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Menschenrechtsverteidiger:innen aus Kolumbien auf Besuch im politischen Berlin

Menschenrechtsverteidiger:innen aus Kolumbien auf Besuch im politischen Berlin

09.08.2022 – Der kürzliche Besuch der kolumbianischen Menschenrechtsverteidiger:innen Gloria Orcué und Carlos Morales in Deutschland und weiteren pbi-Projektländern lieferte wertvolle Erfahrungsberichte für die internationale Interessensvertretung. Unsere Advocacy-Referentin Laura Kühn und die ehemalige pbi-Freiwillige Leticia Encinas Rosa begleiteten die beiden auf ihrer Tour durch das politische Berlin. Dabei sprachen sie mit unterschiedlichen Institutionen und verbündeten Organisationen. Bei den Austausch- und Vernetzungstreffen ging es insbesondere um die Umsetzung des Friedensvertrags, die anhaltende Gewalt sowie die damals noch bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Kolumbien.

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Gloria Orcué
Gloria Orcué stammt aus der Region Cauca, einer Provinz im Süd­westen Kolumbiens. Seit ihrem 19. Lebensjahr engagiert sie sich für Menschen­rechte und arbeitet seit fast 20 Jahren bei der Orga­nisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz (JyP). Dort unter­stützt sie Initia­tiven zur Vertei­digung des Lebens, des Terri­toriums und der Stärkung der Menschen­rechte. Darüber hinaus ist sie Vertreterin von zahlreichen Frauen- und Umwelt­organisationen und gehört derzeit dem Vor­stand von JyP an. Die Organisation begleitet seit mehr als drei Jahr­zehnten afro­kolumbianische und indi­gene Personen und Gemeinden, die von Konflikten und Gewalt betroffen sind. Sie unterstützt vor allem lokale Gemein­schaften bei der Einforderung ihrer Rechte gegenüber dem Staat und privaten Akteur:innen. Sie führt Aktivitäten durch, die den Dialog und die Versöhnung zwischen Opfern und Täter:innen von Menschenrechtsverletzungen voranbringen und Garantien dafür schaffen, dass sich die Gewalt nicht wiederholt.

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Carlos Morales
Carlos Morales ist ebenfalls Menschen­rechts­verteidiger und derzeit Vorstand der Organi­sation Corporación Acción Humanitaria por la Convivencia y la Paz en el Nordeste Antioqueño (Cahucopana). Seit 2004 enga­giert sich die Orga­nisation für die Land­rechte von Bauern­gemeinden im Nord­osten von Antioquia. Auf­grund seines aner­kannten Einsatzes für die Menschen­rechte sind Carlos und seine Familie starken Risiken aus­gesetzt. Im Jahr 2018 sprach die Inter­amerikanische Menschen­rechts­kommission (IACHR) daher Schutz­maßnahmen für Cahucopana aus. 2019 wurde die Organisation von der offiziellen Opfer­beratungs­stelle Kolumbiens als Bestand­teil der kollektiven Wieder­gutmachung anerkannt, um die während des Konflikts erlittenen Schäden auszugleichen.

Gewalt und Straflosigkeit auch nach dem Friedensabkommen

Mehr als fünf Jahre sind seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der damaligen kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo, dt. Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) im Jahr 2016 vergangen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens sollte das Ende des über fünfzig Jahre andauernden bewaffneten Konflikts besiegelt werden. Die Beseitigung der Konfliktursachen, etwa durch politische Reformen oder die Integration und Aufwertung ländlicher Gemeinden und Gebiete, gehen seither jedoch nur schleppend voran.

Gleichzeitig ist die Situation im Land weiterhin geprägt von einer hohen Straflosigkeit und Korruption: Eine Mehrzahl der Gewalttaten bleibt weiterhin unbestraft und die Täter:innen und insbesondere die verantwortlichen Auftraggeber:innen werden nur selten ermittelt, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen. Ebenso unbestraft bleiben die Androhung von Gewalt und Repressionen durch Gewaltakteur:innen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Einzelfälle. Besonders im Kontext des Menschenrechts- und Umweltschutzes sind solche Einschüchterungen an der Tagesordnung. Auch die IACHR hat die „Rückfälligkeit“ des kolumbianischen Staates in diesem Zusammenhang festgestellt.

All dies führt dazu, dass Menschenrechts- und Umweltverteidiger:innen in Kolumbien auch weiterhin erheblichen Risiken ausgesetzt sind. Laut UNHCHR (Hochkommissarin für Menschenrechte) wurden in Kolumbien seit Abschluss des Friedensabkommens bis Ende 2020 mehr als 400 von ihnen getötet – so viele wie in keinem anderen Land Süd- oder Zentralamerikas. Im Jahr 2021 wurden 139 Morde registriert und allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2022 waren es bereits 60 Menschen, die für ihr Engagement ermordet wurden.

Auch Gloria und Carlos sind aufgrund ihrer Tätigkeiten immer wieder Bedrohungen ausgesetzt. So wurde im Februar 2022 ein brutaler Angriff auf Carlos verübt, als er in der Stadt Barrancabermeja mit seiner Frau und seinem Sohn auf einem Motorrad unterwegs war.

Gespräche mit dem Auswärtigen Amt und der Parlamentariergruppe Anden-Staaten

Umso wichtiger war es, dass die beiden ihre Perspektiven während der Besuchsreise sichtbar machen und ihre Anliegen auch auf internationaler Ebene vorbringen konnten. So konnten sie auch über die Repressionen und Bedrohungen, denen sie tagtäglich ausgesetzt sind, aus erster Hand berichten.

Am ersten Tag der Reise durch Berlin trafen Gloria und Carlos gemeinsam mit pbi auf Vertreter:innen des Auswärtiges Amtes, um über die damals noch anstehenden Präsidentschaftswahlen, die Lage von Menschenrechtsverteidiger:innen in Kolumbien und die Notwendigkeit differenzierter Schutzmaßnahmen zu sprechen.

Gloria präsentierte die territoriale Zusammenarbeit innerhalb ihrer Organisation JyP. Sie hob hervor, dass die strukturellen Probleme im Zusammenhang mit der mangelnden Umsetzung des Friedensabkommens, zu einer allgemeinen Gewaltsituation geführt haben. Sie betonte die Probleme im Hinblick auf den Zugang zu Land und damit verbunden den fehlenden Zugang der Bäuerinnen und Bauern zu den Produktionsmitteln und zur freien Entscheidung über die Nutzung des eigenen Territoriums. Darüber hinaus, warnte sie vor den Risiken, die von Ressourcenabbauprojekten ausgehen und skizzierte die Auswirkungen auf die ansässigen Gemeinden, die Umwelt und die stark bedrohten Umweltaktivist:innen. Sie unterstrich die große Notwendigkeit, angemessene Schutzmaßnahmen mit den Gemeinden zu vereinbaren, damit sie nicht noch höheren Risiken ausgesetzt werden.

Carlos erklärte, dass die Abwesenheit des kolumbianischen Staates in einigen Teilen des Landes und die gleichzeitige Präsenz bewaffneter Gruppen einer der Hauptgründe für den Fortbestand des Konflikts sei. Er stellte die Arbeit von Cahucopana vor und beschrieb die Bedrohungen, die von verschiedenen Akteur:innen - den paramilitärischen Gruppen, Guerillagruppen, FARC-Dissidenten, dem Militär und der Polizei - ausgehen. Er betonte die Relevanz der Selbstschutzmaßnahmen von Cahucopana und erzählte in diesem Zusammenhang von dem brutalen Angriff, der kürzlich auf ihn verübt wurde. Im Hinblick auf die Wahlen äußerte Carlos seine Sorge über den bewaffneten Streik der AGC in mehreren Regionen des Landes und das Fehlen staatlicher Garantien für die Wahlbeteiligung der kolumbianischen Bevölkerung. Er forderte die Bundesregierung auf, die freie Stimmabgabe zu gewährleisten und von Deutschland aus Druck auf die kolumbianische Regierung auszuüben. Das Auswärtige Amt erkannte die Bedeutung des Wahlrechts an und versicherte, dass es eine EU-Beobachtungsmission unter Beteiligung der Deutschen Botschaft geben wird. In diesem Rahmen sollten auch Besuche in den Territorien der indigenen Gemeinden durchgeführt werden.

Am zweiten Tag fand ein Treffen mit Abgeordneten der Parlamentariergruppe Anden-Staaten und anderen Menschenrechtsverteidiger:innen aus Kolumbien statt. Carlos erläuterte die aktuelle Situation und die befürchteten Auseinandersetzungen rund um die Wahlen. Er unterstrich erneut die Dringlichkeit, das Wahlrecht zu garantieren und die Wahlen vor, während und nach dem Wahlprozess zu beobachten. Gloria sprach über die Rolle von Frauen im kolumbianischen Konflikt und deren mangelnde Anerkennung. Sie betonte die Notwendigkeit, Frauen Zugang zu politischer Arbeit und Friedensarbeit zu garantieren und in der öffentlichen Politik des kolumbianischen Staates einen genderspezifischen Ansatz zu verfolgen. Ihrer Ansicht nach wurden in diesem Bereich bisher nur 20% der Fortschritte erzielt, die im Friedensabkommen von 2016 festgehalten wurden.

In beiden Gesprächen konnten Gloria und Carlos all ihre Anliegen, Wünsche und Ziele präsentieren. Sie waren grundsätzlich zufrieden mit dem Austausch und hoffen, dass sich daraus in Zukunft stärkere Schutzmechanismen für sie und andere Menschenrechtsverteidiger:innen ergeben und eine politische Veränderungen angestoßen werden kann.

Am dritten und letzten Tag der Besuchsreise tauschten sich Gloria und Carlos mit anderen Menschenrechtsverteidiger:innen aus Kolumbien, sowie Mitgliedern der Deutschen Koordination für Menschenrechte in Kolumbien, Misereor und kolko – Menschenrechte für Kolumbien e.V. aus. Darüber hinaus trafen sie sich mit kolumbianischen Organisationen, wie Unidas por la Paz und der Kolumbienkampagne. Die Begegnungen an diesem Tag waren für Gloria und Carlos nach eigenen Aussagen sehr wertvoll. Es wurden Netzwerke gestärkt, Erfahrungen ausgetauscht und Maßnahmen diskutiert.

Nach ihrem Aufenthalt in Deutschland ging es weiter auf ihrer Tour in die pbi-Ländergruppen Norwegen, Niederlande, Schweiz, Baskenland und Frankreich.

In ihren Kurzinterviews sprechen Gloria und Carlos über die Bedeutung der Menschenrechtsarbeit und die Ziele der Besuchsreise.

Gloria Orcué


 

Carlos Morales

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