„Raum für Frieden schaffen“

Kristina Neubauer, Kulturwissenschaftlerin, war von 2004-2005 ein Jahr im pbi-Team in West-Papua und hat über ihre Erfahrungen in der Broschüre „Zivil statt militärisch“ der AGDF berichtet:

„Am Anfang zweifelhafte Blicke. pbi (peace brigades international) will nach West-Papua? In eine für ausländische Journalist_innen und Menschenrechtsorganisationen gesperrte Region? Kolleg_innen anderer Nichtregierungsorganisationen, die zu Indonesien arbeiten, aber auch Vertreter_innen ausländischer Botschaften in Jakarta, schauten uns oft zweifelhaft an. Und so manch eine_r wird sicher gedacht haben: Das schaffen die nie. Heute, fast zwei Jahre nach der ersten pbi-Erkundungsmission nach Papua, begleiten pbi-Freiwillige bedrohte Menschenrechtsverteidiger_innen in Papua auf Reisen und Seminaren. Und inzwischen haben wir sogar ein zweites Büro errichtet: In Wamena, dem Bergland Papuas, wo seit über 40 Jahren abseits der internationalen Aufmerksamkeit Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung begangen werden. Der Aufbau einer internationalen Präsenz in West Papua ist gelungen, erforderte von den pbi-Freiwilligen aber einen langen Atem.

Ich verstehe nicht, was pbi hier tut!“, der Vertreter der Geheimpolizei gibt sich unzufrieden, „Seit Monaten seid Ihr in West Papua, aber was tut Ihr hier?“, seine Stimme wird deutlich lauter, „Mit den Kollegen des Internationalen Roten Kreuzes ist das alles kein Problem, da sieht man konkrete Ergebnisse, aber nicht bei pbi…. Tut mir leid, wenn Ihr mir nächsten Monat keine konkreten Arbeitsergebnisse liefert, müsst Ihr Papua verlassen.“ Eine normale Situation während der ersten Monate unserer Arbeit in West Papua. Wir reagieren gelassen. Erklären, dass wir keine Häuser bauen und auch keine Medizin verteilen, sondern für den Frieden arbeiten. Und dass Ergebnisse der Friedensarbeit schwer messbar sind. Das Wort Konflikt oder Konfliktlösung nehmen wir erst gar nicht in den Mund, denn offiziell gibt es in West-Papua keinen Konflikt. Für den Frieden aber arbeiten alle, auch das Militär und die Polizei.

West-Papua ist Indonesiens größte und gemessen an natürlichen Ressourcen reichste Provinz. Dennoch lebt die Mehrheit der Bevölkerung Papuas in Armut, die Ernährung ist oft unzureichend und die medizinische Versorgung mangelhaft. Verantwortlich für ihre schlechte Lebenssituation machen viele Papuas die indonesische Regierung, die sich aus ihrer Sicht für den Reichtum, nicht aber für die Menschen Papuas interessiert. Oder wie Sukarno, Indonesiens erster Präsident, es einst formulierte: „Wir wollen die Ressourcen Papuas, die Affen dort interessieren uns nicht“. Affen, damit waren die Menschen gemeint. So weit würde heute kein indonesischer Präsident mehr gehen, doch dass die Papuas dumm, faul und primitiv seien, ist bis heute ein in Indonesien weit verbreitetes Stereotyp. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene ist weitläufig bekannt, dass es im Bergland Papuas immer wieder zu Militäroperationen kommt, Dörfer abgebrannt und zum Teil sogar bombardiert werden.

Über 100.000 Papuas sind nach Angaben von amnesty international seit den 60er Jahren ermordet oder an den Folgen von Folter, Vergewaltigung und Vertreibungen seitens der indonesischen Sicherheitskräfte gestorben. Ein Großteil der Bevölkerung West-Papuas möchte aufgrund dieser Erfahrungen sowie historischer und kultureller Ursachen von Indonesien unabhängig werden, die indonesische Regierung hingegen hält aus ökonomischen wie politischen Gründen an ihrer östlichsten Provinz fest. Mit aller Gewalt. Dieser wollen weite Teile der Papua-Bevölkerung einer Strategie des Friedens entgegensetzen. Im Jahre 2000 wurde Papua auf Initiative der Kirche zu einem „Land des Friedens“ erklärt. Bis auf das Militär schlossen sich alle Konfliktparteien dieser Kampagne an.

Am Anfang ging es für pbi in Papua vor allem um Vertrauensaufbau. Gegenüber den indonesischen Sicherheitskräften musste pbi seine Neutralität vermitteln, stehen Ausländer doch immer wieder im Verdacht, die Unabhängigkeit Papuas zu unterstützen. Lokalen Menschenrechtsverteidiger_innen gegenüber mussten wir hingegen deutlich machen, dass wir nicht mit den indonesischen „Besatzern“, wie indonesische Regierungsbeamt_innen, Sicherheitskräfte und Migrant_innen von Papua-Seite zuweilen bezeichnet werden, kollaborieren, nur weil wir mit diesen im Gespräch stehen. pbi als eine internationale Nichtregierungsorganisation bezieht in innerstaatlichen Konflikten nicht Partei, sondern verhält sich neutral und ist der Überzeugung, dass die Betroffenen ihre Probleme selbst am Besten kennen und somit auch zu Lösungen kommen können. Als unabhängige dritte Kraft will pbi zivilgesellschaftlichen Gruppen vielmehr einen Raum geben, Konflikte gewaltfrei zu lösen. „Raum für Frieden schaffen“ lautet das Motto von pbi – doch die Schaffung eines solchen Raumes ist weder ein schneller noch ein sofort sichtbarer Prozess. Geduld und Ausdauer sind erforderlich, sowohl von den lokalen Institutionen wie auch den pbi-Freiwilligen.

Pieter Ell, Direktor der Menschenrechtsorganisation Kontras, erhielt am 23. Mai 2005 ein Paket mit einem abgetrennten Hundekopf. „Wenn Du nicht aufpasst, wirst Du genauso enden“, war auf dem beigefügten Zettel zu lesen. Kein Zweifel, die Bedrohung gegenüber dem Menschenrechtsanwalt wurde ernster. Nächtliche Telefonanrufe, Einschüchterungen per sms und Beschattungen war Pieter Ell schon lange gewohnt, der abgetrennte Hundekopf war aber Indiz dafür, dass das Bedrohungspotential ihm gegenüber ein neues, ernstzunehmendes Niveau erreicht hatte. Sofort informierte Pieter Ell das Büro von pbi, mit der Bitte um internationalen Begleitschutz.

Überall auf der Welt werden Individuen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, bedroht. Durch ihre Ermittlungen und Anklage von Menschenrechtsverletzungen sind sie demjenigen ein Dorn im Auge, der für diese verantwortlich ist – und deshalb das Licht der Öffentlichkeit scheut. Einige Menschenrechtsverteidiger_innen werden sogar ermordet, um sie zum Schweigen zu bringen. Jüngstes Beispiel aus Indonesien ist Munir Said Thalib, ein 38jähriger Menschenrechtsaktivist, der im September 2004 auf dem Flug von Jakarta nach Amsterdam vergiftet wurde. Munir hatte sich von den jahrelangen Bedrohungen nicht einschüchtern lassen und seine Arbeit für die Menschenrechte fortgesetzt.

Oft geht die Strategie des Aggressors aber auf und Menschenrechtsverteidiger_innen fahren aus Angst vor weiteren Bedrohungen ihre Arbeit zurück. Sie trauen sich nicht mehr, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, mit der Folge, dass diese im Dunkeln, abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit fortgesetzt werden. Und hier setzt pbi an: Freiwillige aus aller Welt begleiten seit 1981 bedrohte Menschenrechtsverteidiger_innen, damit diese wieder den Mut haben, ihrer Arbeit nachzugehen. Bei der Begleitung von Rechtsanwält_innen oder Aktivist_innen symbolisieren pbi-Freiwillige eine internationale Gemeinschaft, die wachsam ist. Die Präsenz der Freiwilligen hat symbolisch-politischen Charakter, wir sind keine Bodyguards. Wir würden selbst nicht zur Gewalt greifen, sollte einem unserer „Schützlinge“ etwas zustoßen. Statt dessen alarmieren wir in einem solchen Fall unser internationales Netzwerk bestehend aus Politiker_innen aus aller Welt; auch deutsche Parlamentarier_innen sind Teil dieses Netzwerkes. Sie haben sich dazu verpflichtet, politischen Druck auszuüben, sollte sich die Sicherheitslage der von pbi-Begleiteten verschlechtern. Aus Sorge um das internationale Ansehen, fahren die für die Bedrohung Verantwortlichen ihre Einschüchterungen zurück. Der (Arbeits-)Raum der Menschenrechtsverteidiger_innen öffnet sich wieder.

In West-Papua dauerte es über ein Jahr, bis wir mit der Schutzbegleitung anfingen. Der Aufbau einer internationalen Präsenz in einer Konfliktregion bedarf einer bedachten und strategischen Vorgehensweise. Während der ersten neun Monate saßen wir vor allem in Besprechungen mit Menschenrechtsorganisationen, Sicherheitskräften und Regierungsvertreter_innen, um Vertrauen zu schaffen und unsere Arbeit zu erklären – aber auch um zu verdeutlichen, was pbi nicht kann. Denn oft sind mit einer ausländischen Präsenz bestimmte Vorstellungen verbunden: Sei es der Vorwurf der Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung von Regierungsseite oder die Hoffnung auf Gelder von Seiten der lokalen Organisationen. Inzwischen aber haben die verschiedenen am Konflikt beteiligten Gruppen ihre Erfahrungen mit pbi gemacht, sie wissen um unsere Unparteilichkeit und haben diese zu schätzen gelernt.

Die pbi-Freiwilligen hingegen mussten ihre Offenheit und Flexibilität gegenüber der regionalen und kulturspezifischen Situation unter Beweis stellen. Denn im ersten Jahr stieß pbi’s Programm zur Friedenspädagogik auf weitaus größeres Interesse als das der Schutzbegleitung. Für die Freiwilligen eine Überraschung, steht pbi weltweit in erster Linie doch für internationalen Begleitschutz. In Papua sind viele Menschenrechtsorganisationen aber aufgrund finanzieller und geographischer Schwierigkeiten in ihrer Arbeit eingeschränkt; der Bedarf an Schutzbegleitung fällt somit automatisch geringer aus. Projekte zur Friedenspädagogik hingegen unterstützen die Bemühungen, aus Papua ein „Land des Friedens“ zu machen und werden sowohl von lokalen NRO’s als auch der Polizei mit Begeisterung aufgenommen.

In Kooperation mit lokalen Gruppen organisiert pbi in Papua monatliche Diskussionsveranstaltungen zur Friedenskultur und mehrtägige Workshops zur gewaltfreien Konfliktlösung. Und auch hierbei gilt: Die Betroffenen haben eigene Mechanismen und Akteur_innen der Konfliktbearbeitung, die aber einen Raum zur Entfaltung brauchen. Genau hierbei unterstützt sie pbi, und so wie die Konfliktproblematik derzeit in Papua aussieht, wird pbi wohl noch eine Weile bleiben müssen.“

Quelle: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V. (Hrsg.): Zivil statt militärisch. Erfahrungen mit ziviler, gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Ausland. Bonn 2006, S. 22-23.