Direkt zum Inhalt

Honduras: Internationale Besorgnis angesichts der gravierenden Zunahme von Angriffen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen nach den Präsidentschaftswahlen

Honduras: Internationale Besorgnis angesichts der gravierenden Zunahme von Angriffen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen nach den Präsidentschaftswahlen

30.01.2018 - Ziel des folgenden Alarmierung ist es, die internationale Gemeinschaft über den exponentiellen Anstieg von sicherheitsrelevanten Zwischenfällen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen seit der Wahl am 26. November 2017 in Honduras zu informieren. Das pbi-Projekt in Honduras schließt sich damit den Stimmen der Bestürzung bezüglich des Verhaltens der honduranischen Sicherheitskräfte, der massiven Militarisierung und den in diesem Kontext zu verortenden Opferzahlen an.

Am 26. November 2017 fanden in Honduras Wahlen statt. Vier Wochen später, am 18. Dezember, wurde Juan Orlando Hernández (Partido Nacional - PN, frei übersetzt Nationalpartei) mit einem Vorsprung von 50.000 Stimmen gegenüber des Oppositionskandidaten Salvador Nasralla (Alianza de Oposición Contra la Dictadura – Libre-PINU, frei übersetzt Oppositionsallianz gegen die Diktatur) von der obersten Wahlbehörde (TSE) zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen erklärt. Die Mission zur Wahlbeobachtung der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) stellte Unregelmäßigkeiten während des Wahlprozesses fest und schlug eine erneute Wiederholung der Wahlen vor.

Seit den Wahlen kam es landesweit zu zahlreichen Protestaktionen für einen transparenten Wahlprozess und vertrauenswürdige und seriöse Wahlergebnisse. Als Antwort darauf verhängte die honduranische Regierung am 1. Dezember den Ausnahmenzustand und veranlasste die Aufhebung der konstitutionellen Garantien. In einem Monat haben zivilgesellschaftliche Organisationen 30 Hinrichtungen – 21 davon begangen von der PMOP (Policia Militar de Orden Público, frei übersetzt Militärpolizei der öffentlichen Ordnung) -  ca. 232 Verletzte und 1085 Festnahmen registriert.  Die Vereinten Nationen, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) und die Nationalkommission für Menschenrechte (CONADEH) haben den honduranischen Staat aufgerufen, das Recht auf friedlichen Protest und die Grundrechte der Menschen zu garantieren.

Kontext

Seit dem Putsch im Jahr 2009 haben verschiedene Initiativen und Reformen im Bereich der Legislative eine starke Kontroverse in Honduras ausgelöst. Unter der Regierungsführung Hernández kam es im Jahr 2015 im zweiten Berufungsverfahren zu einem Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofs, welcher die Annullierung des konstitutionell verankerten Artikels zum Verbot der präsidialen Wiederwahl erklärte. Entgegen der honduranischen Verfassung und Empfehlungen internationaler Organisationen wurde so die Wiederwahl des Präsidenten erleichtert. Ferner hat sich die Tendenz konsolidiert, den Militärkräften vor allem im Bereich der städtischen Sicherheit Sonderbemächtigungen aufzutragen. So genehmigte der Nationalkongress beispielsweise im Jahr 2013 die Schaffung des Sicherheitskörpers PMOP, um zeitweise die Kriminalität im Land zu bekämpfen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in dieser Entwicklung das Ziel, die grundlegenden Rechte auf Protest sowie der Versammlungs- und Redefreiheit zu unterdrücken.

Vom 26. November 2017 bis zum 21. Januar 2018 hat das pbi-Hondurasprojekt 35 sicherheitsrelevante Zwischenfälle gegen Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen gezählt. Die Mehrzahl dieser Angriffe stehen in direkter Beziehung mit einer unverhältnismäßigen Gewaltausübung seitens nationaler Sicherheitskräfte.

Eine weitere Form der Gewaltausübung sind die zahlreichen Razzien privater Häuser und Büros von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie berichten ebenfalls über Schmutzkampagnen gegen sie sowie eine mangelnde Unterstützung seitens des SNP (Sistema Nacional de Protección). Der Großteil der aufgezeichneten Fälle steht im Zusammenhang mit Personen, die Schutz- oder Vorsichtsmaßnahmen des SNP oder der IACHR bekommen.

  • Am 30. November wurden Kevhin Ramos (ASOPODEHU) und Henry Rodriguez (ACI-Participa) von Polizist_innen gestoßen und mit dem Tod bedroht.
  • Am 2. Dezember haben sich Mitglieder der PMOP dem Haus von Sandra Zambrano (Anwältin des Verbands für ein besseres Leben, APUVIMEH) in Comayagüela, Francisco Morazán während einer friedlichen Demonstration genähert und Schüsse abgefeuert.
  • Am 2. Dezember haben Militärangehörige, unterstützt von privaten Sicherheitskräften, unter Einsatz von Gewalt die Gemeinschaft Panamá in Bajo Aguán, Colón (MCRGC) geräumt.
  • Am 2. Dezember wurde das Haus von Jaime Cabrera (Koordinator der landwirtschaftlichen Plattform in Panamá, Bajo Aguán und Sprecher des MCRGC) mit Tränengas gefüllt.
  • Am 3. und 4. Dezember meldet die LGBT-Organisation Arcoiris zwei versuchte Hausdurchsuchungen in ihren Büroräumen in Tegucigalpa.
  • Am 7. Dezember berichten Mitglieder der MADJ (Bewegung für Würde und Gerechtigkeit) von Hausdurchsuchungen in San Juan Pueblo und in Leán, Atlántida seitens der staatlichen Sicherheitskräfte.
  • Am 7. Dezember wurden Mitglieder des COPINH während einer Demonstration und Straßenblockade in Jesús de Otoro, Comayagua durch das erste Pionierbataillon aus Siguatepeque verletzt.
  • Am 8. Dezember haben Mitglieder der PMOP, COBRA Spezialkräfte und der nationalen Polizei ein Trainingszentrum und Treffen des MADJ, wahrscheinlich auf der Suche nach dem Koordinator Martín Fernández, gestürmt.
  • Am 11. Dezember wurde die Sendeantenne von Radio Progreso in Tegucigalpa von bisher Unbekannten beschädigt.
  • Am 15. Dezember wurde die Straßenblockade von Jesús de Otoro nach Siguatepeque, Intibucá durch die nationale Polizei und dem ersten Pionierbataillon gewaltsam aufgelöst. Koordinator_innen des COPINH wurden dabei verletzt.
  • Am 18. Dezember wurde eine friedliche Demonstrantion von Mitgliedern der PMOP und den Spezialeinheiten COBRA und TIGRE am Eingang zur Gemeinde Sambo Creek, Atlántida unterdrückt. Ein Mitglied der Organización Fraternal Negra Hondureña (OFRANEH), Bryan Lopez, wurde während der Demonstration angeschossen.
  • Am 19. Dezember wurde der Menschenrechtsverteidiger Diege Daniel Aguilar, Mitglied der MADJ, angeschossen, gefesselt und mit Waffen bedroht während er die gewaltsame Räumung einer Straßenblockade durch die nationale Polizei, den COBRA und TIGRE Spezialeinheiten, der PMOP und der Armee in San Juan Pueblo, Atlántida beobachtete.
  • Am 20. Dezember wurde Luis Enrique García, Mitglied der OFRANEH und Gemeindesprecher von Sambo Creek, Opfer eines Mordanschlags, als Unbekannte auf ihn in der Nähe des Fluss Cuyamel geschossen haben.
  • Ende Dezember wurde mehrfach von Soldaten versucht, das Haus von Nahun Lalin zu stürmen. Nahun Lalin stammt aus der Gemeinde Sambo Creek und ist Vorstandsmitglied der OFRANEH. Er musste das Land verlassen.
  • Am 1. Januar wurde Wilmer Paredes, Mitglied der MADJ, in San Juan Pueblo, Atlántida ermordet.
  • Am 1. Januar berichtete Ismael Moreno Corto (Padre Melo), Leiter des Radio Progresso und des ERIC (Equipo de Reflexión y Comunicación) von einer Schmutzkampagne gegen ihn. Auf Flugblättern, die an mehreren Stelle verteilt wurden, wurde behauptet, dass er und weitere für die Gewalt bei den vergangenen Protesten verantwortlich sei.
  • Die Journalistin Dina Meza berichtete, das sie Anfang Januar von Unbekannten verfolgt und beobachtet wurde.
  • Am 11. Januar wurde ein Foto mit privaten Informationen von Josué Gudiel, Mitglied des ACI-Participa in Choluteca, über Facebook verteilt. Auf diesem wird er angeschuldigt, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein und die Gewaltausbrüche bei den jüngsten Prtesten koordiniert zu haben. ACI-Participa hat daraufhin Facebook in den USA kontaktiert und der entsprechende Account wurde blockiert. 
  • Am 14. Januar wurden Informationen über Martín Fernández und Víctor Fernández, Koordinator der MADJ, verbreitet, dass sie die Ermordung von Wilmer Paredes in Auftrag gegeben hätten.
  • Am Abend des 20. und 21. Januar, zu Beginn des nationalen Generalstreiks, haben Männer in Militäruniform das Haus, in dem sich der MADJ-Koordinator Martín Fernández in San Juan Pueblo, Atlántida aufgehalten hat, umstellt. Die Männer haben mit einem Gewehr auf ihn gezeigt und feuerten Tränengas ins Haus. Außerdem wurden die Fenster seines Autos zerbrochen.

Das pbi-Hondurasprojekt zeigt sich vor diesem Hintergrund und angesichts der Ausübung militärischer Gewalt im Rahmen der innerstaatlichen Sicherheit besorgt. Dieses Besorgnis gilt vor allem den Handlungen von Vertreter_innen der Strafverfolgungsbehörde im Verlauf der Wahl, welche gegen die von den Vereinten Nationen und dem Interamerikanischen System verabschiedeten, internationale Prinzipien der Angemessenheit, absoluten Notwendigkeit und Legalität verstoßen. Der Einsatz von Gewalt durch die Polizei darf demnach nur im äußersten Notfall eingesetzt werden, wenn durch sie eine im Vergleich schlimmere Tat verhindert werden kann. In keinem Fall darf dabei das Recht auf Leben und persönliche Integrität verletzt werden.

Ferner beobachtet das pbi-Hondurasprojekt mit großer Besorgnis die Situation der Menschenrechtsverteidiger_innen in Honduras, die in diesem Kontext besonders gefährdet sind. Die Maßnahmen der CIDH und aktuelle Schutzmechanismen scheinen das Risiko für diese Personengruppe nicht eindämmen zu können.
 

Empfehlungen an die internationale Gemeinschaft

  • Der honduranischen Regierung die dringliche Besorgnis angesichts der berichteten Handlungen mittzuteilen, die die Bestimmungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Einsatzes von Gewalt und Schusswaffen von Seiten der beauftragten Funktionäre verletzen und sie aufzufordern, das Gesetz der Vereinten Nationen zu respektieren und umzusetzen. Daran anschließend den honduranischen Autoritäten zu empfehlen, die existente, innerstaatliche Gesetzgebung zu überprüfen und sie aufzufordern, selbige den Richtlinien zur Anwendung der oben genannten Prinzipien anzupassen.
  • Die Generalstaatsanwaltschaft aufzufordern, eine umgehende, unabhängige, unparteiische und ausführliche Untersuchung der repressiven Handlungen einzuleiten und die Verantwortlichen vor das zuständige Gericht zu bringen, um die Vergehen zu sanktionieren und die in diesem Zuge entstandenen Opfer zu entschädigen.
  • Die honduranische Regierung aufzufordern, die nationale und internationale Beobachtung des Generalstreiks und einschließlich der in diesem Kontext möglichen, friedlichen Proteste vom 20. bis zum 27. Januar zu garantieren, mit dem Ziel, die staatliche Verantwortung gegenüber der Bewahrung Menschenrechte zu sichern. Ferner die Eilbesuche von Vertreter_innen internationaler Organisationen zu erleichtern, um so die Situation der Menschenrechte im Land verifizieren können.
  • Die Unterstützung der Arbeit von Menschenrechtsverteidiger_innen in Honduras auszudrücken.
  • Die honduranische Regierung an die übernommene Verantwortung des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger_innen zu erinnern und selbige zu stärken. Den Nationalen Schutzmechanismus (SNP) aufzufordern, die Situation der Menschenrechtsverteidiger_innen näher zu überwachen und kurzfristig zu reagieren.
  • Die honduranische Regierung aufzufordern, jegliche Gespräche zur Überwindung der Krise und zur Aufklärung der Vorfälle im Kontext der Wahl unter Einbeziehung der Erklärungen von Opfer und Menschenrechtsverteidiger_innen zu führen.
     

Weitere Informationen:
>> ALERTA: Preocupación internacional ante el grave aumento de ataques contra personas defensoras en el contexto pos-electoral en Honduras
>> ALERT: International concern regarding the serious increase of attacks against human rights defenders in Honduras‘ post-electoral context
 

peace brigades international

Tags