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17.11.2015 - pbi-Kolumbien: Die Mitarbeiter_innen des Anwaltskollektivs José Alvear Restrepo (CCAJAR) leben gefährlich. CCAJAR gilt als eine der einflussreichsten NGOs des Landes und sie arbeitet eng mit internationalen Partner_innen zusammen. In Rahmen der Friedensverhandlungen häufen sich die Bedrohungen gegen Mitarbeiter_innen der Organisation.

Viele Fälle, die CCAJAR betreut, behandeln sensible Themen wie die Verwicklung hochrangiger Militärs in Untersuchungen zu sogenannten „Falsos Positivos“. Als Falsche Positive werden die extralegalen Hinrichtungen bezeichnet, die vor allem während der Regierungszeit Álvaro Uribe Vélez (2002-2010) verübt wurden. Heute sitzt Uribe im Senat. Sein Nachfolger im Präsidentenamt ist Juan Manuel Santos, der unter Uribe den Posten des Verteidigungsministers inne hatte und dessen direkte Untergebene laut Human Rights Watch die Morde anordneten.

Diese Praxis kolumbianischer Militärs, ihre Statistiken zu verbessern, überzog das ganze Land. Es traf vor allem Jugendliche im wehrfähigen Alter, Bauern und Bäuerinnen und marginalisierte Gruppen. Einige wurden unter dem Vorwand einer Arbeitsmöglichkeit von in zivil gekleideten Soldat_innen in entlegene Gegenden gelockt, hinterrücks erschossen und dann später als uniformierte Guerilleros der Presse präsentiert. Unschuldige Bauern und Bäuerinnen wurden von Paramilitärs denunziert und von Soldat_innen ermordet. später wurde der Tatort manipuliert, um ein Kampfgeschehen zu simulieren. Die Fälle gehen in die Tausende. Die Vorgesetzten der Soldat_innen konnten mit den Toten die Statistiken füllen und der Bevölkerung auf diese Weise die Notwendigkeit des Militäreinsatzes erklären und ihre Taten als erfolgreiches Eingreifen präsentieren. Die verstrickten Soldat_innen erhielten extra Urlaubstage oder Bonuszahlungen.  

CCAJAR fordert Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Hinterbliebenen. Viele, teils hochrangige Militärs konnte die Organisation so vor Gericht bringen. Damit konnten die Meschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit gebracht  werden. Doch dadurch wurde das Anwaltskollektiv auch zur Zielscheibe vielfältiger Bedrohungen. Seit Jahren wehren sich die Anwält_innen juristisch gegen die Angriffe und suchen dabei auch den Schutz internationaler Organisationen wie  peace brigades international (pbi).

Dabei unterstützt pbi CCAJAR nicht nur durch direkte Begleitungen im Land sondern auch bei Besuchsreisen in Europa und den USA. Bei einem dieser Besuche wurde Yessika Hoyos als Mitarbeiterin von CCAJAR von der Europäisch-Lateinamerikanischen Parlamentarierversammlung (EuroLat) eingeladen, um an einer Expert_innenrunde zur aktuellen Situation der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Santos und der linksgerichteten FARC-Guerilla teilzunehmen. Zur ihrer großen Überraschung wurde sie aber auch dort, ähnlich wie in Kolumbien, diffamiert.

Yessika Hoyos ist nicht nur Mitglied von CCAJAR, sondern auch Betroffene des bewaffneten Konflikts. Ihr Vater war Gewerkschaftsführer und wurde 2001 ermordet. Die Anstifter_innen des Mordes wurden nie ausfindig gemacht. Für Frau Hoyos war dies der Auslöser, sich gegen die Straflosigkeit in ihrem Land beruflich zu engagieren. Seit langem arbeitet sie für das Anwaltskollektiv CCAJAR. Mitte letzten Jahres reiste sie mit anderen Betroffenen des Konfliktes nach Havanna, um im Rahmen der dortigen Friedensverhandlungen zwischen den FARC und der Regierung Santos ihren Fall zu präsentieren.

Seitdem werden sie und ihre Familie immer mehr bedroht. Am zehnten September diesen Jahres wurde das Kindermädchen von Frau Hoyos, das sich um ihre 16 Monate alte Tochter kümmert, von zwei verdächtigen Personen vor ihrem Haus angehalten und über die Lebenssituation, Arbeitszeiten und weiter Details aus dem Leben der Anwältin ausgefragt. Die beiden Personen gaben sich als Bekannte von Frau Hoyos aus und erklärten, dass sie auf sie warten würden. Auch fragten sie explizit, wer sich wann um die kleine Tochter kümmern würde.

Dieses Interesse ist ein Hinweis auf die verschärfte Bedrohungslage . Die Akteur_innen zeigen damit, dass nicht nur die Anwältin selbst, sondern auch ihre Familie unter Beobachtung steht und Ziel gewaltsamer Aktionen werden könnte. Ähnliches ist bereits der bekannten Anwältin Soraya Gutiérrez wiederfahren. Ihr wurde eine zerstückelte Babypuppe mit einer Nachricht hinterlassen, die besagte, dass sie doch eine hübsche Tochter habe, die sie lieber beschützen sollte als sich in andere Angelegenheiten einzumischen. Die Puppe wies Merkmale sexualisierter Gewalt auf – eine weitere Art, gerade die Bedrohungen von Menschenrechtsverteidiger_innen zu verstärken.  

Die Situation von Frau Hoyos spitzte sich  durch einen erneuten Zwischenfall kürzlich weiter zu: ihr Assistent befand sich Mitte September auf seinem Weg nach Hause, als er kurz vor seiner Wohnung einen grauen Ford Kleinbus mit getönten Scheiben bemerkte. Aus dem Fahrzeug sprangen mehrere in zivil gekleidete Männer und hielten ihn an. In markigen Worten erklärten sie ihm, dass er besser auf sich aufpassen solle. Ohne weitere Erklärung verschwanden sie.

Derartige Situationen häufen sich in diesem Jahr gerade auch durch den seit 2012 in Havanna laufenden Friedensprozess. Es geht bei diesen Verhandlungen auch um Aussöhnung und Aufklärung. So reisten im vergangenen Jahr mehrere Opfer- / Überlebendengruppen in die kubanische Hauptstadt, um ihre Geschichten zu erzählen und Gerechtigkeit zu fordern. Vielen Beteiligten des Konfliktes ist die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen ein Dorn im Auge, denn damit könnten  auch  Verbindungen der wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes zu paramilitärischen Gruppen ans Tageslicht kommen. Nichtregierungsorganisationen werden aus diesem Grund immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen. Doch Anwält_innen wie Yessika  Hoyos werden weiter für Frieden eintreten, denn ohne sie wird es  keinen geben.

Text: Stephan Kroener