08.04.2016 - Was ist der Unterschied zwischen einem Flüchtling und einem Geflüchteten? Was ist Asyl? Wer ist verantwortlich für die Einhaltung der Menschenrechte? Und was ist die sichere Herkunftsstaatenregelung? Diese Fragen und noch viele mehr stellen sich den Teilnehmern_innen des Workshops „Menschenrecht auf Asyl“ mit Pia Kohbrok am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) in Hamburg, und mir auch.
Es ist mein erster Tag im Bundesfreiwilligendienst bei pbi-Deutschland. Ich begleite Pia zum Lehrerinstitut, wo ein Tag „Referendare treffen NGO’s“ mit verschiedenen praxisrelevanten Workshopangeboten für angehende Lehrer_innen stattfindet. Was ist Globales Lernen? Dr. Ackermann, der Organisator, und Leiter des LI erklärt den Sinn der Veranstaltung, die er seit fünf Jahren leitet, in der Begrüßung. Globales Lernen bedeutet Zusammenhänge verstehen und sie lokal anwenden. Sich dessen bewusst werden, was für Auswirkungen unsere lokalen Handlungen im globalen Ausmaß haben. Sechs NGOs sind präsent um den Referendar_innen in elf Workshops verschiedene Themen näher zu bringen und pbi ist mit dem Thema „Menschenrechtsbildung“ eine davon.
Vor den Workshops stellen sich die NGO’s auf einem Markt der Möglichkeiten den Fragen aller Anwesenden. Zusammen mit Pia Kohbrok und Heike Kammer stehen wir am Stand und beantworten die Fragen der angehenden Lehrer_innen, die sich dafür interessieren am darauffolgenden Workshop teilzunehmen. Über pbi kann ich Auskunft geben, aber was Pia mit uns vorhat ist für mich auch eine Überraschung. Am Ende stehen sieben Leute auf der Liste und wir machen uns auf den Weg zum Zimmer, in dem der Workshop stattfindet. Beamer und Computer stehen bereit. Wir setzen uns in den Stuhlkreis und nach einigem Zögern, ob noch andere Leute kommen, fangen wir an uns vorzustellen. Die Teilnehmer_innen sind hauptsächlich Grundschullehrer_innen, außer einem, welcher an einer internationalen Schule arbeitet. Dass der Workshop erst ab Klasse 7 angemessen ist, stört sie nicht. Ihre Wünsche für den Workshop sind unterschiedlich. Einige habe das Thema schon mit ihren Schüler_innen behandelt und wollen noch mehr Input für weitere Arbeit; einige habe ‚Flüchtlingskinder‘ in ihrer Klasse und wollen deren Situation besser verstehen lernen und einen Zugang zum Thema; andere machen für sich selber mit- um einen Überblick über das Thema zu erlangen.
Bevor wir wirklich anfangen, stellt Heike pbi vor. Mit Interesse hören die Teilnehmer_innen zu und haken mit weiteren Fragen nach. Pia schafft es nach einigen Minuten, den Übergang zum heutigen Thema zu schaffen. ‚Menschenrechte‘ ist das allgegenwärtige Stichwort, das im Raum steht, aber was bedeutet das eigentlich?
Um das herauszufinden, gibt es ein Quiz. Seit wann gibt es die heute geltenden Menschenrechte und wer ist dafür verantwortlich? Wie viele Menschenrechte gibt es? Wo gelten sie? In wie viele Sprachen sind sie übersetzt worden?
Die Teilnehmer_innen haben einiges Wissen, auf das sie aufbauen können, aber einiges kann durch Pia und diesen Workshop noch ergänzt und vertieft werden. Seit wann gibt es die Menschenrechte? Nach einigem Zögern schlägt eine Referendarin vor: „Nach dem zweiten Weltkrieg?“ die anderen stimmen zu und tatsächlich gibt es die heutigen anerkannten Menschenrechte seit 1948 und wurden von den Vereinten Nationen erarbeitet. Pia hakt nach, aber wieso? Naja, im zweiten Weltkrieg gab es unglaubliche Menschenrechtsverletzungen. Soweit so gut. „Aber nicht alle Staaten haben diese unterschrieben!“- wirft einer der Teilnehmer ein. Pia stimmt zu, wobei sie hinzufügt, dass heute fast alle UN-Mitgliedstaaten die Deklaration unterschrieben haben. Ob die Menschenrechte eingehalten werden ist dann ein weiterer Aspekt. Wie Menschenrechte viele gibt es? 14? 20? Pia klärt auf- es gibt 30 Menschenrechte in der Deklaration und diese wurden bis jetzt in 321 Sprachen übersetzt.
Der Artikel, der uns heute interessiert, ist Artikel 14 – das Recht auf Asyl.
Artikel 14
1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen. [1]
Hier stellen sich uns zwei Fragen. Was gilt in diesem Fall als Verbrechen? In Deutschland gilt als ein Verbrechen eine Straftat, die mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe nach sich zieht, aber wie wird das in diesem Artikel umgesetzt? Die nächste Frage ist: warum gibt es diesen Artikel eigentlich? Zum Schutz von Menschenrechten. Wenn ein Mensch in seinem Land nicht die ihm anerkannten Menschenrechte leben kann, dann hat er das Recht auf Asyl in einem anderen Land. Aber was bedeutet Asyl eigentlich? Ein paar bedeutende Wörter werden von den Teilnehmern genannt: Schutz… Obhut… diese Worte hängen in der Luft als Pia die anschließende Frage stellt: wer darf um Asyl bitten? – Leute die verfolgt werden, ob politisch, oder religiös oder aus der LGBT Gruppe, wird vorgeschlagen. Pia klärt auf: JEDER. Jeder Mensch hat das Recht darauf, um Asyl zu bitten. Ob es anerkannt wird, ist eine andere Frage. Dies wiederum führt uns zu der nächsten und vielleicht wichtigsten Frage in diesem Kontext: warum fliehen Menschen? – Krieg. Hunger. Armut. Naturkatastrophen. Alles gute Gründe. Was würden wir unter diesen Umständen tun?
Sind all dies nun Gründe um Asyl zu erbitten und zu erhalten? Hier hat Pia Fakten parat. Völkerrechtlich wurde durch die Genfer Konvention von 1951 definiert wer ein Flüchtling ist und Anspruch auf Asyl hat. Deutschland hat diese Definition in den Gesetzen übernommen.:
„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“(Genfer Konvention, 1951)[2]
Diese Definition schließt Umstände wie Krieg, Perspektivlosigkeit oder Naturkatastrophen nicht mit ein. Es stellt sich also die Frage - in den Medien wird von der Flüchtlingssituation gesprochen – ob der Begriff der Geflüchteten angemessener ist und besser die Menschen beschreibt, über die gesprochen wird. Das heißt auch, dass demzufolge nur sehr wenige Menschen ein Recht auf Asyl in Deutschland haben. Aber was ist mit all den anderen? Die Strapazen die Menschen auf sich nehmen, um den Umständen ihres Lebens zu entkommen, werden in diesem System scheinbar nicht wiedergespiegelt. Die Umstände, in denen die Menschen nach der Flucht leben, schließt das noch nicht mit ein.
Bis zu diesem Punkt reden wir hauptsächlich über die Gründe, aber das WIE ist noch nicht durchgekommen. Wie fliehen Menschen? Welche Umstände nehmen sie auf sich? Fliegen? Wohl eher nicht. „Die kommen mit dem Boot.“ - Aber tun das wirklich alle? Pia klärt auf. „Schon mal was von IDPs gehört?“ Internally Displaced Persons. Menschen die innerhalb eines Landes auf der Flucht sind. Wie? Meist zu Fuß. Bevor sie überhaupt an Europa denken, bewegen sich Menschen innerhalb von Landesgrenzen, unternehmen häufig lange Reisen zu Fuß. Und dann weiter? Um fliegen zu können brauchen Menschen ein Visum. Gibt es ein Visum für Menschen auf der Flucht? Nein.. Was heißt das, kein Visum? Nun ja, das heiß das Grenzen illegal überschritten werden müssen, denn Asyl kann nur in einem Land selber beantragt werden. Das heißt, es wird eine Straftat begangen, die meist gefährlich ist. Mit Hilfe von Schlepper_innen, die ihre Dienstleistungen teuer verkaufen. Wir befinden uns in einem Netz aus widersprüchlichen Regelungen und Gesetzen. „Aber was ist denn mit dem Recht auf Asyl?“ fragt eine Teilnehmerin. Pia kontert: „Wer beschützt diese Menschenrechte?“ Nun sind alle ein bisschen ratlos. Der UNHRC vielleicht? Oder die EU. Wieder wird Pia energisch. „Das seid IHR! Jeder von euch ist dafür verantwortlich, diese Rechte zu schützen!“Was passiert denn, wenn der Weg bis nach Europa überstanden ist und man es bis nach Deutschland geschafft hat und in Hamburg ankommen ist? Früher wäre man in die Zentrale Erstaufnahmestelle gekommen. Durch den Anstieg an Geflüchteten gibt es in Hamburg hiervon fünf. In diesen werden die Menschen registriert und es wird überprüft, ob sie einen Asylantrag stellen dürfen. Waren sie vorher in einem anderen EU-Land und sind mit ihrem Fingerabdruck erfasst worden, müsste dort der Antrag gestellt werden. Jetzt kann der Asylantrag beim BAMF folgen. Nach den Dublin II-Bestimmungen haben Geflüchtete nur einen Anspruch auf Asyl in dem ersten europäischen Land, das sie betreten und wenn sie hier schon erfasst wurden, werden sie innerhalb Europas abgeschoben. Und natürlich darf man auf diesen Anträgen nicht lügen. Das könnte auch ein Grund für ein schwieriges Asylverfahren darstellen mit ungewissem Ausgang. Also was tun?
Und wie lange dauert das Ganze ab der Einreise? Die Teilnehmer_innen raten: Vielleicht 6 Monate bis 2 Jahre? 3 Monate? Da hat Pia ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Ihr macht es Spaß, die Antworten zu hören. Dann kontert sie: „Sieben Jahre? Drei Jahre? Es gibt leider keine Pauschalantwort außer, dass es sechs Wochen bis drei Monate dauern sollte.“ Nur leider gibt es derzeit zu viele Anträge, die geprüft werden müssen.
Hinzu kommen die Anträge von Kindern. Ein besonders heikles Thema. Pia fragt: „Wieso ist es denn so wichtig, ob ein Kind oder Jugendlicher ein Kind oder Jugendlicher ist?“ „Na, wegen des Jugendschutzgesetzes.“ Wissen die Teilnehmer_innen als Antwort. Und genau so ist es. Kinder und Jugendliche haben einen besonderen Status, der potenziell von Älteren auch ausgenutzt werden kann. „Und wie wird das Alter überprüft?“ Da lautet die selbstverständliche Antwort:“durch Untersuchungen.“ „Und wie läuft so eine Untersuchung ab?“ In diesem Moment dämmert es bei den Teilnehmern und auch bei mir, dass diese Untersuchung ein starker Angriff auf die Menschenwürde dieser Kinder und Jugendlichen darstellt. Hamburg ist derzeit das einzige Bundesland, in welchem eine Genitaluntersuchung zur Altersbestimmung genutzt wird. Des Weiteren werden die Flüchtlinge geröntgt, Methoden der Altersbestimmung die stark umstritten sind. Ich forsche zuhause weiter nach und finde im Internet eine Vielzahl an Artikeln, die sich mit diesem Thema befassen[3]. Solche Untersuchungen wären für die meisten Menschen mindestens ungemütlich, und dieses Gefühl bezieht die Umstände, unter welchen diese Minderjährigen nach Deutschland gekommen sind und die Traumata, die sie möglicherweise mit sich bringen, nicht mit ein. „Und können diese Kinder sich wehren?“ fragt Pia. Alle wissen die Antwort. Meist nicht. Wie sollen sie sich gegen eine Behandlung wehren, die ihnen vorgeschrieben ist? Dass sie ein Menschenrecht auf ihrer eigene Würde haben, wissen oder verstehen sie womöglich nicht. „Aber was ist denn mit den Menschenrechten?“ wird wieder von den Teilnehmern_innen gefragt. „Wer ist denn dafür verantwortlich?“ fragt Pia wieder. „Das seid IHR! Ihr seid verantwortlich und ihr müsst aktiv werden damit Menschenrechte geschützt werden. Jeder muss die Menschenrechte kennen, um sie umsetzen und einfordern zu können!“?
Die Teilnehmer sind angeregt. Sie merken, dass dieses Thema nicht einfach so mal abgehakt ist, sondern dass sie es aktiv in ihr Leben einbringen müssen. Eine ironische Bemerkung lautet: „Naja, solange es der Gesellschaft gut geht, müssen wir uns ja nicht einmischen…“ Aber sie merken auch, dass es sie betrifft und vor allem ihr Arbeitsumfeld als Lehrer_innen. Sie berichten von Schülern_innen, die „länger Besuch haben“. Aber wie kann man dieses Thema gut in der Schule behandeln? Verstehen die Schüler es? Ist es nicht ein bisschen sensibel? Aber im Endeffekt sind sich alle einig – das Thema muss besprochen werden, auch mit jüngeren Schüler_innen. Pia hat ein paar Anregungen: eine Empathieübung mit wahren Geschichten aus ihrer Arbeit; ein Rollenspiel, das die Frustration der Ankunft, Unterkunft und Anträge widerspiegelt. Leider fehlt uns heute die Zeit, um tiefer in das Thema und das Spiel einzusteigen. Die Teilnehmer:innen sind nachdenklich als die den Raum verlassen und ich auch.
Text: Lisa Wilden, Bundesfreiwillige im Bildungsprojekt bei pbi Deutschland
[1] Menschrechtsdeklaration online unter: http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf