Liebe:r Leser:in,
obwohl wir im vergangenen Jahr eine fortschreitende Aushöhlung der Menschenrechte beobachten mussten, ist es wichtig hoffnungsvoll zu bleiben. Denn nur mit Hoffnung bleiben wir als Zivilgesellschaft aktiv und versuchen den Entwicklungen etwas Gutes entgegenzusetzen.
Nachdem jahrelang der sogenannte „Pakt der Korrupten“ in unserem Projektland Guatemala regierte, wurde in der Stichwahl im August 2023 mit dem Sozialdemokraten Bernardo Arévalo ein neuer Präsident gewählt, der nicht den herrschenden Eliten im Land angehört und sich der Korruptionsbekämpfung im Wahlkampf verschrieben hatte. Sein Wahlerfolg war mit 58 Prozent der Stimmen eindeutig.
Mitte Januar 2024 wurde Arévalo offiziell im Amt vereidigt. Die guatemaltekische Generalstaatsanwaltschaft hatte zuvor monatelang versucht, den Machtübergang auf den Sozialdemokraten zu verhindern. Mit der Vereidigung Arévalos verbindet pbi die Hoffnung, dass nun Menschenrechtsverteidiger:innen (MRV) wieder in Sicherheit im Land wirken können (Stand: 15. Januar 2024).
Ihre Spende für pbi trug im letzten Jahr zum globalen Schutz der Menschenrechte und von Aktivist:innen bei. Für diese Unterstützung bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen. Denn: Gemeinsam sind wir als Zivilgesellschaft stark, um den kommenden Herausforderungen zu begegnen.
Ihre Brigitte Fischer-Brühl
Stellv. Vorstandssprecherin
Unsere Projekte im Jahresrückblick
Das Jahr 2023 war in Guatemala in vielerlei Hinsicht ein sehr bedeutendes Jahr. Der fortschreitende Abbau von Rechtsstaatlichkeit, die Präsidentschaftswahlen im Juni bzw. August sowie auch die zunehmende Gefährdungslage für MRV prägten das Leben der Menschen in Guatemala und die Arbeit von pbi.
Durch den überraschenden Wahlsieg von Bernardo Arévalo im August, der sich im Wahlkampf insbesondere der Korruptionsbekämpfung verschrieben hatte, befand sich das Land in der zweiten Jahreshälfte in einem Ausnahmezustand. Menschenrechtsorganisationen und kleinbäuerliche Verbände riefen zu einem Nationalstreik in ganz Guatemala auf und forderten bei Demonstrationen den Amtsrücktritt der Generalstaatsanwaltschaft, die Anerkennung des Wahlsiegs von Arévalo und seiner Partei „Movimiento Semilla“ sowie die Freilassung inhaftierter Staatsanwält:innen, Justizbeamt:innen, Journalist:innen und MRV. Viele von pbi begleitete Organisationen setzen große Hoffnung in Arévalo aufgrund seines Versprechens, gegen die fortschreitende Untergrabung des Rechtsstaats und die Aushöhlung der Menschenrechte vorzugehen.
Darüber hinaus waren im Jahr 2023 auch die Folgen des Klimawandels in Guatemala immer stärker zu spüren. Viele von pbi begleitete Organisationen berichteten von gravierenden Ernteausfällen aufgrund von Dürreperioden und Überschwemmungen, die den lebenswichtigen Anbau von Pflanzen wie Mais und Bohnen so stark gefährden, dass viele Familien, insbesondere im ländlichen Raum, Hunger leiden.
Der Präsidentin Xiomara Castro gelang es auch in ihrem zweiten Amtsjahr nicht, die zu ihrem Amtsantritt gemachten Versprechen umzusetzen. Etwa in Hinblick auf den Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen sowie den Schutz von MRV und die Stärkung der Rechte der indigenen Bevölkerung sowie der LGBTIQA*-Community. Honduras ist nach wie vor eins der gefährlichsten Länder für MRV, darunter Angehörige kleinbäuerlicher und indigener Gemeinden, Mitglieder der LGBTIQA+-Community und Journalist:innen. pbi arbeitete trotz dieser großen Herausforderungen stringent seit zehn Jahren daran, positive Veränderungen in Honduras zu fördern.
2023 setzte pbi dieses zivilgesellschaftliche Engagement fort: Vom überregionalen Empowerment-Workshop für Land- und Umweltverteidigerinnen; über die physische Begleitung von Organisationen, die sich u.a. bei der Pride-Parade für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einsetzten; bis hin zur Unterstützung Angehöriger von Opfern gewaltsamen Verschwindenlassens bei Gerichtsterminen.
Hoffnung und territoriale Realität prägten 2023: Viele der von pbi begleiteten Organisationen versprachen sich eine Verbesserung der Menschenrechtslage aufgrund der neuen, linksgerichteten Regierung. Diese bekannte sich zu staatlichen Verbrechen der Vergangenheit und setzte sich gegen die Stigmatisierung von MRV ein. Nichtsdestotrotz blieb Kolumbien eines der gefährlichsten Länder für MRV und Umweltschützer:innen weltweit. Laut der Organisation Indepaz wurden allein im letzten Jahr 188 MRV aufgrund ihres Engagements ermordet.
Die Regierung verabschiedete Maßnahmen zum Schutz von MRV, war aber nicht in der Lage diese vollständig umzusetzen. Im Rahmen der Politik des „totalen Friedens“ näherte sie sich zudem dem Kontext der Gewalt mit Dialog an: So endete im Dezember der fünfte Verhandlungszyklus mit der größten verbliebenen Guerrillagruppe, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Parallel suchte die Regierung im Jahr 2023 auch den Kontakt zu Abspaltungen der demobilisierten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und zu anderen bewaffneten Gruppen im Land.
(Illegale) bewaffnete Gruppen begingen weiterhin Menschenrechtsverletzungen gegen MRV und die Zivilbevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten. Beispielhaft dafür stand die Region Magdalena Medio, wo durch das dort angesiedelte pbi-Büro Menschenrechtsorganisationen begleitet werden. MRV und Umweltschützer:innen, die sich gegen Initiativen zur Erdölförderung, Bergbau sowie die industrielle Nutzung von Gewässern einsetzen und Korruption anprangern, stehen Akteur:innen mit wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen vor dem Hintergrund des andauernden internen bewaffneten Konflikts Kolumbiens gegenüber. pbi und begleitete Organisationen zeigten sich besorgt hinsichtlich der anhaltenden Angriffe und Drohungen auf MRV.
Auch das fünfte Jahr der Amtszeit von Präsident Andrés M. López Obrador war von Herausforderungen im menschenrechtlichen Bereich geprägt. MRV und Journalist:innen sahen sich weiterhin erheblichen Risiken ausgesetzt und wurden mit körperlichen Übergriffen sowie mit offenkundigen Anfeindungen und Diffamierungen durch Regierungsstellen konfrontiert. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte verurteilte zudem den Einsatz von Spionagesoftware zwecks Ausspähung von MRV und Journalist:innen durch den mexikanischen Staat. Diejenigen, die sich für Landrechte und Umweltschutz einsetzen, sind aufgrund ihres Engagements besonders gefährdet. Vor diesem Hintergrund begleitete pbi auch 2023 die Basisorganisation Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y el Agua, die sich seit 2010 gegen Megaprojekte und deren verheerende Auswirkungen auf die Umwelt in den Bundesstaaten Morelos, Puebla und Tlaxcala engagiert.
In Anbetracht der anhaltenden Gewalt in Mexiko sahen sich mehr Menschen gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen. Anfang Juli besuchte die neue UN-Sonderberichterstatterin für Binnenvertriebene Paula Gaviría Betancur Mexiko. Ihre Vorgängerin hatte den mexikanischen Staat nach ihrem Besuch aufgefordert, legislative und administrative Maßnahmen zum Schutz von Binnenvertriebenen zu verabschieden und auf allen staatlichen Ebenen umzusetzen. pbi ist vor diesem Hintergrund insbesondere über die Situation in der Gebirgsregion Sierra Tarahumara im Norden Mexikos besorgt, wo sich indigene Gemeindemitglieder aufgrund der zunehmenden Abholzung und des Anbaus von Schlafmohn durch Drogenkartelle vermehrt Drohungen und Gewalt ausgesetzt sehen.
Auch 2023 setzte sich die staatliche Repression gegen die nicaraguanische Zivilgesellschaft fort: Bis Juni 2023 wurde mehr als 3.000 gemeinnützigen Organisationen seit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste durch das Ortega-Murillo-Regime im April 2018 die Rechtspersönlichkeit entzogen, was einem Verbot gleichkommt. Des Weiteren wurden mehrere Universitäten geschlossen. Im März 2023 veröffentlichte die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Expert:innengruppe für Menschenrechte in Nicaragua zudem ihren ersten Bericht, in dem sie der Regierung weitreichende und systematische Menschenrechtsverletzungen bescheinigte.
Da alle Räume für einen nationalen Dialog und die Advocacyarbeit geschlossen sind, hat pbi im Jahr 2023 die Begleitung von Organisationen bei der internationalen Lobbyarbeit in den Vordergrund gestellt. So konnten diesbezügliches Wissen und Instrumente in der Zusammenarbeit mit den begleiteten Organisationen vor Ort gestärkt und gleichzeitig Räume für die Partizipation von Frauen, Jugendlichen und Vertreter:innen aus dem bäuerlichen Sektor geschaffen werden.
Dank der internationalen Advocacyarbeit von pbi, werden Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua weiterhin in internationalen Foren sichtbar gemacht, sodass die nicaraguianische Zivilgesellschaft für ihren friedlichen Einsatz zunehmend
internationale Unterstützung erfahren hat.
Obwohl Nepal eine progressive Verfassung besitzt, die allen Bürger:innen fundamentale Rechte garantiert, ist die Benachteiligung von und Gewalt gegen Frauen und marginalisierte Gruppen weiterhin allgegenwärtig. Die Unterstützung lokaler Organisationen, die sich für die Rechte dieser Gruppen einsetzen, bleibt relevant.
Nachdem pbi sich Ende 2022 erfolgreich als internationale NGO in Nepal registrieren konnte, war 2023 von Bemühungen um die Erweiterung des bestehenden Projekts geprägt. Bisher wurde dieses im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes mit der Partnerorganisation Collective Campaign for Peace durchgeführt und unterstützte die Kapazitätsstärkung und Advocacyarbeit von rund 100 MRV des Peer-Learning-Netzwerks.
Anfang 2023 wurden neue Partnerschaften ausgeschrieben, auf welche sich 52 nepalesische NGOs bewarben. In einem Auswahlprozess wurden hiervon zwei Organisationen ausgewählt, mit welchen zukünftig gemeinsam die Arbeit nepalesischer MRV gestärkt werden soll. Um mit der Projektarbeit starten zu können, muss der gemeinsame Projektantrag von pbi und den nun drei Partnerorganisationen vom nepalesischen Social Welfare Council bewilligt werden. Dies ist ein langwieriger Prozess, dessen Resultat länger als erhofft auf sich warten lässt. Dennoch konnte Ende 2023 mit einem Kick-Off Workshop in Kathmandu bereits eine Basis für die Zusammenarbeit gelegt werden.
Jahrzehnte nach der Einführung der Sonderautonomie für West-Papua ist die Bevölkerung noch immer mit struktureller Gewalt konfrontiert. Die indonesische Regierung reagiert auf die Unabhängigkeitsbestrebungen mit starker Militarisierung, sodass es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen dem Militär, der Polizei und bewaffneten Unabhängigkeitsgruppierungen kommt. Zudem leidet die Provinz West-Papua unter der massiven Ausbeutung natürlicher Ressourcen, insbesondere Gold, Kupfer, Erdgas und Tropenholz – mit negativen Folgen für die Umwelt und Indigenen.
Die neue pbi-Partnerorganisation Yayasan Pusaka Bentala Rakyat wurde 2002 von lokalen Aktivist:innen gegründet, die über umfangreiche Erfahrungen in der Lobbyarbeit für die Rechte Indigener und in der Bildungsarbeit verfügen. In dieser Zusammenarbeit trägt pbi seit 2023 durch Schulungen, den Aufbau von Interessenvertretungen sowie Vernetzung dazu bei, die Fähigkeiten von papuanischen MRV zu fördern. 2023 fanden mittels pbi zudem zwei Besuchsreisen in Deutschland und Europa mit papuanischen Aktivist:innen statt, sodass sie sich vernetzen konnten.
Das erste Amtsjahr von Kenias Präsident William Ruto war geprägt von unerfüllten Versprechen, Menschenrechtsverletzungen und einer vorherrschenden Kultur der Straflosigkeit. Zwischen März und August 2023 wurden über 75 Fälle von außergerichtlichen Tötungen und gewaltsamen Verschwindenlassen dokumentiert. Frauen erleben täglich Diskriminierung und Übergriffe. MRV, die sich für Frauenrechte und gegen Polizeigewalt einsetzen, haben oft nur begrenzte Möglichkeiten, sich selbst zu schützen oder von anderen Stellen Schutz zu erhalten.
pbi Kenia unterstützt neben Organisationen, die zum Thema außergerichtliche Tötungen arbeiten, weiterhin das Netzwerk der Toolkit Organizer. 2023 wurde das Netzwerk erweitert: Fünf MRV aus Nairobi und zehn MRV aus Kilifi County schlossen sich dem Netzwerk an. Kilifi County ist eine Küstenregion, in der extreme Armut herrscht und die Praxis der Genitalverstümmelung und Kinderheirat sowie geschlechtsspezifische Gewalt weit verbreitet ist. Die Zusammenarbeit im Netzwerk bietet den MRV einen Mehrwert durch gemeinsame Lobbyarbeit und Wissensaustausch.
Das pbi-Bildungsprojekt arbeitet kontinuierlich an der Vernetzung zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden. Mit verschiedenen Projekten erreicht es Kinder, Jugendliche, Erwachsene, sowie Multiplikator:innen bundesweit, welche die Grundlage für die Bewusstwerdung und Verbreitung der Themen unserer Projektländer sind. 2023 fanden über 125 Veranstaltungen mit über 1770 Teilnehmer:innen statt.
Ein großer Teil der Referent:innen waren bzw. sind selbst MRV oder haben Erfahrung im globalen Süden gesammelt. Dies ermöglicht uns eine erfahrungsbasierte und einzigartige Wissensvermittlung. Der Fokus liegt jedoch stets auf der Vermittlung von Handlungsoptionen. Workshops, Vorträge, Theater und Podcasts sind das Herzstück unserer Arbeit: Besonders beliebt waren 2023 die Puppenspiele, welche die allererste pbi-Referentin Heike Kammer aus Mexiko nach Deutschland gebracht hat. Dicht gefolgt vom pbi-Escape Room, welcher Wissen und Handlungsoptionen in Bezug auf Elektroschrott aufzeigt.
Advocacy
Im Jahr 2023 empfingen wir Begleitete und Partner:innen aus Guatemala, Kolumbien, Nicaragua und Indonesien. Neben dem Schutz von MRV standen bei diesen Besuchen inhaltlich die Meinungs- und Pressefreiheit, Frauenrechte sowie die Rechte der LGBTIQA+-Gemeinschaft, das gewaltsame Verschwindenlassen und Landrechte im Mittelpunkt der Treffen mit politischen Entscheidungsträger:innen und zivilgesellschaftlichen Partner:innen. Insgesamt konnten wir uns im Jahr 2023 im Rahmen von 37 Treffen auf politischer Ebene für die Belange begleiteter MRV aus allen acht Projektländern einsetzen.
Finanzen
Der Jahresabschluss 2023 steht noch aus, momentan ist jedoch absehbar, dass rund 2,33 Mio. € an Fördermitteln und Spenden eingeworben wurden, von denen rund 1,76 Mio. € an die pbi-Projekte im Ausland weitergeleitet wurden. Wie im vergangenen Jahr zeichnen sich für die Aktivitäten in Deutschland, inklusive des pbi-Bildungsprojekts, Ausgaben in Höhe von rund 574.732 € ab. Die endgültigen Zahlen können Sie nach Prüfung dem Jahresbericht auf unserer Website entnehmen.
Spenden per Überweisung – unser Spendenkonto
pbi – Deutscher Zweig e.V.
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