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03.04.2024 – Mitte März reiste eine unabhängige Expertengruppe internationaler Jurist:innen nach Nepal. Die Reise fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem das Parlament ein wichtiges Gesetz zur Transitional Justice (Begriffserklärung unten) prüft. Sie werden im Juli einen vollständigen Bericht veröffentlichen, aber in ihren ersten Beobachtungen betonten die Jurist:innen, dass Nepal die einmalige Chance habe, ein weltweites Vorbild in Sachen Transitional Justice zu werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Begriffserklärung: „Transitional Justice“

„Transitional Justice bezeichnet die Gesamtheit von Handlungsansätzen, die auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene darauf gerichtet sind die Folgen von Gewalt und Leid nachhaltig auf der ideellen und strukturellen Ebene zu überwinden und ein friedliches gesellschaftliches Miteinander neu zu gestalten. Dazu gehören insbesondere die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen durch internationale, nationale oder sog. „gemischte“ Strafkammern, die Reform staatlicher Institutionen, insbesondere des Justiz- und Sicherheitssektors, die Reparationen für Opfer von Gewalt, die Amtsenthebung von Funktionsträgern oder „Durchleuchten“ bei Neueinstellungen sowie Wahrheitskommissionen, die Dokumentation- und Erinnerungsarbeit, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.“ – Definition von der Website der Bundeszentrale für politische Bildung

Delegationsreise

Transitional Justice - Internationale Jurist:innen reisen nach NepalDie Dele­gation setzte sich aus Ver­treter:innen von Institu­tionen wie Doughty Street Chambers, 33 Bedford Row und Forest Peoples Programme sowie aus Ländern wie Kolum­bien, der Elfenbeinküste, den Niederlanden, Sri Lanka, dem Vereinigten König­reich und den USA zusammen. Auf ihrer Rund­reise nach Kathmandu, Janakpur, Nepalgunj und Bardiya konnte sich die Dele­gation aus erster Hand davon über­zeugen, wie sich diese Probleme mani­festieren, von denen vor allem bereits margina­lisierte Gruppen betroffen sind. Die Delegation traf sich nicht nur mit Staats­beamt:innen, sondern besuchte auch Opfer des bewaffneten Konflikts in Nepal sowie Menschenrechtsverteidiger:innen, Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Menschenrechtsanwält:innen, die peace brigades international im Land unterstützt.

In Nepal schrumpft der Raum für die Zivilgesellschaft, und die Möglichkeiten für NROs, zu arbeiten, werden eingeschränkt. Die Delegation wies darauf hin, dass die Zivilgesellschaft als entscheidender Partner angesehen werden sollte, wenn es darum geht, die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und den Opfern Zugang zur Justiz zu verschaffen – und das in einer Zeit, in der Nepal die Chance hat, eine weltweite Führungsrolle im Bereich der Transitional Justice zu übernehmen.

„Trotz der enormen Anstrengungen Nepals, die internationalen Menschenrechtsstandards einzuhalten, ist die Delegation der Ansicht, dass es in dem Land umfassendere Fragen der Rechtsstaatlichkeit gibt, die die Wirksamkeit eines Prozesses der Transitional Justice behindern“, erklärte Kishali Pinto-Jayawardena.

Die Delegation internationaler Jurist:innen wurde auf allgemeine Bedenken aufmerksam gemacht, darunter:

► Weitverbreitete Probleme bei der Umsetzung, die den Nutzen der Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen untergraben.
► Der Eindruck von Voreingenommenheit und Politisierung des Justizwesens.
► Fehlender Schutz für Opfer von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt und Folter sowie eine allgemeine Zurückhaltung bei der Diskussion dieser Themen.
► Die Notwendigkeit, nach den gewaltsam verschwundenen Personen zu suchen und ihren Familien Zugang zu Gerechtigkeit, Wahrheit und rechtlicher Anerkennung zu verschaffen.
► Die Frage des gleichberechtigten und sinnvollen Zugangs aller nepalesischen Opfer zu den Justizmechanismen, einschließlich der Angehörigen von Minderheiten, ethnischen und indigenen Gruppen.
► Die Verkleinerung des zivilgesellschaftlichen Raums sowie die Bedrohung von Menschenrechtsverteidiger:innen und die Einschränkung von NROs, auch durch die Bestimmungen und die Anwendung des NRO-Gesetzes.
► Die Bedeutung der Anerkennung und Bereitstellung von Maßnahmen zur Wahrheitsfindung als eine Form der Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer, die im Rahmen der lokalen Kultur und Tradition erfolgt und diese mit einbezieht.
► Hindernisse für Gerechtigkeit und eine wirksame Vertretung von Randgruppen, einschließlich Dalit-Völkern, Frauen und indigenen Gemeinschaften.

„Die nepalesische Regierung hat die Chance, diese einzigartige Gelegenheit zu ergreifen, um die Ursachen des bewaffneten Konflikts, einschließlich der Marginalisierung der Dalit und anderer Minderheiten, zu bekämpfen“. – Camila Zapata Besso

Insbesondere in Bezug auf den Prozess der Transitional Justice wurden gegenüber der Delegation folgende Bedenken geäußert:

► Die Definitionsfragen im Gesetzentwurf zur Transitional Justice in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen und grobe Menschenrechtsverletzungen scheinen nicht mit internationalen Standards übereinzustimmen und könnten Handlungen ausschließen, die internationalen Verbrechen gleichkommen.
► Die Frage, ob das Ernennungsverfahren und die Sicherheit der Amtszeit von Richter:innen und Kommissar:innen (einschließlich der TRC- und CIEDP-Kommissar:innen) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleisten können. 
► Die Konsultation der Opfer von Menschenrechtsverletzungen muss einheitlich und verlässlich sein, um sicherzustellen, dass die Justizmechanismen sinnvoll sind und auch marginalisierte Gruppen und indigene Völker einbeziehen. 
► Der Prozess der Sammlung und Aufbewahrung von Daten und Beweisen, die von Opfern und anderen Beteiligten gesammelt wurden.
► Die gleichmäßige und gerechte Verteilung von Entschädigungen an die Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

„Der Prozess der Transitional Justice und seine Ziele der Wahrheitsfindung, der Strafjustiz, der umfassenden Wiedergutmachung für die Opfer, des Gedenkens und der Nichtwiederholung sind für einen dauerhaften Frieden und die Stabilität in Nepal für die kommenden Generationen von wesentlicher Bedeutung.“ 
– Aswini Weereratne KC

Bruno Menzan, Experte für afrikanische Menschenrechte, fügte hinzu: „Für die nepalesische Regierung, die Justiz und die nationalen Akteure ist es von entscheidender Bedeutung, das technische Fachwissen und die finanziellen Ressourcen sorgfältig zu ermitteln, die es dem Land ermöglichen würden, seine Menschenrechtserfolge weiter zu verbessern.“

Die aus erster Hand gesammelten Informationen werden in einen Bericht einfließen und dazu dienen, Vorschläge zu unterbreiten, wie Nepal die einmalige Gelegenheit nutzen kann, den Zugang zur Justiz für alle zu verbessern, unter anderem durch ein wirksames Gesetz zur Transitional Justice.

Den vollständigen Bericht werden sie im Juli veröffentlichen. In ihren ersten Beobachtungen betonten die Jurist:innen, dass:

► Nepal die einmalige Chance hat, ein weltweites Vorbild in Sachen Transitional Justice zu werden.
► weitergehende Fragen der Rechtsstaatlichkeit den Prozess der Transitional Justice gefährden können; diese müssen überwunden werden, um seine Wirksamkeit zu gewährleisten.
► Nepal gewisse Menschenrechtserfolge zu verzeichnen hat und unterstrichen gleichzeitig, dass spezielle technische und finanzielle Ressourcen erforderlich sind, um die Wirksamkeit des Justizsystems zu gewährleisten.
► Transitional Justice nur dann der Schlüssel zu Frieden und Stabilität für künftige Generationen ist, wenn sie an den Ursachen ansetzt, marginalisierte Gruppen schützt und internationalen Menschenrechtsstandards entspricht.
► die Zivilgesellschaft ein wichtiger Partner bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Gewährleistung des Zugangs zur Justiz ist.

>> Pressemitteilung (englisch)

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