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"Es ist eine Erfahrung, die es wert ist" - Erfahrungsbericht einer Freiwilligen

"Es ist eine Erfahrung, die es wert ist" - Erfahrungsbericht einer Freiwilligen

06.08.2015 - Katharina Ochsendorf begleitete als pbi-Freiwillige ein Jahr bedrohte MenschenrechtsverteidigerInnen bei ihrer Arbeit in Guatemala. Seit Februar 2015 ist sie zurück und berichtet über eine ihrer unzähligen Erfahrungen, die für sie besonders bereichernd war.

pbi-Freiwillige Katharina Ochsendorf in Guatemala„Es ist fast unmöglich, einen „kurzen“ Erfahrungsbericht über meine Zeit in Guatemala zu schreiben. Mit all den Erlebnissen, all dem Gelernten, den beeindruckenden Personen, den Emotionen, dem Leben im Team könnte ich ohne weiteres ein ganzes Buch füllen. Das Jahr hat mich auf so vielen Ebenen persönlich bereichert, war spannend, unheimlich anstrengend, es gab so viele großartige, aber auch traurige Momente – ein Jahr pbi lässt wahrscheinlich jede*n an seine physischen und emotionalen Grenzen kommen, im positiven wie negativen Sinne; und es ist eine Erfahrung, die ich um nichts in der Welt missen wollen würde. Als ich ankam, schrieb mir eine Ex-Freiwillige, die gerade ihr Jahr beendet hatte, zum Abschied „Es una experiencia que vale la pena“ („Es ist eine Erfahrung, die es wert ist“)– und das ist es definitiv.

Für diesen Bericht habe ich mir eine von unzähligen Erfahrungen ausgesucht, die für mich besonders bereichernd war und die, selbst für pbi-Verhältnisse, sehr außergewöhnlich ist. Anfangen muss ich dafür im Mai 2014, ich war gerade knapp vier Monate im Team. Am 23. Mai kam es zur gewaltsamen Räumung einer Sitzblockade des „planton“ (dauerhaftes Protestcamp) unserer Begleiteten, der „Gemeinden im friedlichen Widerstand La Puya“. La Puya ist ein Zusammenschluss vieler Gemeinden von San Jose del Golfo und San Pedro Ayampuc, die sich im Widerstand gegen den Bau einer Goldmine befinden – das erste von einer ganzen Reihe von Minenprojekten, die in der Region geplant sind. Seit 2012 haben die Gemeinden am Eingang zum Minengelände ein Protestcamp eingerichtet, wo 24 Stunden am Tag im Rotationsprinzip kleine Gruppen von Gemeindemitgliedern dauerhafte Präsenz gegen den Minenbau zeigen. Bis 2014 konnten sie durch gezielte, punktuelle Straßenblockaden den Beginn der Bauarbeiten verhindern. Am 23. Mai kam es, wie schon mehrfach zuvor dazu, dass Bauarbeiter*innen, Maschinen und mit ihnen eine große Polizeipräsenz auf das Gelände der Mine wollten, um mit den Bauarbeiten zu beginnen. Die Widerstandsbewegung mobilisierte binnen kürzester Zeit die umliegenden Gemeinden, um durch eine friedliche Sitzblockade den Beginn der Bauarbeiten zu verhindern. Auch zwei pbi-Freiwillige waren zur Begleitung und Beobachtung anwesend. Im Verlauf des Tages kam es zu einer gewaltsamen Räumung, es gab zahlreiche Verletzte, die Polizei ging mit Tränengas, Gummigeschossen und Steinen gegen die Protestierenden vor. Schließlich gelangten die Bauarbeiter*innen zum ersten Mal auf das Minengelände – ein herber Schlag für die Widerstandsbewegung. Dieses Ereignis für sich ist bereits einen Erfahrungsbericht wert; für das, was ich eigentlich erzählen möchte, war dies jedoch eher der traurige Vorspann.

Es folgten Wochen zahlloser Lobbygespräche, eine alerta (kurzfristige Sonderveröffentlichung von pbi, um auf eine akute Situation aufmerksam zu machen) und unzählige weitere Besuche des (sofort nach der Räumung wiedererrichteten) Protestcamps. Dann erhielten die beiden Freiwilligen, die die Situation im Mai beobachtet hatten, einen Brief von der guatemaltekischen Einwanderungsbehörde, der sie aufforderte, dort vorstellig zu werden – es ginge um ihre temporäre Aufenthaltserlaubnis (pbi-Freiwillige arbeiten nicht mit Touristenvisum, sondern beantragen eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre). Zu dem Termin gingen die beiden gemeinsam mit unserem Anwalt und unserer Fachkraft des Zivilen Friedensdienstes (ZFD), welche die gesetzliche Vertreterin von pbi vor Ort ist. Vor Ort wurden unter fadenscheinigen Begründungen ihre Pässe gestempelt und ihr Visum aufgehoben – ihnen wurde eine Frist von zehn Tagen gesetzt, binnen derer sie das Land zu verlassen hätten. Angeblich hatten sie sich an den „gewaltsamen Ausschreitungen“ vom 23. Mai beteiligt, aufgestachelt, Steine geworfen – und man habe Fotobeweise dafür – selbstverständlich hatten meine Kolleg*innen nichts dergleichen getan.

Was folgte, waren wohl die zehn anstrengendsten und intensivsten Tage meines pbi-Jahres. Zunächst waren wir überrascht: normalerweise richten sich die Angriffe und Drohungen direkt gegen die lokalen Menschenrechtsverteidiger*innen, diesmal waren wir selbst zur Zielscheibe geworden. Sofort schrieben wir eine weitere alerta, aktivierten unser Unterstützer*innennetzwerk, redeten mit Botschaften, dem Menschenrechtsombudsmann in Guatemala, Vertreter*innen der Vereinten Nationen, anderen internationalen Organisationen, und, und, und. Jeden Tag arbeiteten wir bis zum Umfallen und versuchten gleichzeitig, die „normale“ Begleitarbeit fortzusetzen. Abends gab es dann immer ein Teamtreffen, um sich über die Geschehnisse des Tages auszutauschen und alle auf den neuesten Stand zu bringen – denn bei so vielen Sitzungen und Treffen war es unmöglich, mit der Informationsflut Schrittzuhalten. Die Botschaften richteten Anfragen an die Regierung und den Innenminister, Amnesty International schickte dem guatemaltekischen Präsidenten einen Brief. Wir taten, was wir konnten, um die Ausweisung unserer Teamkolleg*innen zu verhindern. Besonders beeindruckend empfand ich den Rückhalt, den uns die Begleiteten gaben: viele verfassten Pressemitteilungen, in denen sie ihre Solidarität ausdrückten und das Handeln des Staates anprangerten, in Telefonaten sprachen sie uns Mut zu – es war wie eine andere Welt: plötzlich standen unsere Begleiteten uns zur Seite, machten Lobbyarbeit und aktivierten ihre Unterstützer*innennetzwerke für uns.

Die Tage vergingen, die Zeit raste dahin, und es schien so, als ob die beiden tatsächlich ausreisen müssten. Zwei Tage vor ihrer Ausreise fuhr ich zu einer Begleitung, nicht wissend, ob ich sie nach der Begleitung wiedersehen würde. Einen Tag vor Ablauf der Frist – die Koffer waren gepackt, ein Ausreiseplan geschmiedet – passierte dann das, woran wir schon fast nicht mehr geglaubt hatten: der guatemaltekische Innenminister rief uns höchstpersönlich (!) an, entschuldigte sich bei den beiden Freiwilligen – nach nochmaliger Überprüfung der „Beweise“ sei herausgekommen, dass es sich wohl doch um einen Irrtum gehandelt hatte – und teilte mit, dass die Annullierung ihrer Visa zurückgenommen wurde. Ich saß gerade mit meiner Kollegin im Bus auf dem Rückweg von einer Begleitung, bangend, ob dies vielleicht der vorerst letzte gemeinsame Abend mit unseren beiden Kolleg*innen sein würde – da erreichte uns der Anruf aus dem Büro, dass die Entscheidung zurückgenommen wurde. Selten war ich so erleichtert. Abends gab es dann zur Feier des Tages ein großes Abendessen, ein paar Freunde anderer Organisationen waren gekommen, um mit uns anzustoßen. Eine ausgelassene Feier wurde es nicht, dazu waren wir dann doch zu erschöpft. Für mich war diese Zeit nicht nur eine, die uns als Team unheimlich zusammengeschweißt hat, sondern es war auch einer der Momente, in denen ich besonders deutlich spüren konnte, dass die Solidarität und Unterstützung, die wir den Begleiteten geben, auf Gegenseitigkeit beruht.“

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