert. Kinderarbeit hat zugenommen, da sich die Familien die Schulgebühren nicht mehr leisten können; Kinder helfen nun ihren Müttern auf den Kartoffelfeldern, um zu überleben. Ältere Jugendliche, die sich nicht anpassen können, greifen zunehmend zu Drogen, während junge Mädchen mit Frühehen und Teenagerschwangerschaften konfrontiert sind.
Auch die Gesundheit der Ogiek hat gelitten. Ihre Körper waren auf den Rhythmus des Mau-Waldes abgestimmt, der sie mit Honig und Heilmitteln versorgte und durch die Vertreibung - so ihre Überzeugung - sind sie nun unbekannten Krankheiten ausgesetzt sind, da ihnen die Heilmittel aus dem Wald nun nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch die Grabstätten ihrer Vorfahren, die im Mau-Wald liegen, mussten sie zurücklassen. Anfang Juli besuchte PBI Kenia in Zusammenarbeit mit dem Ogiek People’s Development Programme die Ogiek-Gemeinde in Sasumwani, Narok County, um die laufende psychosoziale Heilung zu unterstützen und gemeindebasierte Menschenrechtsverteidiger:innen bei ihren Bemühungen zu begleiten. Aus den psychosozialen Nachsorgegesprächen gingen zwei zentrale Herausforderungen hervor: psychische Probleme und uneinheitliche Stimmen. Einige fordern finanzielle Entschädigung und neues Land, andere weigern sich, sich mit weniger als ihrer angestammten Heimat zufrieden zu geben.
Zweimal hat der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker zugunsten der Ogiek entschieden – erstmals 2017, indem er ihre angestammten Landrechte bestätigte, und erneut 2022, indem er Entschädigungen für jahrzehntelange Schäden anordnete. Doch diese Siege existieren nur auf dem Papier. Die kenianische Regierung hat die Sache hinausgezögert, Ausreden vorgebracht, aber keine Maßnahmen ergriffen. Noch bedeutender ist, dass im November 2023 über 700 Ogiek-Familien gewaltsam aus Sasumwani vertrieben wurden. Bis heute sind die meisten von ihnen obdachlos, ungeschützt und werden ignoriert.
Obwohl sie eine der ältesten indigenen Gemeinschaften Kenias sind, sind sie nicht im offiziellen Register der ethnischen Gruppen der Regierung aufgeführt. Dieser bürokratische Ausschluss bedeutet, dass sie für den Staat praktisch unsichtbar sind, was ihnen den Zugang zu formeller Beschäftigung innerhalb der Regierung und zu politischer Vertretung verwehrt. Schlimmer noch, sie werden als „Umweltbedrohung” diffamiert, ein Mythos, der ihre jahrhundertealte Rolle als Hüter des Mau-Waldes verschleiert. Diese falsche Darstellung beraubt sie nicht nur ihrer Identität, sondern raubt Kenia auch eine wichtige Partnerschaft im Naturschutz.
Bei einer Anhörung des Afrikanischen Gerichtshofs im Juni 2025 zur Einhaltung der 2022 erlassenen Entschädigungsanordnungen durch Kenia führten Regierungsbeamte Budgetengpässe und bürokratische Verzögerungen als Gründe für ihre Untätigkeit an. Die Ogiek, die der leeren Versprechungen überdrüssig sind, konterten mit harten Fakten: Es wurde kein Land zurückgegeben, keine Entschädigungen gezahlt, keine Politik geändert.
Doch trotz dieses unerbittlichen Drucks bleiben die Ogiek hoffnungsvoll. Ihre Standhaftigkeit zeigt sich in ihrem täglichen Kampf ums Überleben durch Gelegenheitsjobs und Zeitarbeit, während sie gleichzeitig an der Hoffnung festhalten, nach Hause zurückkehren zu können. Eines ist klar: Die Ogiek müssen gesehen, gehört und unterstützt werden. Ihre Widerstandsfähigkeit ist unbestreitbar, aber ohne Gerechtigkeit stehen ihr Erbe und ihre Zukunft auf dem Spiel. Um diese Zukunft zu sichern, muss die kenianische Regierung über Versprechungen hinausgehen und konkrete Maßnahmen ergreifen, indem sie die Entscheidung des Gerichts vollständig umsetzt, ihr angestammtes Land schützt und ihre rechtmäßige Wiederansiedlung ermöglicht. Dies ist nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern auch eine moralische.
Text: PBI Kenia
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