17.1.2023 – In Indonesien werden grundlegende Menschenrechte durch die Regierung missachtet. Das Thema Sexualität wird tabuisiert. Aktivist:innen werden diskriminiert, kriminalisiert und verfolgt. Riska Carolina ist eine von ihnen. Sie arbeitet als Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin und kämpft für die Rechte von LGBTIQA+-Gemeinschaften und Frauen.
Mit dem Konsortium für Krisenreaktionsmechanismen (Crisis Response Mechanism, CRM) mobilisiert und koordiniert sie Ressourcen, um schneller auf Krisen in der LGBTIQA+-Community reagieren zu können und ihnen im besten Falle vorzubeugen. Zuvor war sie als Expertin für Interessenvertretung und Politik beim Indonesischen Verband für geplante Elternschaft angestellt. Außerdem arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für ELSAM, der ältesten Menschenrechtsorganisation Indonesiens.
Gemeinsam mit zwei Aktivisten aus Kenia und Afghanistan ist sie nun Teilnehmerin eines Stipendien-Programms der Universität Dundee in Schottland, das speziell für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen gegründet wurde. pbi UK hat sie interviewt.
pbi: Was waren Ihre Beweggründe, Menschenrechtsverteidigerin zu werden?
Ich bin eine indonesische Menschenrechtsverteidigerin mit dem Spezialgebiet der sexuellen Menschenrechte. In Indonesien beziehen sich jegliche Gesetzgebung und politische Maßnahmen auf die Sexualität. Meine Motivation, Menschenrechtsverteidigerin zu werden, entstand während meines Masterabschlusses im Jahr 2014. Mir wurde schnell klar, dass mich alles in meinem Leben in diese Richtung führte. Als Frau und Lesbe, die auf einer kleinen konservativen Insel lebt, fand ich Antworten, indem ich mehr über die Menschenrechte lernte. Ich begann damit, alles zu hinterfragen. Damals gründete ich meine eigene Organisation, in der sich junge Akademiker:innen aus Angst vor den Schwierigkeiten bezüglich ihrer sexuellen Identität zusammenfanden.
“Meine Bestimmung ist es, genauso zu sein, wie ich bin.“ - Riska Carolina
So wurden die Ungerechtigkeiten immer offensichtlicher: Ich werde anders behandelt, weil ich eine lesbische Frau bin, weil ich meine Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringe, wegen meiner ethnischen Zugehörigkeit, meiner Herkunft und meiner Behinderung. Folglich dachte ich über jene Dinge nach, die mir aufgrund meiner vielschichtigen Identität nicht zustanden. Warum kann ich nicht als Beamtin arbeiten, wenn ich mich offen als Lesbe bekenne? Warum kann ich aus demselben Grund kein staatliches Stipendium erhalten? Und warum ist es für die Gesellschaft legal, mein Blut zu trinken, nur, weil ich mich als lesbisch oute?
Ich dachte mir: „Du kannst nicht bekommen, was du willst, wenn du dich nicht für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzt“. Also ließ ich die alte Riska hinter mir und alle Ambitionen, nach denen sich mein jüngeres Ich sehnte. Ich habe mir als großes Ziel gesetzt, für Gleichheit und Gleichberechtigung zu kämpfen. Meine Bestimmung ist es, genauso zu sein, wie ich bin. Dafür muss ich kämpfen, ich habe keine andere Wahl.
pbi: Welche Auswirkungen hat das neue Strafgesetz auf Frauen, die LGBTIQA+-Gemeinschaft und Aktivist:innen?
Indonesien verfolgt seit langem das Ziel eines eigenen Strafgesetzbuches. Denn das geltende Strafrecht stammt immer noch aus der niederländischen Kolonialzeit. Doch die Überarbeitung der Gesetze ist noch grausamer und unterdrückt die Grundrechte der Bürger:innen noch stärker als zuvor. Einige der besorgniserregendsten Themen sind:
1) Artikel 2 des Strafgesetzbuches erkennt „jedes lebende Recht“ in Indonesien an, was nicht nur das Gewohnheitsrecht, sondern auch die Scharia auf lokaler Ebene einschließt. Es gibt eine wachsende Zahl von „familienfreundlichen“ lokalen Vorschriften, die die LGBTIQA+-Gemeinschaft für Konversionstherapien ins Visier nehmen werden. Dies wird zu einer verstärkten Diskriminierung der LGBTIQA+-Gemeinschaft in Indonesien führen.
2) Das Recht auf Zugang zu Verhütungsmitteln ist bedroht. Der Entwurf des Strafgesetzbuches sieht eine Höchststrafe von einer Million Rupiah für jeden vor, der einer minderjährigen Person Informationen über Verhütungsmittel anbietet. Informationen über Empfängnisverhütung und Zugang zum Schwangerschaftsabbruch dürfen nur von autorisierten Beamt:innen erteilt werden, was eine umfassende Sexualerziehung untergräbt.
3) Kriminalisierung von Sex außerhalb der Ehe (Zusammenleben/Ehebruch). Indonesien wird Personen, die des außerehelichen Geschlechtsverkehrs verdächtigt werden sowie außereheliche Lebensgemeinschaften, einschließlich gleichgeschlechtlicher Paare, ins Gefängnis stecken.
4) Der Entwurf des Strafgesetzbuches wird auch „obszöne Handlungen“ in der Öffentlichkeit mit einer Strafe von bis zu einem Jahr Gefängnis oder einer Geldstrafe belegen. Es gibt keine klare Definition des Begriffs „obszön“ im Gesetzbuch, aber dies könnte dazu benutzt werden, LGBTIQA+-Personen ins Visier zu nehmen.
5) Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Artikel des Strafgesetzbuches haben das Potenzial, journalistische Arbeit zu kriminalisieren und die Pressefreiheit zu beeinträchtigen. Diese Artikel decken ein breites Spektrum von Themen ab, wie z.B. Straftaten gegen die „Staatsideologie“; Straftaten wegen Beleidigung der Ehre oder der Würde des Präsidenten und des Vizepräsidenten; Straftaten wegen der Verbreitung falscher Nachrichten oder Mitteilungen; die Kriminalisierung von Handlungen zur „Erniedrigung“ der Regierung; Straftaten wegen Beleidigung öffentlicher Gewalten und staatlicher Institutionen sowie die Straftat der Verleumdung, die sich auf die Meinungsfreiheit auswirken wird.
pbi: Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um den Trend bei den indonesischen Menschenrechtsstandards umzukehren?
Jedes Land ist verpflichtet, die Grundsätze der Menschenrechte zu stärken. Wenn ein Land wirklich glaubt, dass die Einhaltung der Menschenrechte wichtig ist, müssen universelle Grundsätze und Antidiskriminierung aufrechterhalten werden. Um ein gerechtes Land werden zu können, müssen alle Menschen in den Genuss ihrer Menschenrechte kommen. Ein gerechtes Land ist ein Land, das sowohl in Bezug auf Menschlichkeit als auch auf Wirtschaft fortschrittlich ist.
pbi: Was hat Sie dazu bewogen, sich für das Stipendium in Schottland zu bewerben?
Die Arbeit als Menschenrechtsverteidigerin ist kein Hobby, sondern ein Kampf. In den letzten Jahren hatte ich ernsthafte gesundheitliche Probleme, darunter eine schwere Depression und einen Schlaganfall. Also wusste ich, dass ich einen Schritt zurücktreten und mich auf meine Gesundheit konzentrieren sollte. Eine befreundete Person schlug mich für das Stipendium der Universität von Dundee in Schottland vor. Meine Community wusste, dass die vorangegangenen zwei Jahre sehr hart für mich waren und ich Zeit brauchte, mich auszuruhen, um später weiter zu kämpfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nichts zu verlieren. Wenn ich den Zuschlag bekäme, wäre ich dankbar, wenn nicht, wäre das auch in Ordnung gewesen. Die Bewerbung für das Stipendium kam also nur durch die Unterstützung meiner Gemeinschaft und meinem Bedürfnis zustande, gesund und vernünftig weiterzuleben.
Seit Oktober 2022 nimmt Riska am Stipendien-Programm teil. Sie hofft, dass das Stipendium den Anstoß gibt, sich für den Schutz gefährdeter Menschen und für die Einführung eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes in Indonesien einzusetzen. Beim Antrittstermin an der Universität sagte sie: „Menschenrechtsverteidiger:innen sind wichtig, denn wenn eine:r in Gefahr ist, ist die ganze Gesellschaft in Gefahr.“
Über das Stipendien-Programm:
Das Scottish Human Rights Defenders Fellowship wurde 2018 ins Leben gerufen, um diejenigen zu unterstützen, die durch ihre Arbeit zum Schutz der Menschenrechte in der ganzen Welt gefährdet sind. Es bietet den Stipendiant:innen:
► Ruhe und Erholung von den täglichen Gefahren und Bedrohungen, die mit ihrer Arbeit verbunden sind
► die Möglichkeit zu Studium, Ausbildung und Forschung zur Unterstützung ihrer Menschenrechtsarbeit
► die Möglichkeit, sich mit Organisationen der Zivilgesellschaft, Regierungsvertreter:innen in Edinburgh und London und mit anderen relevanten Personen zu vernetzen
pbi begleitet Aktivist:innen wie Riska, die täglich ihr Leben riskieren, um den Machthabern die Stirn zu bieten und für grundlegende Menschenrechte zu kämpfen. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie Sie die Arbeit von Riska und anderen mutigen Menschen unterstützen können, besuchen Sie unsere Spendenseite. Gemeinsam sind wir stärker!
Text: pbi UK, überarbeitet durch pbi Deutschland
Weitere Infomationen
>> University support for human rights defenders | University of Dundee
>> Interview with Riska Carolina – Peace Brigades International UK
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