14.09.2015 - Der Fall Nydia Érika Bautista verbleibt auch nach 28 Jahren in absoluter Straflosigkeit. Ihre Familie setzt sich aber um so heftiger für Wahrheit und Gerechtigkeit ein. Dafür werden sie bedroht, lassen sich aber nicht einschüchtern.
Nydia Érika Bautista wurde am 30. August 1987 gegen 18 Uhr von in Zivil gekleideten Soldaten der 20. Brigade der kolumbianischen Armee verschleppt, gefoltert und ermordet. Auf offener Straße in der Hauptstadt Bogotá zwangen die bewaffneten Männer sie in einen grauen Suzuki Jeep. Ihre Nichte Andrea hörte ihre Schreie. Doch das Kindermädchen, dass Andrea und Nydias Sohn Erik, betreute, beschwor sie ängstlich still zu sein. Zwei Wochen darauf fand man eine Frauenleiche an einer Landstraße am Stadtrand. Die Autopsie ergab, dass es sich um eine Frau Mitte 30 handele. Die Leiche ließ Spuren von Folter erkennen und einen Kopfschuss aus nächster Nähe. Als nicht identifizierbare Person (sogenannte NN) wurde der weibliche Kadaver auf dem Friedhof der Gemeinde beerdigt.
Nydia war sich der Gefahr in der sie schwebte bewusst. Wahrscheinlich wollte sie deshalb nicht Patentante von Andrea werden. Denn sie konnte sich nicht sicher sein, ob sie für das junge Mädchen jemals hätte einstehen können. Ihr Sohn Erik hatte sich gewünscht, dass sie zu seiner und der Kommunion von Andrea in Bogotá sein solle. Es sollte der Tag ihres Verschwindens werden. Der Verlobte ihrer Schwester Yaneth war zwei Tage zuvor verschwunden. Er gehörte wie Nydia zum urbanen Netzwerk der Guerillaorganisation M-19. Sein Schicksal konnte bis zum heutigen Tag nicht geklärt werden. Ein Zusammenhang mit dem gewaltsamen Verschwinden von Nydia ist aber sehr wahrscheinlich.
Nydias Vater Alfonso und Yaneth wurden zu zwei der wichtigsten Personen bei der Suche nach den Vermissten. Sie zeigten das Verschwinden der Tochter und Schwester bei den Behörden an, verteilten Zettel in den öffentlichen Bussen, berieten sich mit anderen Angehörigen von Verschwundenen und stellten ihr Leben ganz in den Sinn der Aufklärung des Verbrechens. Dadurch tauchten sie in die damals noch kleine, zu meist von Angehörigen der Opfer geleitete Welt der kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen ein.
„pbi setzt das Verbrechen des Gewaltsamen Verschwindenlassens auf die Agenda der internationalen Gemeinschaft“, Andrea Torres Bautista
Immer mehr wurden sie zu SpezialistInnen auf dem Gebiet der Suche nach gewaltsam Verschwundenen. Dabei mussten sie sich in die teils krude kolumbianische Gesetzeslage einarbeiten. Andrea entschloss sich, aufgrund des Schicksals ihrer Familie und dem Engagement ihrer Mutter, Jura zu studieren und sich der Verteidigung der Menschenrechte zu widmen. Erik verarbeitet die Erinnerung an seine Mutter und die Suche nach ihr in seinen Gedichten und künstlerischen Arbeiten. Unnachgiebig fordern sie von der kolumbianischen Regierung Gerechtigkeit und lassen sich auch nicht von Drohungen einschüchtern.
Nydias Leichnam wurde im Juli 1990 durch die Aussage eines an der Tat beteiligten Soldaten gefunden. Allerdings sollten noch weitere 16 lange Jahre vergehen bis durch eine DNA-Probe bewiesen werden konnte, dass es sich bei den sterblichen Überresten um Nydia Érika handelte. In diesen Jahren und den folgenden war die Familie ständiger Verfolgung, Bespitzelung und Bedrohung ausgesetzt. Der Fall Nydia Érika verblieb bis heute in absoluter Straflosigkeit.
Mehrmals musste die Familie ins Ausland flüchten. 1997 gründeten sie mit Hilfe von Freunden aus Süddeutschland in Genf den Internationalen Verein für Menschenrechte Nydia Érika Bautista e.V. Dieser setzt sich für Gerechtigkeit und die Aufarbeitung der Schicksale von Verschwundenen ein. Dabei informiert er bei den Vereinten Nationen und in Kolumbien über das Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens und unterstützt die Suche und Forderungen der Angehörigen von Verschwundenen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.
Yaneth wurde zu einer der ersten Begleitpersonen von pbi in Kolumbien. Heute begleitet pbi die Organisation bei Besuchsreisen in Europa oder bei bestimmten extremen Bedrohungsszenarien. Die Familie wurde zwischen Kolumbien und Europa auseinander gerissen. Yaneth, Andrea und Erik arbeiteten im Exil weiter für die Gerechtigkeit in ihrem Fall, kümmerten sich aber auch um die Angehörigen anderer Verschwundener. Andrea kehrte als erste zurück. Als ausgebildete Juristen setzte sie sich vermehrt für die rechtliche Aufarbeitung ein. Erik blieb zunächst in Deutschland, kehrte aber 2006 auch in seine Heimat zurück. Nach erneuten Bedrohungen im vergangenen Jahr und einem Einbruch in seine Wohnung – bei dem Informationen über die Arbeit des Vereins und Angehörige von Opfern gestohlen wurden – musste er erneut nach Deutschland fliehen. Als Stipendiat des Writers-in-Exile Programms des PEN lebt er nun in Hamburg und fördert von dort aus das Gedenken an seine Mutter und die vielen anderen gewaltsam Verschwundenen.
Der Verein Nydia Érika Bautista wurde seitdem oftmals bedroht und stigmatisiert. Im September letzten Jahres bezeichnete der Ex-Präsident und heutige Abgeordnete Álvaro Uribe in einer hitzigen Parlamentsdebatte Yaneth Bautista als Teil der Guerilla. Immer wieder verschickten Unbekannte Droh-Emails an das Büro der Organisation oder Partnerorganisationen. In diesen brandmarkten sie beispielsweise Yaneth als militärisches Ziel. Die Mails sind oft mit Namen neo-paramilitärischer Strukturen unterzeichnet. Seit April häufen sich auch Drohanrufe bei denen in markigen Worten der Tod von MitarbeiterInnen der Organisation angekündigt wird.
Zuletzt wurde Andrea mit dem Tod und sexueller Gewalt gedroht. Den Anruf erhielt sie nur einen Tag nachdem sie in einem Fall von gewaltsamen Verschwindenlassens die Befangenheit eines Richters angeklagt hatte. Doch die Familie Bautista wehrt sich weiterhin gegen die Ungerechtigkeit die sie umgibt, auch wenn dies viele Trennungen und Ängste mit sich zieht. Andrea meint dazu: „ich präsentiere als Anwältin jeden Fall von gewaltsamen Verschwindenlassens als ob es der Fall meiner Tante sei. Nydias Schicksal ist mein Antrieb.“
Text: Stephan Kroener
Nachrichten von pbi zu der Fundación Nydia Érika Bautista:
„Kolumbien: Drohungen gegen Mitglieder der von pbi begleiteten Stiftung FNEB sowie Prozesszeugen“ (14.06.2015)