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Guatemala: Interview mit Bernardo Caal Xól über seine Situation im Gefängnis

Guatemala: Interview mit Bernardo Caal Xól über seine Situation im Gefängnis

20.03.2019 – Am 30. Januar jährte sich die Verhaftung des Umweltaktivisten Bernardo Caal Xól, Wortführer des Friedlichen Widerstandes Cahabón, der sich dem Bau von Wasserkraftwerken des Unternehmen Oxec widersetzt. Aus diesem Anlass möchten wir dieses Interview veröffentlichen. Bernardo Caal wurde im November zu 7 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt, was viel Protest auslöste. Die Sonderberichterstatterin des UN-Hochkommissariats für die Rechte indigener Völker bezog Stellung: „Die Verurteilung von Herrn Caal Xól wegen schwerer Freiheitsberaubung und schweren Diebstahls einer Bohrmaschine, eines Werkzeugkastens und eines Glasfaserkabels ist unverhältnismäßig und beruht hauptsächlich auf Zeugenaussagen von Mitgliedern des Unternehmens.“

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Umweltaktivist Bernardo Caal Xol
Dieses Interview wurde von pbi Guatemala am 22. Mai 2018 während eines Besuchs in der Justizvollzugsanstalt von Cobán, Alta Verapaz geführt, wo Bernardo Caal Xól seit Ende Januar 2018 in Untersuchungshaft sitzt. Dem Wortführer des Friedlichen Widerstandes Cahabón und Angehöriger der Maya Q´eqchi´ ist wegen Freiheitsberaubung und schweren Diebstahls angeklagt. Laut Greenpeace und anderen Organisationen ist Bernardos Fall ein klares Beispiel für die Kriminalisierung derjenigen Protagonist_innen, die sich Großprojekten widersetzen, bei denen Gemeinschaften zuvor nicht konsultiert wurden, wie dies in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegt ist. Während der Anhörung am 22. Mai 2018 beschloss der Richter des Gerichts in Cobán die Anklage gegen Bernardo Caal Xól. zur Verhandlung zuzulassen. Die Kanzlei für Menschenrechte (BDH) hat die Verteidigung übernommen.

pbi Guatemala: Guten Tag Bernardo. Was waren deine ersten Eindrücke im Gefängnis?

Bernardo: Ich wusste nicht was Gefängnis bedeuten wird oder wie es sein wird. Daher hatte ich Angst eingesperrt zu werden. An meinem ersten Tag musste ich sofort anfangen, Freundschaften zu schließen. Man muss lernen dort miteinander zu leben. Man kann sagen, dass die anderen Insassen meine neue Familie sind. Durch den Ortswechsel von zu Hause ins Gefängnis fühlte ich mich sehr unwohl. Jeden Tag um 5:30 Uhr ertönt der Weckruf und die Wächter zählen alle Häftlinge. Man darf nicht zu spät kommen. Einmal war ich eine Minute zu spät und man rief mich zur Ordnung. Nach der Zählung richten wir unsere Betten her, waschen uns und um 7:30 Uhr gibt es Frühstück. Später geht jeder Gefangene seinen Aktivitäten nach. Ich höre bis 9:00 Uhr Nachrichten mit meinem kleinen Radio, und danach lese ich eines meiner Bücher. Außerdem lese ich die Tageszeitungen, die ich kaufe, um mich über die aktuelle Situation zu informieren. Das Essen ist sehr schlecht und es gibt immer das gleiche. Das Eingeschlossen-Sein im Allgemeinen ist fürchterlich; die Räume sind sehr klein. Einen Monat lang musste ich auf dem Boden schlafen. Jetzt habe ich ein kleine Matratze in einem Etagenbett. Wir schlafen alle sehr eng zusammen. Ich schlafe nicht gut, nur etwa drei Stunden pro Nacht. Ich bin sicher, dass dies negative Auswirkungen auf mein Leben haben wird. In den Sanitäranlagen gibt es nur drei Toiletten für 150 Personen. Der einzige Spaß im Gefängnis ist Fußball, sogar die Wachen haben ihr Team.

Wie geht es dir?

Ich habe hier im Gefängnis gelernt zu überleben. Körperlich und geistig fühle ich mich gut, aber das Gefängnis ist gemacht, um dich zu erniedrigen und zu züchtigen. Wenn man im Gefängnis sitzt, ist der Tod die nächste Stufe, die man erwartet. Ich bin in ständiger Gefahr. Seitdem ich das Gefängnis betreten habe, fürchte ich um mein Leben. Für alles, was mir hier geschieht, sind die Unternehmen und der guatemaltekische Staat verantwortlich, der mich hier ohne Grundlage gefangen hält. Ich habe an Gewicht verloren. Da ich immer das Gleiche sehe, bevorzuge ich es zu schreiben und zu lesen. Ich möchte meine Biographie veröffentlichen und über den Kampf des Maya Q‘ eqchi‘ schreiben. Das wurde bisher kaum gemacht. Mein Buch wird die ganze Wahrheit erzählen. Es gibt viele Dinge, die nur ich weiß und ich möchte nicht, dass sie verloren gehen. Ich bin sicher, dass die Bevölkerung mein Buch interessant finden wird.

Wenn sie mich zu meinen Anhörungen bringen, sind das für mich intensive und stürmische Momente, weil ich die Realität wieder sehe und Kontakt mit der Welt habe zu der ich eigentlich  gehöre. Wenn ich dann danach ins Gefängnis zurückkehre, möchte ich am liebsten nicht reingehen. Es dauert ca. fünf Stunden bis ich wieder begreife, dass ich kriminalisiert werde und dass meine Zeit im Gefängnis den Kampf der Q`eqchi` legitimiert. Meine Stimmung normalisiert sich dann wieder. Aber ja, es ist sehr hart, diese Momente durchzustehen. Es sind Traumata. Das Gefängnis ist ein Instrument, um Personen zu untergraben, sie zu misshandeln – sie zwar am Leben zu halten, aber ihnen die Möglichkeit zu nehmen zu wissen, was draußen vor sich geht.

Wie ist dein Verhältnis zu den anderen?

Ich hab ein gutes Verhältnis mit den Wächtern und mit den anderen Personen hier drinnen. Nach und nach lernt man die Geschichten von jedem einzelnen kennen und man schließt Freundschaften. Es gibt viele Unschuldige, die verurteilt wurden. Aber man kann nicht leugnen, dass es viele gibt, die Verbrechen begangen haben.

Hast du manchmal Angst?

Angst? Seitdem ich herkam! Man weiß nicht, welche Probleme jeder mit sich bringt, wenn er hierher kommt.

Was lässt dich durchhalten?

Was Lebenskraft gibt, ist der Kampf anderer Personen gegen die Unternehmen, die unsere Heimat enteignen. Zu wissen, dass andere weiterkämpfen und ich nicht alleine bin gibt mir Kraft. Dass es Menschen gibt, die sich um mich kümmern und mich nationale und internationale Organisationen begleiten. Auch den Menschen, die mich hier haben, zeigen zu können, dass sie den von Unternehmen erfundenen Lügen entgegentreten können. Die Q’eqchi‘ sind ein Volk mit Würde, dass sich nicht verkauft, sondern gegen jede Widrigkeit  weitermacht. Wir halten die Enteignungen auf, die die Unternehmen betreiben. Auch motiviert es mich, als Beispiel für andere Kämpfe und Widerstände zu dienen.

Wie siehst du den Gerichtsprozess?

Ich rechnete damit, dass ich gefangen genommen werde, bevor es passierte. Ich bereitete mich darauf vor, seitdem ich wusste, dass ich wegen schweren Raubes angeklagt werde. Als die Anhörungen ausgesetzt wurden und sich die Termine immer änderten, wusste ich, was sie vorhatten. Ich kannte die Fälle der Kameradinnen von Santa Cruz de Barillas und die des Kameraden Abelino Chub, in denen sie Anhörungen aussetzten und die Termine vertagten. Sie tun das, um die Personen zu bestrafen, die sich den Großprojekten widersetzen und die Unternehmen anprangern. Also wusste ich bereits alles. Ich wusste, dass mir der Prozess gemacht wird. Dies sind die Szenarien, und in diesem Moment laufe ich Gefahr, verurteilt zu werden, obwohl ich unschuldig bin. Ich bereite mich schon darauf vor. Ich muss mental auf alle Szenarien vorbereitet sein. Die Frage, die ich mir stelle, ist:”Wo sollen wir uns beschweren?” Wenn ich für die Verteidigung der Rechte der Q‘ eqchi‘ bestraft werde und wegen der Klage gegen diejenigen, die uns enteignen und unsere Flüsse und Berge zerstören, inhaftiert werde, wo können wir uns dann beschweren? Was können wir noch gegen die Diskriminierung und den Rassismus in diesem System tun? Es gibt keinen Ort, an dem man klagen kann, weil sie unsere Rechte mit Füßen treten.

Was denkst du über die Anschuldigungen gegen dich?

Wenn man sich alles ansieht, was in diesem Prozess passiert ist, erkennt man die Kriminalisierung. Zuerst, vor meiner Gefangenschaft, schufen sie Seiten in sozialen Netzwerken, um Hass auf mich zu schüren – um allen zu sagen “Das ist ein Verbrecher”. Dann erstatteten sie Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, die den Haftbefehl ausstellte. Der wurde dann auch in den sozialen Netzwerken und den Medien veröffentlicht. Meine Frage ist: „Wer hat das getan?“ Die Medien haben übertrieben oft über meinen Fall berichtet. Das Ziel ist es, den sozialen Hass zu fördern und mich als Verbrecher und Krimineller zu etikettieren, und so die Führungsrolle, die ich habe, zu untergraben. Auf diese Art denken schon tausende von Guatemalteken, dass ich ein Verbrecher bin;. Ich bin schon vorverurteilt. Später, als sie mich festnahmen, begannen sie mit der Arbeit, mich im Gefängnis zu behalten. Durch Verzögerungstaktiken, um eine Person länger zu strafen und zu quälen. Das Beunruhigendste ist das Urteil. Wie viele Jahre können sie eine unschuldige Person verurteilen?

Was sind deiner Meinung nach die Fehler im Prozess?

Die Anschuldigungen, die mich im

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Bernardo Caal Xól
Gefängnis halten, stehen im Zusammenhang mit Ereignissen, die sich im Oktober 2015 abspielten. Vier Arbeiter der Firma Oxec sagen, dass sie von einer Gruppe von Gemeindemitgliedern unter meiner Leitung an einem Ort namens „El Puentón“ in der Gemeinde Cahabón festgehalten und ausgeraubt wurden. Obwohl die Ereignisse im Jahr 2015 stattfanden, reichten die Kläger die Anzeige erst im Juni 2017 ein, weil sie mich angeblich im Fernsehen gesehen und erkannt hätten.

Ich habe nie geleugnet, dass ich an diesem Tag bei einem Treffen in Seca Tal Cab, in der Nähe der Brücke (El Puentón) war. Denn zwei Tage zuvor hatten wir entdeckt, dass sie mit dem Bau des Staudamms Oxec 2 begonnen hatten. Deshalb hatten wir beschlossen, uns zu treffen, um zu sehen, was dort passiert. Als ich ankam, waren einige Leute zum Fluss gegangen und ich ging, um sie zum Treffen zurückzurufen, aber ich habe dort niemanden ausgeraubt oder angegriffen. Abgesehen davon, kam ich an diesem Tag gegen 12:00 Uhr und nicht um 8:30 Uhr, so wie die Kläger sagen, in Seca Tal Cab an. Ich habe noch nie von einem Raub gehört, bis jetzt – zwei Jahre später.

Darüber hinaus sagte einer der Kläger in der ersten Anzeige, dass sie ihn während der Ereignisse angerufen hätten; in einer anderen Anzeige sagte er dann, dass er anwesend gewesen sei. Jedoch ließ der Richter dies alles nicht zu. Der Richter erklärte, dass er Zweifel an der Sache hätte. Aber im Zweifelsfall sollte er normalerweise den Angeklagten und nicht die Kläger begünstigen. Sie sollten ernsthafte und überzeugende Beweise gegen mich haben, aber sie haben nur die Aussagen der Zeugen des privaten Sicherheitsdienstes der Firma Oxec, der gleichen Firma, die ich anzeigte. Sie haben zwei Jahre danach Fotos bei „El Puentón“ aufgenommen, wo es angeblich geschah. Nicht mehr.

Was sind deine Erwartungen an den zukünftigen Prozess?

Alles ist sehr unsicher. Man weiß nicht, was passieren wird, da es sich nicht um eine Rechtsfrage handelt. Es ist eine politische Frage, welche die Unternehmen und den Staates betreffen. Rechtlich gesehen müsste die Anklage fallen gelassen werden, aber sie hat politische Implikationen, so dass man nicht weiß, was passieren wird. Ein weiterer Fall, den sie versuchten gegen mich vorzubringen, war, als sie mich beschuldigten, ein Lehrergehalt zu erhalten ohne Unterricht zu geben. Dies war der erste Kriminalisierungsfall, den sie inszenierten. Damit wollten sie mich im Gefängnis sehen, aber als es ihnen nicht gelang, kamen sie mit einem anderen Fall gegen mich. Und wenn dieser Prozess auch nicht zum Ziel führt, kommt sicherlich ein anderer, den, wie ich mir vorstelle, sie schon vorbereiten, um mich länger gefangen zu halten. Es ist alles ein Lügengewebe, eine Täuschung.

Bist du dir der Handlungen bewusst, die deine Kamerad_innen des Widerstandes ausführen? Welche Auswirkungen haben sie auf dich?

Ich weiß sehr wenig. Es gibt sehr wenig Informationen, die mich erreichen. Aber immer wenn Leute mich besuchen und erzählen was draußen passiert, ermutigen sie mich, halten mich stark, und ich kann sogar eingesperrt durchhalten. Aber an dem Tag, an dem die Kameraden den Kampf oder mich aufgeben, werde ich einen Rückschlag erleiden.

Welche Unterstützung erhältst du von draußen?

Meine Familie kommt einmal pro Woche. Meine Frau bringt mir das Essen aus dem ländlichen Raum, das ich gewöhnt bin und das mir immer geschmeckt hat. Die Auswirkungen auf meine Familie werden erst nach einiger Zeit zum Vorschein kommen. All der Stress wird seine Konsequenzen haben, ebenso wie die Sorgen und die Abwesenheit von meiner Familie.

Wegen der Entfernung und aus finanziellen Gründen kamen die Kameraden des Widerstandes selten. Cahabón ist weit von Cobán entfernt. Von den Dörfern ist es hin und zurück eine Reise von zwei bis drei Tagen; es ist sehr teuer. Außerdem sind sie nicht gekommen, weil es jedem Angst macht in ein Gefängnis zu gehen. Gerade einer indigenen Person, die kein spanisch spricht, macht dies viel Angst. Außerdem sind die Leute im Widerstand involviert, der in der Region arbeitet und das kostet viel Zeit. Ich wurde vom Büro des Menschrechtsombudsmann (PDH), dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), UDEFEGUA, dem Madre Selva Kollektiv und der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Rechte der indigenen Völker besucht. Letzterer habe ich meine Anzeige und die Dokumente übergeben, die von der politischen Verfolgung berichten, die ich erlebt habe. Das Wichtigste ist, dass sie in ihrem Bericht die Kriminalisierung erwähnt hat. Sie hat in Ihren Berichten das berücksichtigt, was ich ihnen erzählt habe. All diese Besuche geben mir Kraft. Wenn ich weiß, dass ich nicht allein bin, fühle ich mich unterstützt, auch wenn es das Problem nicht löst.

Gibt es sonst noch etwas, das du uns sagen möchtest?

Die Inhaftierung entmutigt mich nicht. Zusammen mit meinen Kameraden tasten wir die Kernbereiche der Kooptation und Korruption ab, die hier in Guatemala vorherrschen. Wir verteidigen diese Kernbereiche gegen Enteignungen. Alles wurde unter dem Schirm der Korruption gefasst, um uns den Zugang zu unseren Flüssen zu nehmen. Korruption ist strukturell. Es begann alles mit Erick Archila*, dem ehemaligen Minister für Energie und Bergbau der Partei „Partido Patriota“, der die Lizenzen autorisierte und uns so den Konflikt brachten. Wenn er es nicht genehmigt hätte, wären die Flüsse noch intakt. Es ist die Regierung, der Staat! Mit dem Anprangern berühren wir das Herz der Mafia, die großen Interessen des Landes – das stört sie. Deshalb bin ich im Gefängnis. Wäre die Justiz in Guatemala für alle gleich, würden all diejenigen, die die Genehmigung für die Zerstörung des Flusses Cahabón und den Landraub unterzeichnet haben, im Gefängnis landen.

*Erick Archila, ehemaliger Minister, auf der Flucht vor der Justiz wegen Korruption. Die Regierung der Partei Patriota wurde 2015 vorzeitig abgelöst, da der Präsident, die Vizepräsidentin und mehrere Minister wegen Korruption und anderen Delikten angeklagt wurden.
 

Interview: pbi Guatemala
Übersetzung: Andreas Lo Grasso
Bearbeitung: Jakob Rieder