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Guatemala: Der lange Weg zur Gerechtigkeit – Wie indigene Maya Ch’orti’ kriminalisiert werden

20.05.2025 – Sie kämpfen für ihr Land, ihre Kultur, ihre Rechte – und stehen dafür vor Gericht. Die Mitglieder des Indigenen Rates der Maya Ch’orti’ von Olopa werden seit Jahren systematisch kriminalisiert, weil sie sich dem rücksichtslosen Abbau von Ressourcen durch ein amerikanisches Bergbauunternehmen widersetzen. Ihr Fall macht die gravierenden Missstände im guatemaltekischen Justizsystem sichtbar und zeigt die Risiken auf, mit denen indigene Menschenrechtsverteidiger:innen weltweit konfrontiert sind. 

Am 25. Februar 2025 sollte das Verfahren gegen zehn der Verteidiger:innen von Olopa wieder beginnen. Doch das Gericht vertagte den Prozess erneut, diesmal auf den 31. Juli. Ihre einzige „Tat“: friedlicher Widerstand gegen ein Bergbauprojekt, das ohne ihre Zustimmung auf ihrem Gebiet errichtet wurde. 

Der Ursprung dieses Konflikts reicht zurück ins Jahr 2012, als das Unternehmen American Minerals S.A. von der guatemaltekischen Regierung eine Abbaulizenz für ein Projekt im Dorf El Carrizal, in der Gemeinde Olopa, erhielt – ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne die betroffenen Gemeinden einzubeziehen. Damit wurde das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verletzt, das die freie, vorherige und informierte Zustimmung Indigener Völker bei Vorhaben auf ihrem Territorium vorschreibt. 

Der Indigene Rat der Maya Ch’orti’ von Olopa 

„Der Widerstand gegen die Mine bedeutete für uns, vor den Verantwortlichen zu demonstrieren und klar zu sagen: Ihr – und der Staat – habt die Rechte der Indigenen Völker verletzt“, sagt Ubaldino García Canan, der sich als Teil des Indigenen Rats für das Recht seiner Gemeinschaft einsetzt und dabei von PBI begleitet wird. Es habe nie eine Konsultation gegeben, die Bevölkerung erfuhr erst vom Bergbauprojekt, als bereits Hügel gesprengt und Berge zerstört waren. „Sie nutzten aus, dass viele von uns weder lesen noch schreiben können – und ließen uns Dokumente unterschreiben, deren Inhalt wir nicht kannten“, berichtet er.

Der Indigene Rat von Olopa steht im Mittelpunkt des Widerstands gegen Umweltzerstörung und Kriminalisierung in Guatemala. Er vereint elf Indigene Gemeinschaften, die sich für kulturelle Selbstbestimmung, den Schutz ihrer Landrechte und gegen geschlechtsspezifische Gewalt engagieren. 

Trotz des Konflikts begann das Unternehmen 2016 mit dem Bau der Antimonmine Cantera Los Manantiales. Schon bald zeigten sich die fatalen Auswirkungen: Antimon – ein hochgiftiges Schwermetall, das unter anderem als Flammschutzmittel in Kunststoffen verwendet wird – führte zur Kontamination von Wasserquellen, zu erheblichen Umweltschäden und zu gesundheitlichen Beschwerden in der umliegenden Bevölkerung. Der Indigene Rat von Olopa erkannte schnell: Diese vermeintliche Entwicklungsmaßnahme, staatlich gefördert und wirtschaftlich legitimiert, bedrohte die Lebensgrundlagen der Menschen. Für die Indigenen Gemeinschaften war klar – dieses Projekt musste gestoppt werden, bevor der angerichtete Schaden unumkehrbar wurde. 

Repression folgt Protesten 

Die Maya Ch’orti’-Gemeinschaften lehnten den Bau der Mine von Beginn an entschieden ab und organisierten sich im „Friedlichen Widerstand von Olopa“. Sie errichteten ein dauerhaftes Protestcamp, blockierten Zufahrtsstraßen, forderten das Ende des Bergbauprojekts. 2017 verklagte das Unternehmen 22 indigene Anführer:innen und warf ihnen Hausfriedensbruch und der Brandstiftung vor. Später sollten sie sogar der Entführung beschuldigt werden. Obwohl der Oberste Gerichtshof von Guatemala in 2019 zugunsten der Gemeinschaften entschied und eine Aussetzung der Bergbaulizenz anordnete, nahm das Unternehmen den Betrieb wenig später wieder auf. Der Indigene Rat berichtete weiterhin über Einschüchterungsversuche.

Willkürliche Verhaftungen bedrohen Familien 

Eine erneute Anordnung des Obersten Gerichtshofs führte schließlich zur Schließung der Mine im Jahr 2021. Doch die Kriminalisierung der Mitglieder des Friedlichen Widerstands nahm kein Ende. Im September 2021 verschärft sich die Situation: Fünf führende Mitglieder der Widerstandsbewegung wurden unter fragwürdigen Umständen verhaftet. Eine der Inhaftierten, Rosa Margarita Pérez Canán, wurde von ihren zwei kleinen, noch gestillten Töchtern getrennt. Die Kinder blieben stundenlang unbeaufsichtigt in einem Polizeifahrzeug, bevor sie schließlich an Familienangehörige übergeben wurden. 

In den Jahren danach folgten weitere willkürliche Verhaftungen, Anklagen, Entlassungen wegen mangelnder Beweise, Freisprüche und Berufungen. Doch die andauernde Verzögerung des Verfahrens um den Friedlichen Widerstand von Olopa lässt sich nicht allein durch bürokratische Hürden erklären – sie dient als gezieltes Mittel, um zivilgesellschaftlichen Protest zu unterdrücken. Das Muster ist klar: verzögern, erschöpfen, zermürben. 

Kriminalisierung als Strategie – ein landesweites Problem 

Der Fall in Olopa ist kein Einzelfall: 
• Norma Sancir, eine indigene Journalistin, wurde 2014 festgenommen. Neun Jahre später wurden drei Polizist:innen wegen ihrer willkürlichen Verhaftung verurteilt. 
• Vier Mitglieder des Gemeinderats von Retalhuleu kämpften fünf Jahre lang gegen haltlose Anklagen und litten unter den gravierenden Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Leben – bis sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. 
• Jorge Coc Coc und Marcelino Xol Cucul vom Gemeinderat der Hochländer sitzen seit 2018 in Haft. Ihr Fall liegt inzwischen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission vor. 

Auch diese Fälle zeigen: Wirtschaftliche Interessen und staatliche Maßnahmen wirken oft Hand in Hand, um Menschenrechtsarbeit zu behindern und indigene Anführer:innen zu kriminalisieren. 

Die Folgen der Kriminalisierung 

Die betroffenen Gemeinschaften protestierten – und zahlen dafür mit juristischer Verfolgung, langwierigen Verfahren und anhaltendem Hausarrest. Die Folgen sind gravierend: Familien werden auseinandergerissen, wirtschaftliche Existenzen zerstört, psychische Gesundheit angegriffen. Die Betroffenen leben in ständiger Angst vor neuen Anklagen, Repressalien oder Gewalt. Gleichzeitig wird die Zivilgesellschaft gezielt geschwächt, indigene Organisationen unter Druck gesetzt, ihr Handlungsspielraum eingeschränkt. 

Ein Ruf nach internationaler Solidarität 

Trotz aller Repression ist der Kampf der Maya Ch’orti’ von Olopa nicht gebrochen. Er ist ein Symbol für den globalen Einsatz Indigener Gemeinschaften für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz. 

Ubaldino García Canan will seine Arbeit und seinen Dienst für die Menschen fortführen – aus Respekt, sagt er, Respekt für ihre Lebensweise und ihre Art, das Erbe der Vorfahren zu bewahren. „Unser Kampf ist nicht nur für unser Volk“, betont er, „er ist für die ganze Welt. Denn die Welt braucht gesunde Luft, sie braucht Wasser, Land und Nahrung – und all das haben wir.“ 

Menschen wie Rosa, Ubaldino und all die anderen gefährdeten Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger:innen in Guatemala und weltweit brauchen Unterstützung – politisch, juristisch und menschlich. PBI führt daher Schutzbegleitung durch und unterstützt sie bei der politischen Vernetzung auch in Deutschland. Denn internationale Aufmerksamkeit kann den Druck erhöhen, die Verfahren gerecht zu führen, die Rechte der Angeklagten zu schützen und die Straflosigkeit der eigentlichen Täter:innen zu beenden. 

Bis zum Gerichtstermin im Juli bleibt der Hausarrest der zehn Verteidiger:innen von Olopa bestehen. Doch die Gemeinschaften geben nicht auf. Ihr Widerstand lebt – trotz aller Hindernisse.

Mehr Einblicke aus erster Hand bietet unser Podcast „Making Space for Dialogue“ – in der Folge mit Ubaldino García Canan: 
>> Wie sich in Guatemala indigene Gemeinden gegen Bergbaukonzerne zur Wehr setzen

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