Ich habe gelernt, dass ein Mensch des globalen Nordens sich im globalen Süden bewegen kann, ohne sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufzuführen.

pbi-Freiwillige in HondurasJetzt bin ich also zurück. Zurück nach einem aufwühlenden, einjährigen Einsatz als Freiwillige im Honduras-Projekt von pbi. Zurück im Nest, zurück am Schreibtisch, wärmend eingebettet in der für mich so wertvollen Struktur aus Familie, Freund:innen und dem bequemen Leben. Ich sitze in meiner Wohnung, ärgere mich mal wieder über DHL, über Regen, der kein Schnee werden möchte, bin schockiert angesichts der derzeitigen politischen Situation in Honduras und Deutschland und versuche, zwischen Privatleben, Uni, Ruhebedürfnis und Arbeit einen Moment der Reflexion zu schaffen — für mich und vielleicht auch für andere.

Rückblick – Die Entscheidung (2015/16)

Eigentlich konnte ich zufrieden sein. Nach einem mehr als halbherzigen Start in die obskure Welt des gesellschaftlich geforderten Erwachsenwerdens („Abi? — Studier‘ was, aber was mit Zukunft!“, „Mach viele Praktika. Auch unbezahlt. Das kriegst du später alles zurück.“, „Engagier dich — das kommt immer gut“, „Wie kann die Nachzahlungsforderung des Stromanbieters eigentlich so hoch sein?“) habe ich mich vor drei Jahren zum ersten Mal in die Welt der gleichermaßen oft genannten als auch undurchsichtigen Unbekannten der internationalen Zusammenarbeit gewagt. Beinahe zwei Jahre durfte ich in Bolivien im Rahmen verschiedener Freiwilligenarbeiten in lokalen NGOs und internationalen GOs erste Beobachtungen machen, Menschen begegnen und Chancen aber vor allem auch kritische Momente erkennen. Manchmal habe ich mich in meiner Position vor mir selbst geekelt und verstand, wie schwierig Solidarität sein kann. Nach meiner Rückkehr habe ich einen Masterstudiengang angefangen, Friedens- und Konfliktforschung. Inhaltlich spannend und bereichernd — keine Frage. Aber es schwingt spürbar ein leichter Zynismus mit, wenn bei einem Glas Rotwein im behüteten Studierendenstädtchen über die globale Ungerechtigkeit diskutiert wird. Ich habe immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, mich auch außerhalb deutscher Grenzen zu engagieren, zu lernen und dabei einen möglichst weiten Bogen um die Verfestigung (post-) kolonialer Machtstrukturen zu schlagen. So landete ich irgendwann auf der Homepage von pbi und bewarb mich als Freiwillige im pbi-Hondurasprojekt.

Mein Kopf beladen mit abstrakten Ideen und Motivationen, durchlief ich den langwierigen Auswahlprozess. Im Moment der endgültigen Zusage des Projekts war mir immer noch nicht ganz klar, was da auf mich zukommt. Aber ich war mir sicher, dass ich den Versuch wagen wollte. Was sich hinter so großen Begriffen wie Anfrage- und Konsensprinzip, Solidarität, Unabhängigkeit, Gewaltfreiheit, Nichteinmischung, Legalität und Nichtparteinahmen verbirgt, wollte ich für mich praktisch erfahrbar machen. Außerdem war grad wieder Winter in Deutschland und das (Uni-)Leben wollte Sachen von mir, die mich nicht sonderlich von ihrem Mehrwert überzeugen konnten.

Rückblick – Die Ankunft im Projekt oder „Que pedos, maje?“ (Oktober 2016)

Verschwitzt und vor Übermüdung aufgedreht komme ich in dem Haus an, was für die nächsten zwölf Monate mein Heim, mein Arbeitsplatz und mein Lebensmittelpunkt werden will. Eigentlich schön, auch mit Garten. Vertraute Gesichter, die ich in ihrer Mehrzahl im Rahmen der Vorbereitungswoche kennen und schätzen lernen durfte, begrüßen mich herzlich-hektisch. Die ersten zwei Wochen sind geprägt von Einführungsgesprächen, Fragen und Erklärungen. Von mir neuen Gesichtern, von unglaublichen und alltäglichen Geschichten. Zerrissen zwischen Unsicherheit und Begeisterung fange ich langsam an zu begreifen, wo ich mich gerade bewege. In mir selber toben Gedanken. Ist das gut, dass ich hier bin? Was will ich? Ich bin so müde. Wie kann ich meinem Bedürfnis nach Ruhe Raum geben, wenn doch alles nach Aktion schreit? Wie schaffe ich es, mich von persönlichen, oft grausamen Geschichten emotional so zu distanzieren, dass ich handlungsfähig bleibe? Ich betrachte mein neu gewonnenes soziales Umfeld im Projekt und frage mich, wie wir es rechtfertigen können, stundenlang über die Ausgestaltung eines völlig innovativen Putzplankonzepts (Der muss aber jetzt echt mal funktionieren!) zu diskutieren, während im gleichen Augenblick kleinbäuerlichen Gemeinschaften ihre existentielle Lebensgrundlage entzogen wird? Wie kann es eigentlich immer noch radikale Stehpinkler geben? Woraus besteht unsere gemeinsame Basis? Und wo sind schon wieder alle Kugelschreiber hin? Wenn ich gedanklich einen Schritt vor die Tür wage und mich mit pbi-nahen Akteur:innen auseinandersetze, tauchen wieder andere Frage- und Feststellungen auf.

Ich bewundere die unglaublich vielen Menschenrechtsverteidiger:innen, denen ich begegnet bin.  Woher kommt ihr unbeirrbarer Mut und ihre Kraft, jeden Morgen aufzustehen und eine großartige, solidarische und gleichzeitig so gefährliche Arbeit zu leisten? Was kann ich aus den honduranischen Widerstandsbewegungen lernen? Wer bin ich für sie? Wie gehe ich als Mensch des globalen Nordens mit meinen Privilegien um? Warum gibt es überall so viele alte Männer, die so viel zu sagen haben? Habe ich was zu sagen? Wo sind Handlungsspielräume, wenn der politische Wille fehlt?

Rückblick – Ich packe meinen Koffer und nehme mit… (September 2017)

Kurz vor der Abreise packt mich die Panik. Ich habe das Gefühl, gerade erst angekommen zu sein. Nicht genug gelernt zu haben. Nicht genug gearbeitet zu haben. Müde bin ich. Im Team haben wir eine sechs und oftmals eine sieben-Tage-Woche, ständige Bereitschaft. Ich habe Urlaub gemacht — in Honduras gibt es tatsächlich wunderschöne Ecken. Hochrangige Militärs kennengelernt, die trotz ihrer protzigen Dekoration beim Anblick einer Frau, die einen guten Kopf größer ist, plötzlich klein werden. Habe Beerdigungen begleitet, die mir in ihrer Erinnerung einen eiskalten Schauer durch meinen Körper fahren lassen. Oftmals schlecht geschlafen. Gefroren. Geschwitzt. Tränen gelacht mit mir nahen Menschenrechtsverteidiger:innen, Freund:innen gewonnen, gestritten. Immer wieder.

Vor Wut geschrien, mich zusammengerissen. Habe gelernt, Diplomatie als Theaterstück zu begreifen. Mich im Büro gelangweilt, genervt von den so nebensächlich erscheinenden Berichten. Stundenlange Konsensdiskussionen bis spät in die Nacht geführt. Angst gespürt. Über das Essen geschimpft. Habe mich — gefühlt eine Ewigkeit — mit mir selber auseinandergesetzt, ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Gelernt, Fehler auszuhalten und nachsichtiger mit mir und anderen zu sein. Nie tanzen gelernt. Habe eine Idee davon gewonnen, was Solidarität leben heißt. Mich manchmal dabei ertappt, mich ein bisschen wie Jane Bond zu fühlen, nur halt nicht so richtig cool. Erfahren, wie es ist, wenn Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt ist. Bin auf Cocktailempfängen gewesen. Zum ersten Mal fast regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen. Mag jetzt Katzen. Habe mich selten so richtig und gleichzeitig so fehl am Platz gefühlt. Gelernt, dass körperliche Anwesenheit wichtig ist. Dass ein Mensch des globalen Nordens sich im globalen Süden bewegen kann, ohne sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufzuführen. Zumindest hoffe ich das. Ich entscheide mich, die Panik Panik sein zu lassen und in die Kneipe zu gehen. Noch einmal mit Freund:innen anstoßen, auf das Leben.

Heute (2017)

Wieder am Schreibtisch. Während ich diesen Text schreibe, gilt in Honduras der Ausnahmezustand. Seit vor über einer Woche die Wahlen stattfanden, gibt es immer noch kein endgültiges Wahlergebnis. Dafür wiedermal viel Angst, Solidarität und Tote in der honduranischen Zivilgesellschaft. Internationale Akteur:innen tun wiedermal das, was sie am besten können: Texte schreiben. Wie ich gerade. Aber das ist ein anderes Thema.