„Der gewaltfreie Weg ist für mich der Richtige“

Slomo Büth, gelernter Kaufmann und Geograf, lebte und arbeitete von September 2005 bis März 2007 als  pbi-Freiwillger  des  Programmes  Internationale Freiwilligendienste für unterschiedliche Lebensphasen (IFL) in der Region Urabá in Kolumbien:

Wie bist du Freiwilliger bei pbi geworden?
Mit den Themen Konsens und Gewaltfreiheit hatte ich mich schon lange beschäftigt. An pbi gefiel mir die dezentrale und horizontale Arbeitsweise, dass die Projekte der Freiwilligen in den Krisengebieten sehr selbstständig arbeiten. Auch, dass vor Ort die Freiwilligen das Prinzip der Nichteinmischung wahren, sie begleiten die Arbeit lokaler Organisationen, geben aber keine Ratschläge, wie die Arbeit gemacht werden soll. Im Januar 2005 hatte ich mich dann beim Kolumbienprojekt mit den geforderten Referenzen beworben. Bis zum Abflug im September musste ich mich intensiv vorbereiten und Impf- und Visaangelegenheiten erledigen. Nach einem ersten Telefoninterview bekam ich Zugang zu einer Lernwebsite, wo Aufgaben zu bearbeiten waren, und mein Textverständnis bzw. meine Ausdrucksfähigkeit in Spanisch getestet wurden. Wir hatten zudem ein Vorbereitungsteam in Spanien als Ansprechpartner. In Deutschland besuchte ich ein Informations-Seminar und in Spanien dann im Sommer ein zehntägiges Training. Wir waren zehn Kandidat_innen, eine Australierin, zwei Nordamerikaner, ein Peruaner und ansonsten Europäer_innen. Lateinamerikaner_innen im Einsatz in Lateinamerika sind übrigens nicht ungewöhnlich. Man darf nur eben nicht aus dem Land kommen, in welchem man im Einsatz ist.

…damit die Neutralität vor Ort gewährleistet ist?
Es geht einerseits mehr um die Sicherheit der Freiwilligen und andererseits ist der politische Druck, über den wir arbeiten, kaum von einem Angehörigen des jeweiligen Landes, in dem wir arbeiten, umzusetzen. Ein solcher kann nur über internationale Öffentlichkeit entstehen, wie zum Beispiel durch das Einbeziehen der jeweiligen Botschaften der Freiwilligen und Regierungen anderer Länder.

Du bist im September 2005 für 18 Monate nach Kolumbien gegangen, wie war das für Dich?
Heute verpflichtet man sich wieder auf zwölf Monate. Mir wäre das zu kurz gewesen, um das Land, das Projekt, mein Team, ja mich selbst in diesem Prozess kennen zu lernen.

pbi hat vier Teams in Kolumbien, in der Hauptstadt Bogotá, in Medellín, in der Erdölmetropole Barrancabermeja und in Turbo in der Region Urabá. In welchem warst Du eingesetzt?
Nach der zweiwöchigen Einführung in Bogotá kam ich zum Team in Urabá in der kleinen Küstenstadt Turbo am Golf von Urabá, einem Nebenmeer der Karibik. Hier lebten wir zu Zehnt in einem Haus mit Büro, Versammlungsraum und Küche. Die Arbeit kann sehr belastend sein. Da hilft es, die anderen nicht nur aus dem Arbeitskontext, sondern auch aus dem Zusammenleben zu kennen, um sich gegenseitig besser unterstützen zu können. Allerdings waren wir meist in den Friedensdörfern und mit der von uns begleiteten Menschenrechtsorganisationen Justicia y Paz unterwegs, bis zu 14 Tage am Stück, bevor wir wieder ins Teamhaus zurückkehrten, und andere Freiwillige uns ablösten.

Diese Organisationen hatten pbi um Begleitung gebeten?
Ja, wir arbeiten grundsätzlich nur auf Anfrage. Ich war zunächst immer wieder in der Friedensgemeinde von San José. Sie liegt in einem — für die verschiedenen bewaffneten Gruppen Militärs, Paramilitärs und die Guerrilla — strategisch wichtigen und daher seit Jahren stark umkämpften Gebiet. Später habe ich mehr im Gebiet des Flusses Atrató gearbeitet und die afrokolumbianischen Gemeindemitglieder von CAVIDA sowie Justicia y Paz in den Humanitären Zonen begleitet, die mitten in Ölpalmenplantagen liegen, die zum großen Teil auf illegal erworbenem Land von Unternehmen errichtet wurden, die den Paramilitärischen Gruppen sehr nahe stehen und sich ihrer bedienen, um sich das Land anzueignen. Zivile Initiativen wie die angesprochenen Friedensgemeinden, die friedlichen zivilen Widerstand leisten, um für ihre existentiellen Grundrechte gewaltfrei zu kämpfen, gibt es gut 20 an der Zahl in Kolumbien.

Wie kam es zur Gründung der Friedensgemeinden?
Es ist Bürgerkrieg in Kolumbien. Seitens der Regierung von Präsident Alvaro Uribe Velez wurde nach seiner Wiederwahl 2006 verkündet, gegen die Guerrilla mittels Polizei und Militär mit harter Hand vorzugehen. Die im letzten Jahr offiziell abgeschlossene Entwaffnung der illegalen paramilitärischen Gruppen, hat leider nicht zu einer Befriedung geführt. Im Gegenteil spricht man in Kolumbien mittlerweile von einer Legalisierung der Para-Gruppen, die auch heute noch weiter bewaffnet bestehen und ihren gewaltvollen Machenschaften in Politik und Wirtschaft weitgehend unbehelligt nachgehen können. Der Konflikt, der vor über 50 Jahren begann, und der heute als low intensity war, als Krieg niederer Intensität betrachtet werden kann, hält bis zum heutigen Tage an. Dabei ist die Zivilgesellschaft allem ausgesetzt, was Krieg mit sich bringt: Anwerbung und Entführung von Kindersoldat_innen, Raub von Vieh und Ernten zur Versorgung der Truppen, Beschlagnahme von Ländereien, die zu Plantagen umgewandelt werden, Zwang zum Anbau von Drogen, das Verschwindenlassen bis hin zu Vertreibung, Vergewaltigung und Mord. Neben Erpressung und Ausbeutung der Bevölkerung finanzieren sich Paramilitär und Guerilla zu 80 Prozent aus dem Drogenhandel. Als Reaktion auf die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft haben sich die Friedensgemeinden gegründet, als neutrale Territorien, wo der Besitz und das Tragen von Waffen verboten sind. Sie etablieren sich als Instrument der Zivilbewegung, um deutlich zu machen, dass sie nicht Teil dieses bewaffneten Konfliktes sind, aus dem sie nur als Verlierer hervorgehen können. Doch der Regierung sind sie ein Dorn im Auge, sie verweigert ihnen de facto den staatlichen Schutz. Um so wichtiger ist für die Friedensgemeinden der internationale Schutz.

Wie hast du in der Friedensgemeinde San José gelebt?
Wir haben mit den Leuten einfach deren Rhythmus gelebt, im Alltag sowie bei besonderen Gelegenheiten, und haben uns mit ihnen über ihre Lage und die Ereignisse in der Gemeinde, der Region und im Land ausgetauscht. Wir waren dabei immer zu Zweit, aus Sicherheitsgründen hatten wir immer weiße pbi T-Shirts an, damit man uns erkennen konnte. Im Dunkeln sind wir mit Lampen unterwegs. Aber das kommt nur vor, wenn es nicht anders geht.

Du warst auch mit der Menschenrechtsorganisation Justicia y Paz unterwegs.
Deren Mitarbeiter_innen arbeiten die ungeklärten Verbrechen der jüngeren Vergangenheit in Kolumbien auf. Wir haben sie begleitet bei Zeug_innenbefragungen, bei Gerichtsverhandlungen oder auch beim Ausheben von Massengräbern.

Bist du selber in bedrohliche Situationen geraten?
Gefahr ist ein subjektiver Eindruck. Ich selbst habe mich nie in Gefahr gefühlt. Dass die Begleiteten sich in Gefahr fühlten, habe ich sehr oft erlebt. Manchmal war klar, dass die Uniformierten die Begleiteten und uns nur unbehelligt lassen, weil sie über unserer Rolle informiert sind. Wenn wir nicht dabei sind, können ganz andere Dinge passieren. Die ganze Gegend Urabá ist militarisiert, es kommt sehr regelmäßig zu Kontakt zu Militärpersonal. Dennoch steht man deswegen nicht ständig unter Strom. Bedrohlich wird es, wenn die von uns Begleiteten von den Uniformierten ungewöhnlich behandelt werden, wenn etwa nicht ganz klar ist, sind wir in eine allgemeine Kontrolle geraten, oder ist es eine gegen die Begleiteten gerichtete Aktion? In unklaren Situationen und je nach dem, welcher Art die Uniformierten sind, sprechen wir oder die Begleiteten mit ihnen. Das funktioniert alles in enger Absprache mit den Begleiteten und nach Richtlinien, die auf jahrzehntelangen Erfahrungen von pbi basieren und ständig weiterentwickelt werden.

Was waren neben der physischen Begleitung die Aufgaben?
Vor allem Lobbyarbeit. Wir sind dort in ständigem Kontakt zu Vertreter_innen von Polizei, Zoll und Militär in der Region sowie zu anderen NGOs und zur UNO. Wir machen Advocacy-Arbeit für die Zivilbevölkerung, weisen immer wieder auf die bestehende Bedrohung und die Übergriffe hin. Und wir berichten, was wir am Ort gesehen haben, und was uns von Begleiteten berichtet wurde. Mit Guerilla und Paramilitärs haben wir keinen Kontakt. Auf diese Gruppen können wir keinen Druck ausüben, da sie keine internationale Reputation anstreben. Allerdings berichten kolumbianische Medien seit einem Jahr offen über Verbindungen zwischen Militär und Paramilitär sowie zu deren Verbindungen in Politik und Wirtschaft. Insofern könnte sich internationaler Druck auf die Regierung auch in paramilitärische Kreise fortsetzen.

Was hat Dich in der Friedensgemeinde San José besonders beeindruckt?
Ich fand jeden einzelnen Menschen beeindruckend, der sich für so einen gefährlichen Weg entscheidet. Es ist schwierig, sich unter dem Druck der Armut und dieses Konfliktes etwas aufzubauen, und es kann passieren, dass du plötzlich einfach wieder von deinem Land vertrieben wirst. In dieser Lage den Mut zu haben, in der Öffentlichkeit für sein Recht einzutreten und mittlerweile sogar international nach Unterstützung zu suchen, das hat mich beeindruckt.

War es schwierig unter solchen Bedingungen das Prinzip der Gewaltfreiheit zu wahren?
In den Friedensgemeinden, im Team haben wir uns in dieser Haltung im Alltag gegenseitig unterstützt. Natürlich kommt es auch wie in jeder normalen Wohngemeinschaft zu Konflikten, wo sie die Frage stellt, wie trage ich das jetzt aus? Oder wie gewaltvoll ist das jetzt schon? Mich haben diese Erfahrungen darin bestärkt, dass der gewaltfreie Weg für mich der Richtige ist, praktiziert im täglichen Leben. Und in unserer internationalen Gruppe hab ich viel dazugelernt über Gewaltfreiheit in der Kommunikation.

Wie wirkt der Einsatz bei Dir nach?
Vielleicht habe ich einiges noch nicht verarbeitet. Es gibt Momente der Trauer, der Einsamkeit, weil Du Dich doch zwischen zwei Welten bewegst. Aber hier und jetzt weiter eingebunden zu sein in die Arbeit für Kolumbien, das hilft dabei, die Erfahrungen zu verarbeiten und dabei nicht in Aggression oder Frustration oder in Orientierungslosigkeit und Einsamkeit zu verfallen.

Wie sieht deine Arbeit für pbi in nächster Zeit aus?
Ich bin zunächst Projektreferent für Öffentlichkeitsarbeit und in der Kooperation mit den AGs der Länderprojekte und unseren Regionalgruppen in Deutschland tätig. Zudem führe ich Advocacy-Gespräche hauptsächlich in Berlin, wo wir Parlamentarier_innen und für Menschenrechte einstehende Organisationen in ihrer Arbeit und zu den Krisengebieten, in denen wir arbeiten, begleiten, aber auch zu grundsätzlicheren Fragen wie Gewaltfreiheit und Konsensarbeit. All die Themen werden im Rahmen des Bildungsprojektes von pbi auch in die Schulen getragen, wo ich neben anderen als Referent auftrete.

Das Interview mit Slomo Büth machte die Journalistin Julia Koßmann für pbi. Das Interview einschließlich aller Fotos können Sie hier als pdf herunterladen.