06.04.2018 - Wer sich mit Menschenrechten in Guatemala beschäftigt, musste feststellen, dass es in den letzten Jahren vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen rund um Wirtschaftsprojekte gekommen ist und sich dieser Trend wohl auch in Zukunft fortführen wird. Doch warum führen diese Wirtschaftsvorhaben in dem mittelamerikanischen Staat so häufig zu Konflikten, wo es doch eigentlich rechtliche Regelungen gibt, die dies verhindern sollen?
1996 nahm der 36-jährige, blutige Konflikt in Guatemala ein Ende. Während der Friedensverhandlungen wurden insgesamt zwölf Abkommen unterzeichnet – eines davon über die Identität und Rechte indigener Völker, welches bis zum heutigen Tage nicht zufriedenstellend in die nationale Gesetzgebung aufgenommen wurde. Im selben Jahr ratifizierte der guatemaltekische Staat auch die Konvention 169 über indigene Gemeinschaften in unabhängigen Ländern der Internationalen Arbeitsorganisation (kurz: ILO 169), welche ihnen umfassende Rechte zusagt. Obwohl die ILO 169 rechtlich verbindlich ist, ist auch hier die gelebte Realität weit vom Inhalt des Dokuments entfernt.
In diesen Gesetzestexten ist unter anderem das Recht auf Konsultation verankert, was zu Spannungen bei geplanten wirtschaftlichen Großprojekten führt. Konsultation bedeutet, dass indigene Völkern ohne fremde Einflüsse und ihren eigenen Traditionen und Gebräuchen folgend über sie betreffende Maßnahmen informiert, befragt und in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden, bevor es zur Umsetzung kommt. Diese Maßnahmen können staatliche Programme, Gesetzesvorhaben aber auch Wirtschaftsprojekte sein. Zunehmend bildet sich in der indigenen Bevölkerung Widerstand gegen solche Maßnahmen, da das Recht auf Konsultation regelmäßig missachtet und verletzt wird. Oft handelt es sich dabei um Projekte aus dem Energie-, Bergbau-, Landwirtschafts- und Infrastruktursektor.
So auch bei den beiden geplanten Wasserkraftwerken Oxec I und II, am Fluss Cahabón im Department Alta Verapaz. Die fast 200, von den geplanten Projekten betroffenen Gemeinden haben sich zu einer friedlichen Widerstandsbewegung formiert, die seit Juli 2017 von pbi begleitet wird. Das guatemaltekische Verfassungsgericht hatte am 17. Februar 2017 entschieden, den Bau der beiden Wasserkraftwerke einzustellen, weil er nicht konform zur ILO 169 sei. Der Bau der neuen Kraftwerke sollte für ein Jahr stillgelegt werden, um Konsultationen in der betroffenen Region durchzuführen. Am 26. Mai, lediglich drei Monate später, revidierte das Verfassungsgericht jedoch seine vormals wegweisende Entscheidung und erließ dem Unternehmen die Genehmigung, das umstrittene Projekt fortzuführen. Die Konsultation der in der betroffenen Region lebenden Bevölkerung sollte, so die Entscheidung des Verfassungsgerichts, parallel zum Bau erfolgen. Mit dem Urteil setzte das Verfassungsgericht der guatemaltekischen Regierung außerdem die Frist, innerhalb eines Jahres das Konsultationsrecht indigener Völker durch ein Gesetz zu regulieren. Fraglich bleibt bei dieser Entscheidung aber, ob und wie die Regierung die Rechtsprechung anpassen wird.
Es ist aber nicht der erste, sondern bereits der dritte Versuch einer Regulierung der Konsultation. Der letzte Versuch während der Regierungszeit von Álvaro Colom (2008 – 2012) wurde vom Verfassungsgericht für unrechtmäßig erklärt, weil die Regierung die indigenen Völker nicht in den Regulierungsprozess der Konsultation miteinbezogen hatte. Nun beschäftigt sich die Regierung von Präsident Jimmy Morales erneut mit einer möglichen Regulierung – mit Unterstützung der Unternehmerverbände des Handels, der Landwirtschaft, der Industrie und des Finanzwesens (CACIF). Die Unternehmen erhoffen sich eine Regulierung, die klare Mechanismen etabliert, um eine Konsultation indigener Völker durchzuführen, die vor allem mit ihren Investitionsinteressen konform sein soll.
Vertreter_innen indigener Bevölkerungsgruppen verweisen hingegen darauf, dass es bereits Mechanismen für Konsultationen gibt, diese aber nicht genutzt bzw. anerkannt werden. Sie bemängeln zudem, dass sie nur eingeschränkt bis gar nicht in den Regulierungsprozess mit einbezogen werden. So wurden sie zum Beispiel nicht konsultiert, ob sie überhaupt eine Regulierung der Konsultation wollen – eine durchaus legitime Forderung. Es geht schließlich um das Recht, ihre Meinung in ihren traditionellen Formen zu äußern und diese auch in Entscheidungsprozessen berücksichtigt zu sehen. Eine große Sorge besteht darin, dass die Durchführung einer Konsultation auf eine vorgeschriebene Verfahrensweise festgelegt wird. Jede der 24 indigenen Gruppen Guatemalas verfügt über eigene Traditionen und Vorgehensweisen, die nicht durch eine Regulierung in ein festes Schema gepresst werden können. Die indigenen Vertreter_innen kritisieren außerdem, dass die Regulierung der Konsultation darauf abzielt, dass eine Zustimmung der Indigenen zu einem Projekt zustande kommt – die Möglichkeit indes, ein Projekt abzulehnen, wird nicht näher betrachtet.
Die Meinungen zu einer möglichen Regulierung der Konsultation sind vielfältig. Während der CACIF und seine Unternehmen öffentlichkeitswirksam Kampagnen „pro-Regulierung“ schalten, haben indigene Völker wenig Raum, um sich zu diesem Thema zu äußern. pbi Guatemala widmete daher diesem Thema einen Artikel in seinem Rundbrief, in dem indigene und zivilgesellschaftliche Akteure zu Wort kommen und ihre Bedenken äußern. Lest selbst, was sie zu sagen haben.
>> La Reglementación de la consulta, un proceso muy cuestionado (spanisch)
>> Regulation of consultation, a highly questioned process (englisch)
Text: Stephanie Brause (ehemalige pbi-Freiwillige in Guatemala)
Foto: Francisco Hernando Vanegas Toro